Freitag, 22. Dezember 2017

24 – 12

Eigentlich müsste Weihnachten das Fest der Langstreckenfahrer sein. Welche Zahlen haben mehr Bedeutung für uns als die 24 und die 12? Aber Zahlenmagie bedeutet nichts wenn man sich ernsthaften Herausforderungen stellt.

Das Jahr 2017 war für mich bis jetzt schon sensationell und noch mag ich nicht zurückblicken. Im Gegenteil. Ich arbeite hart am Buch zum Race Across America 2017. Gerne hätte ich es vor Weihnachten noch herausgebracht, aber während es vom Schreiben her kein Problem war, habe ich mit dem Satz noch zu kämpfen.

Einerseits gilt es extrem viel zu lernen, und das in relativ kurzer Zeit, andererseits, ist ein Buchprojekt mit über 200 Seiten und vielen Bildern auch für die Software eine Herausforderung.

Aber Anfang bis Mitte Januar sollte das Werk in den Druck gehen :)

Irgendwie hatte ich gehofft, dass ich meinem linken Bein gut tun würde, wenn ich mal eine komplette Sportpause mache. Aber das war ein Trugschluss. Meine schon auf der ersten Radreise aufgestellte Theroie, dass der Körper sich am besten in Bewegung regeneriert, scheint sich zu bestätigen. Die totale Inaktivität tut nicht gut. Ich habe das Gefühl mich komplett aufzulösen.

Das 2017er RAAM habe ich gut weggesteckt, aber unter dem 2014er leide ich noch immer. Es ist als ob mein ganzer Körper irgendwie schief ist, von der Fußspitze bis zur Brustwirbelsäule und dem Zwerchfell. Und jetzt da ich erstmals seit 2009 fast jegliche sportliche Betätigung für mehrere Wochen eingestellt habe, scheinen sich alle durch das „schiefe RAAM“ 2014 angestauten, eingefahrenen Problemchen Bahn zu brechen.

So fühle ich mich gerade wie ein Wrack, obwohl objektiv mein Zustand nach medizinischen Gesichtspunkten gemessen am Alter sehr gut ist. Einzig die Hände der Physiotherapeuten machen den etwas desolaten Zustand der Muskulatur schnell fühlbar.

Ohne Sport ist mein Gewicht innerhalb kürzester Zeit explodiert. Gefühlt nehme ich täglich ein Kilogramm zu. Liegt natürlich auch an meiner Art am Buch zu arbeiten, Milchkaffee und Waffeln helfen mir über Konzentrationsschwächen hinweg, es wird wirklich Zeit, dass dieses Projekt zum Ende kommt.

Auch wenn ich keine konkreten Ziele für 2018 habe, und noch dazu völlig außer Form bin, so habe ich doch in einigen Momenten das Bedürfnis mich auf das Rad zu setzen und loszufahren, sehr lange und weit zu fahren. Noch sind das nur kleine Blitzer, und ohne konkretes Ziel fällt es mir schwer mich für den Wiedereinstieg ins Training zu motivieren.

Aber die positiven Effekte die der regelmäßige Sport auf den Körper hat sind einfach zu velockend um nicht irgendwann die Oberhand zu erlangen. Allein schon der Gedanke daran einen schönen Alpenpass wie das Stilfser Joch hinaufzufahren und die Erinnerung an das schöne Gefühl oben anzukommen vertreibt die Rückenschmerzen und zieht mich auf das im Kickr eingespannte Fahrrad.

Ich hoffe alle Blogleser spüren das ähnlich und können die Feiertage nutzen um in Ruhe zu trainieren oder zu regenerieren.

Und natürlich werde ich euch auf dem Laufenden halten über das Buchprojekt!

 



from WordPress http://ift.tt/2BkGbe8
via IFTTT

Freitag, 17. November 2017

Eine Million

Eine Million – das ist leider nicht der Betrag, den ich als Preisgeld beim Race Across America bekommen habe. Aber es ist die Anzahl der Kurbelumdrehungen, die ich während der knapp zehn Tage abgespult habe.

Eine unglaubliche Zahl! Wie so vieles an diesem monumentalen Rennen eigentlich unglaublich ist. Und doch bin ich mittlerweile wieder vollständig erholt. Die sechs Zehennägel die dran glauben mussten sind schon bis über die Hälfte wieder nachgewachsen, die Hände sind mit Hilfe von 30 Therapiestunden beim Handtherapeuten wieder auf dem Niveau wie vor dem Rennen. Das rechte Bein war schnell wieder in Ordnung, das linke leidet eher noch unter der Tortur von 2014… Unglaublich, dass ich das Rennen damals beenden konnte. Unglaublich, dass wir es bei den nachfolgenden Events so gut im Griff hatten. (Danke an Olli, Mareike, Rebecca und Chris)

Mental habe ich mich extrem schnell wieder erholt. Das gute Ergebnis und die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung hilft da natürlich enorm. Zwischendurch gab es zwar kurze Phasen am Rande des Abgrunds, aber diesmal bin ich nicht über den Rand gegangen. Solche Phasen gehören nach solch einer außergewöhnlichen Anstrengung am mentalen Limit wahrscheinlich dazu.

Nach einer weiteren Phase, in der das RAAM und alles drumherum ganz weit weg von mir war, habe ich mich im Rahmen von zwei Vorträgen sowie der Arbeit  an zwei Buchprojekten wieder dem Thema Race Across Ameria genähert.

Das positive Feedback und das große Interesse an den Vorträgen hat mich auch bestärkt ein kleines Buchprojekt zum RAAM 2017 auf die Beine zu stellen. Wenn alles gut läuft könnten die ersten Exemplare sogar noch vor Weihnachten in den Versand gehen. Dazu demnächst mehr in einem separaten Eintrag.

Neue sportliche Ziele für 2018 habe ich mir noch nicht gesetzt. Ich kann mir vorstellen 2019 noch das Race Around Slovenia und das Race Around Austria zu fahren. Das wären dann aber definitiv die letzten Radrennen die ich bestreiten würde. Dementsprechend langsam wird der Start ins Training nächste Woche sein. D.h. Formaufbau langsam bis 2019…

Vielleicht wäre 2018 das 24h Rennen in Kelheim nochmal eine Option ein bisschen „drinzubleiben“. Alles andere würde ich gerne spontan machen. Allerdings sind die bekannten Events mittlerweile so überlaufen, dass die Hotels schon ausgebucht sind bevor der Termin des Rennens überhaupt feststeht. Selbst die überraschende Verschiebung des Ötzis um eine Woche nach hinten hat nur wenig Kapazität in Sölden freigemacht…

Abgesehen davon bin ich auch finanziell durch die zwei RAAM-Teilnahmen noch so ausgeblutet, dass ich mich auch da erst mal erholen muss, und das dauert wahrscheinlich deutlich länger als die physische Erholung.

Anyway, ich freue mich auf den Wiedereinstieg ins Training nach einigen Wochen „Arbeit im regenerativen Bereih“ (oder genauer: Faulenzen)



from WordPress http://ift.tt/2zHTmZc
via IFTTT

Freitag, 27. Oktober 2017

RAAM 2017 Rennbericht Teil 10 – Der Weg zum Ziel

10 Tage. Eine magische Marke für das Race Across America. Die unterscheidet die „Finisher“ von denen, die wirklich um die ersten Plätze kämpfen können.

Vielleicht war es arrogant von mir dieses Ziel ernsthaft als erreichbar einzuschätzen. Andererseits, genau deswegen fahre ich dieses verdammte Rennen nochmal. Damit ich mir selbst und vielleicht auch allen anderen, beweisen kann, dass ich mehr bin als „nur“ ein Finisher, dass ich hier wirklich ums Podium kämpfen kann, dass dieses Rennen wirklich für mich gemacht ist.

Wir sind nun knapp neun Tage unterwegs und noch unendlich weit vom Ziel entfernt. Andererseits, noch vier Time Stations und „Hanover“ ist erreicht, von dort glaube ich meinen Endspurt ansetzen zu können. 2014 begann ab dort die beste Phase des Rennens für mich, und jedesmal wenn ich per Dotwatching die Rennen seitdem verfolgt habe, war die TS 51 das Symbol für den Endspurt.

Aber das war Theorie zu Hause. Und 2014 ist drei Jahre her. Jetzt bin ich über 50 Jahre alt. Und ich befinde mich gerade „in der Praxis“. Nur mit Mühe habe ich die letzte Time Station erreicht. Ich musste an die mentale Grenze gehen um sie überhaupt zu erreichen. Die Crew musste ganz schön arbeiten um mich am Laufen zu halten.

Es ist Abend als ich auf das Rad steige. Der nächste Abschnitt soll relativ einfach sein. Ich reagiere allerdings recht empfindlich auf den Verkehr. Und es geht schon teils ordentlich bergauf und bergab. Der Abschnitt hat allerdings mit ca. 50 Meilen eine Länge die ich mag. So scheint das erreichen der nächsten TS machbar und wir nähern uns der TS 50 immer mehr.

Die Crew ist ziemlich gut drauf und nach meinem seltsamen Stopp vor der letzten Schlafpause spüren sie, dass ich jetzt jede Unterstützung gut gebrauchen kann.

Ich fühle mich eigentlich erst mal ganz gut nachdem ich die ersten zähen Kilometer überwunden habe. Ich habe auch nicht die geringste Sorge wegen des kommenden Abschnitts mit vier sehr steilen Steigungen. Aber als wir TS 48 erreichen, drehen meine Begleiter nochmal richtig auf.

Diese, laut Route Book „most difficult section of RAAM“ beinhaltet vier steile Anstiege. Wir befinden uns in den Appalachen. Da ist das nicht verwunderlich. Allerdings kann ich mindestens zwei Sektionen nennen die diesen Titel sicher mehr verdient haben…

In die Nacht hinein kämpfe ich mich nun die Anstiege hoch. Dabei feuert mich die Crew an als wären wir beim WM-Endspiel in der Verlängerung. Jeden Meter brüllen mich die Mädels und Jungs aus dem Followcar berghoch. Dirk und Thorsten laufen manchmal nebenher und reichen nicht nur Getränke, sondern feuern mich auch an. Saron überholt mich, fotografiert, feuert mich an, selbst das Wohnmobil ist nicht weit und ich bekomme immer wieder Anfeuerung vom Straßenrand.

Wirklich sensationell. (Natürlich trägt es zur guten Stimmung bei, dass das Ziel nun so nahe ist und zumindest die Wahrscheinlichkeit zu finishen sehr hoch ist.) So komme ich die Anstiege ganz ordentlich hinauf und erreiche die nächste Time Station noch deutlich vor Mitternacht.

Jetzt bin ich also auf dem Weg zu TS 50, Eigentlich geil. Jetzt sollte langsam die „Endspurtpower“ kommen. Jetzt sollte ich Mark Pattinson angreifen können. Allerdings hat er seinen Vorsprung auf mittlerweile zweieinhalb Stunden ausgebaut. Meine Schlafpause konnte ich also kaum wieder herausfahren.

Nach hinten allerdings sieht es ganz gut aus. McKenna ist wieder zurückgefallen, Brian Toone ist der härteste Verfolger, der hat aber ca. sechs Stunden Rückstand. Nichts worauf man sich ausruhen könnte, aber immerhin gibt mir das zur Not Luft für eine lange Schlafpause.

Allerdings hält die Crew das Ziel unter 10 Tage immer noch für realistisch, so dass an eine Schlafpause wirklich nicht zu denken ist.

Ich fahre nun in der tiefen Nacht und ich muss gegen heftige Müdigkeit und den Wunsch abzusteigen und Pause zu machen ankämpfen. Die Crew auf dem Auto ist noch immer euphorisiert vom letzten Abschnitt wo mich alle die Anstiege hochgebrüllt haben. Klaus feuert mich ununterbrochen halb aus dem Auto hängend an. Ich erinnere kurz daran, dass wir an dem Gettysburg Schlachtfeld vorbeikommen und dort „angemessen leise“ sein müssen.

Nun bin ich über Funk also nur noch von Chris unterhalten und wach gehalten, denn ich habe wirklich sehr mit Müdigkeit zu kämpfen. Wieder habe ich das Gefühl im Kreis zu fahren. Alles sieht gleich aus und es geht erstaunlich steil berghoch und bergab. Ich kann mich nicht erinnern, dass das 2014 so war. Von Endspurt keine Spur, sondern nerviges Auf und Ab.

Ich müsste kurz stoppen. Allerdings gibt es hier fast keine Möglichkeit regelkonform anzuhalten. Wir finden dann doch eine Möglichkeit, zumindest erscheint es mir so und ich halte einfach an. Wir stehen keine 5 Sekunden als wir aus dem Dunkel beschimpft und bedroht werden.

Eine wild kreischende Frauenstimme droht uns mit wüsten Beschimpfungen. Und keine zwanzig Sekunden später springt ein V8 an und das Grummeln des brutal klingenden Motors kommt schnell näher. Ein heruntergekommener Pickup kommt aus dem Dunkel und hält neben uns. Ein wild aussehender Typ bedroht uns sofort aus dem Auto heraus (und ich bin sicher, er hatte sein Gewehr auf dem Schoß auf uns gerichtet) und will, dass wir verschwinden.

Klaus versucht ihn zu beruhigen und erklärt, dass wir keine Räuber sind und ich nur eine kurze Erholungspause brauchte und dass wir ein Radrennen bestreiten. So ganz glaubt der Typ uns diese, zugegeben verrückt klingende, Geschichte nicht, aber lässt uns großzügiger Weise zwei Minuten um zu verschwinden.

WTF! Anyway, wir machen, dass wir wegkommen, mehr Motivation braucht es gerade wirklich nicht. Ich bin froh, dass wir ohne Schussverletzungen davon kommen und versuche jetzt wieder in einen halbwegs vernünftigen Rhythmus zu kommen.

Aber der zusätzliche Adrenalinstoß hält nur kurz. Die Müdigkeit und körperliche Schwäche übermannt mich wieder. Ich schalte viel mit dem Umwerfer ohne recht zu wissen warum. In meinem Kopf entstehen Geschichten um den Schaltvorgang die nichts mehr mit seiner eigentlichen Funktion zu tun haben. Manchmal blitzt der Verstand durch und ich verstehe was ich tue und merke wie sinnlos ich gerade die vorderen Kettenblätter wechsle, aber dann versinke ich wieder in diesen psychedelisch, abstrusen Bildern.

Ich will eigentlich nur, dass die Nacht zu Ende geht, dass das Radfahren zu Ende geht, dass überhaupt alles zu Ende geht und ich endlich absteigen kann. Immer wieder kommen die gleichen Lichter, die gleichen Hügel, wir fahren bestimmt nicht mehr auf der richtigen Strecke. Das Geschwätz von Chris geht mir tierisch auf den Senkel, aber wenn er aufhört zu reden weiß ich kaum, dass ich treten muss um berghoch zu fahren. Also bin ich gleichzeitig dankbar und genervt.

Verdammt, ich wollte ja an die „mentale Grenze“ gehen, meine größte Enttäuschung 2014 war, dass ich das nicht machen konnte, da ich durch die Probleme mit dem linken Bein daran gehindert wurde. Nun bin ich wohl an dieser Grenze, und es ist wirklich scheiße. Das ist kein „Ort“ wo ich sein will.

Alles in mir sagt „bleib stehen“, „halte an“, wann ist der Mist nur endlich vorbei? Ich muss jetzt aber durch. Ich muss weiterfahren, dieser Abschnitt muss ja auch irgendwann aufhören.

Oder bin ich hier in einer Endlosschleife gefangen? Ist das die Hölle? Immer und immer wieder die gleichen widerlichen Hügel zu fahren, immer im Kreis, im Dunklen hier irgendwo in Maryland? Ich kann mich noch vernünftig mit der Crew unterhalten, die versichern mir, wir fahren nicht im Kreis, aber die Meilenzahl bis zur TS, die sie mir nennen, scheint nicht kleiner zu werden.

Wieder versinke ich in Bildern und Geschichten die sich als Versuch auf‘s große Kettenblatt zu schalten herausstellen. Ich versuche mich zusammenzureißen. Ich muss durch diese verdammte Etappe kommen. Hanover erreichen, den Endspurt anziehen, unaufhaltsam Mark Pattionson einholen. Und dann wieder Bilder, Farben, ich habe wieder sinnlos den Umwerfer geschaltet. Oder habe ich gerade runtergeschaltet um berghoch zu fahren?

Ich habe keine gute Koordination mehr. Ich merke noch, dass ich meine Hände wieder an der Stelle belaste wo der Ulnaris vom Unterarm in die Hand läuft. Eine wirkliche Schwachstelle von mir, ich habe es acht Tage gut kontrolliert, aber nun sind alle kleinen Hilfsmuskeln erschöpft, ich sitze nur auf dem Rad weil ich anscheinend immer auf dem Rad sitze. Aber nichts mehr ist wirklich kontrolliert über den Punkt hinaus wo ich das Fahrrad lenke und auf der Straße halte.

Die Nacht hört nicht auf. Ich fahre im Kreis, oder doch nicht? Die Meilen fließen so zäh wie Kontinentalplatten, Chris im Ohr erzählt mir, dass ich nun bergab doch Schwung für den nächsten Anstieg mitnehmen soll und ordentlich reintreten soll. Häh, du willst mir was von Radfahren erzählen? Aber was sollte ich nochmal machen? Und was ist das für ein seltsames Bild, das gerade wieder zu einem Schaltvorgang am Umwerfer verschwimmt.

Ich muss durchhalten, weiterfahren. Und ich fahre weiter. Irgendwann, wirklich irgendwann erreichen wir tatsächlich die nächste Time Station. Gerade mal 48 Meilen bin ich voran gekommen, deutlich über vier Stunden hat es gedauert, dabei hat es sich angefühlt wie vier Jahre.

Und der Weg nach Hanover ist fast nochmal genauso lang. Und es geht genau so weiter. Immerhin fahren wir irgendwann in den Sonnenaufgang hinein. Endlich der Nacht entfliehen.

Thorsten und Meike sind nun am Mikro auf dem Followcar, die sagen mir ich soll etwas Gas geben, die 10 Tage Marke ist immer noch im Bereich des Möglichen. Außerdem können wir ja noch Mark Pattinson angreifen, der ist immer noch drei Stunden vorraus.

Mir ist Pattinson aber gerade völlig egal. Trotzdem versuche ich Gas zu geben wie es nur geht. Unter 10 will ich auf jeden Fall fahren. Vor allem nachdem ich nun weiß, egal wie das hier ausgeht, dass meine Annahmen alle völlig realistisch waren. Auch 2014 waren sie es schon. Und ich weiß nun, dass es richtig war das RAAM nochmal zu fahren um das „klarzustellen“. Ich weiß auch, dass selbst 10 Tage und 2 Stunden eine gute Zeit für das diesjährige RAAM wäre. Mehr Meilen, mehr Höhenmeter, mehr Hitze, mehr Kälte, mehr Gegenwind. Wenn ich dieses Ding finishe, das wäre ein Riesenerfolg. Noch nie hatte ich ein DNF und ich will auch jetzt keines. Also nochmal richtig kämpfen.

Durch das Tageslicht geht es mir wieder erheblich besser, allerdings kommt die erhoffte „Endspurtpower“ nicht. Ich nehme aber alle noch verbliebenen Kräfte zusammen um das Tempo hoch zu halten.

Die Strecke ist nicht so wie ich sie mir vorgestellt hatte, es gibt doch noch einige signifikante Steigungen. Das habe ich 2014 gar nicht so wahrgenommen. Jetzt merke ich die allerdings deutlich in den Beinen. Trotzdem bin ich immerhin schneller als bei dem Gegurke heute nacht.

So erreichen wir TS 52 nach ca. drei Stunden. Die Crew hat den Penalty Status gecheckt und wir müssen kein Penalty absitzen. Sehr gut, auch wenn wir zwei Verwarnungen bekommen haben, das ganze Team hat hier richtig gut gearbeitet! Ich bin schon jetzt stolz auf die Crew.

Aber erst mal gilt es nun ins Ziel zu kommen. Und noch kämpfe ich um die 10 Tage Marke. Nochmal bekomme ich die Anweisung zum Endspurt. Ich lege also richtig los mit Vollgas, es können ja nur noch ein paar Meilen sein, dann kommt der Zielstrich oder?

Wir fahren durch sehr schöne Landschaft, offensichtlich haben einige reiche Häuslebauer dieselbe Einschätzung, aber Ziellinie kommt keine. Waren es ab hier nicht nur noch ein paar flache Meilen?

So langsam geht mir die Luft aus mit dem „Vollgas“. Ich versuche das Tempo zu halten, geht aber nicht, so falle ich wieder in einen „normalen“ Rhythmus zurück. Wir fahren schier endlos durch diese eigentlich faszinierende Gegend, kommen dann aber auf einen vielbefahrenen Highway.

Das kann doch nicht sein, die Ziellinie sollte doch nur ein paar Meilen weit sein. Die Zeit verrinnt. Keine Endspurtpower, keine Ziellinie, und nun auch noch extrem nerviger dichter Verkehr auf irgendwelchen überfüllten Highways und wir fahren an jeder Abfahrt vorbei. Das kann nicht sein, wir müssen uns verfahren haben. Ich kann mich doch genau an 2014 erinnern, gleich muss auf jeden Falls diese verdammte Ziellinie kommen?!

Kommt sie aber nicht. Es ist schwülwarm, geradezu unerträglich schwülwarm. Ich frage nach beim Followcar, aber die Antwort ist nur, dass es noch etwas dauert und wir auf der richtigen Strecke sind.

Ich will jetzt endlich, dass es zu Ende ist. Außerdem muss ich auf die Toilette. Und zwar dringend. Mein Ersuchen um einen Stopp wird freundlich aber bestimmt abgelehnt.

Mittlerweile haben wir endlich den Highway wieder verlassen, nur die verdammte Ziellinie will nicht näher kommen. Da, eine Tankstelle, ich biege einfach ab und halte zur Überraschung meiner Begleiter an. Sorry musste sein. Auf der Toilette sind es minus 20° C. Ist mir aber egal.

Alle sind im „wir haben es bald geschafft“ Fieber, aber ich musste diese Pause machen und quäle mich nun wieder auf‘s Rad. Weiter geht‘s. Ich versuche tatsächlich nochmal den Endspurt zu fahren, aber genau genommen muss ich sehen, dass ich überhaupt noch bis zum Ziel durchhalte.

Die Ziellinie ist immer noch nicht da, nochmal biegen wir kompliziert in einem Ort ab und fahren noch etwas „über Land“. Dann endlich, endlich, unglaublich, die verdammten Hütchen, die Ziellinie, die das Ende der Zeitmessung markiert.

Wenn man diesen Punkt erreicht hat, dann hat man offiziell gefinished. Man fährt noch ein Stück weiter bis zu einer Tankstelle. Dort trifft man auf die Officials die einen bis zum Hafen in Annapolis begleiten. Die Zeit bis dorthin wird fest mit zwanzig Minuten gerechnet. Man fährt im sogenannten Parademodus.

2014 ist mir an dieser Tankstelle, als ich vom Rad abgestiegen bin, sämtliche Kraft aus den Gliedern gefahren und diese Fahrt im Parademodus war seltsamerweise mit der schmerzhafteste Abschnitt überhaupt.

Was wenn das diesmal genauso ist? Ich realisiere es noch nicht richtig, ich habe das Ding gefinished?! Die Quälerei ist vorbei?! Es ist tatsächlich vorbei!

Glücksgefühl strömt durch den Körper. Ich habe tatsächlich das Race Across America zum zweiten Mal gefinished! Wahnsinn. Und das bei diesem schweren Rennen. Und eines ist klar, ich habe es nicht nur gefinished, sondern ich habe meine AK gewonnen und bin auf dem Gesamtpodium gelandet.

Was ist mit der Zeit? Die letzten Meter bis zur Tankstelle sind sensationell. Das sind eigentlich die paar hundert Meter für die man die knapp 5000 Kilometer zuvor zurückgelegt hat.

Ich rolle auf die Shell Tankstelle. Die komplette Crew ist da, alle auch die Wohnmobilbesatzung. Was für eine Freude! Was für eine Crew! Ich genieße jede einzelne Umarmung mit jedem einzelnen Teammitglied. Die Officials gratulieren mir, und ich bekomme die offizielle Finisherzeit: 9 Tage 22 Stunden 40 Minuten.

 

9 Tage 22 Stunden 40 Minuten. Am liebsten würde ich mir das sofort auf den Unterarm tätowieren lassen. Ich habe mir wirklich ambitionierte Ziele gesetzt. Und habe sie alle erreicht. Mein ganzer Körper besteht nur noch aus Zufriedenheit.

Vor ein paar Stunden noch war ich an meiner mentalen Grenze, jetzt erlebe ich einen der schönsten Momente meines Lebens.

Wir machen ein Gruppenfoto und das Schöne ist, dass es nicht nur so ein ultraschöner Moment für mich ist, sondern eben für das gesamte Team. Alle Crewmitglieder sind Teil dieses Erfolges, alle Crewmitglieder sind RAAM-Finisher. Das das Ganze eine Teamleistung ist wurde nirgends so deutlich wie in der letzten Nacht. Neben meiner Zufriedenheit fühle ich auch Dankbarkeit. Vor allem gegenüber dem Team, aber auch grundsätzlich bin ich dankbar für das Privileg dieses Rennen bestreiten zu können und es gefinished zu haben.

Nach all den großen Emotionen gilt es allerdings noch die letzten Meilen zum Hafen in Annapolis zurückzulegen. Aber im Gegensatz zu 2014 fühle ich keine Schmerzen, sondern wir haben wirklich Spaß auf diesem allerletzten Abschnitt.

Nachdem Vic Amijo 2014 nach dem Rennen geschrieben hatte, „there was nothing flashy about him“, was zwar positiv gemeint war, mich aber doch etwas provoziert hat, bin ich diesmal vorbereitet. Für den Zieleinlauf ziehe ich nochmal frische Klamotten an und mein original Flash T-Shirt.

Und so rollen wir in Annapolis ein und haben nochmal den schönen Moment mit dem Zieleinlauf am Hafen. Finisher des Race Across America 2017!

Hammer. Nach Überreichung der Finishermedaille gibt es noch ein Interview mit George Thomas. Was für ein Unterschied, ich spüre den Respekt den er mir entgegenbringt. 2014 war er zwar auch freundlich, aber er ist selbst ein erfolgreicher Ultradistanzfahrer. Und natürlich weiß jemand wie er, was es heißt dieses Rennen zu finishen, aber ich war eben „nur“ ein Finisher. Aber diesmal habe ich Marko Baloh deutlich geschlagen und damit die Alterklasse gewonnen, zudem haben wir Mark Pattinson ordentlich unter Druck gesetzt und sind Dritter insgesamt geworden, und wir haben dieses wirklich schwere RAAM unter 10 Tagen beendet. Diesmal sieht er mich offensichtlich mit anderen Augen. Ein Moment den ich zugegebenermaßen genieße.

Nun ist es wirklich vorbei. Wir haben jetzt tatsächlich zwei Tage zeit. Es ist geschafft, das Rennen liegt hinter mir. Ich lege mich auf das schön warme Pflaster in die Sonne, schließe die Augen und genieße den Moment. Solche Momente, in denen man gerade etwas großes, außerordentlich anstrengendes erreicht hat, und nun für einige Minuten völlig frei ist, von jeder Verpflichtung, von jedem Ziel, von jeder Anstrengung, gibt es nur wenige im Leben. Diesen Moment gerade genießen zu können ist ein enormes Privileg.

Es dauert eine Weile bis wir dann im Hotel ankommen. Ich nehme mir fest vor wachzubleiben und noch, und wenn‘s nur eine Stunde ist, mit der Crew zu feiern. Aber nachdem ich erst mal im Hotelzimmer bin, fällt es mir schwer wachzubleiben. Schließlich verliere ich den Kampf und schlafe ein. Auch Katrins versuche mich zu wecken schlagen fehl.

So feiert die Crew in Annapolis unseren wunderbaren Erfolg. Ich kehre erst zwölf Stunden später wieder unter die lebenden zurück. Das Gefühl auzuwachen, ausgeschlafen, in einem Bett zu liegen und zu wissen, dass man gleich gemütlich zum Frühstück schlendert – unbeschreiblich…



from WordPress http://ift.tt/2xrUHiy
via IFTTT

Sonntag, 1. Oktober 2017

RAAM 2017 Rennbericht Teil 9 – Das Racing beginnt

Bald werden wir den Mississippi River erreichen, ich kämpfe um den Sieg in der Altersklasse und ich kämpfe ums Gesamtpodium. Theoretisch ist sogar noch eine Zeit unter 10 Tagen drin, auch wenn ich praktisch nicht mehr daran glaube. Aber letztlich hat sich alles was ich mir erhofft hatte bis hierhin eingestellt.

Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so hart ist. Und das, obwohl ich das Rennen ja schon mal gefahren bin. Und damals, 2014, war es brutal. Aber diesmal ist es noch eine Stufe härter. Das Wetter unterstützt die Zeit nicht und die Gegner sind zäher als gedacht. Mark Pattinson habe ich definitiv etwas unterschätzt. Ich hatte damit gerechnet in der Mitte des Rennens etwas auf ihn gut zu machen, damit er mich mit seinem durchgehend konstanten Tempo, auch gegen Ende des Rennens, nicht mehr einholen kann. Jetzt liegt er vor mir. Marko Baloh habe ich einen Hauch stärker eingeschätzt, aber ich glaube der kommt nochmal richtig.

Patrick Grüner hatte ich als Geheimfavorit eingeschätzt, er hat auch entsprechend angefangen, nun lässt er aber etwas nach. Zwar momentan noch unerreichbar für mich, aber der ist noch lange nicht durch. Strasser erwartet stark, kein Zweifel mehr an seinem Sieg wenn er heil ankommt. Aber auch das muss er erst mal schaffen. Statistisch gesehen, wird die Ausfallquote ab dem Mississippi River zwar deutlich geringer, aber einer der ersten fünf wird bestimmt nicht ankommen, ich hoffe, dass nicht ich es bin, auch wenn ich es für keinen anderen hoffe.

Aber ich glaube, dass ich mit das stärkste Team habe. Alle scheinen gut zusammenzuarbeiten und sich gut zu verstehen. Mir ist klar, dass sie eventuelle Unstimmigkeiten nicht unbedingt an mich herantragen werden, aber ich spüre schon, dass einfach mehr Luft bleibt für das Team mich zu unterstützen als es 2014 der Fall war, was bedeutet, dass es untereinander besser funktioniert und die Belastung so für den Einzelnen etwas geringer ist.

Aber mir ist auch klar, dass wir noch unglaublich weit vom Ziel entfernt sind. Und dass es jetzt wirklich hart wird, für mich, aber auch für jedes einzelne Teammitglied. Wir sind jetzt sechseinhalb Tage unterwegs, nun kommt die kritische Phase.

Diese Gedanken gehen mir durch den müden Kopf auf den ersten Kilometern von Washington MO in Richtung Mississippi River. Wir fahren in den Morgen hinein, die Straßenführung ist für mich extrem verwirrend, aber die Crew navigiert sehr souverän. Ich finde die Landschaft seltsam, dieses Gekurve auf Nebenstraßen an, über, um die Highways und vor allem um den Großraum St. Louis herum. Es ist außerdem recht kühl.

Es dauert nicht lange und ich sehe Marko Baloh vor mir. Er hat ja einen anderen Schlafrhythmus als ich. Und kurz darauf taucht auch noch Pattinson vor uns auf. Damit liegen wir drei nun kurz vor dem Mississippi River ganz dicht zusammen. Eine eher ungewöhnliche Konstellation für RAAM Verhältnisse, gerade vorne im Feld.

Eigentlich habe ich gar keine Lust jetzt zu überholen und einen Kampf um Platz drei anzuzetteln. Aber als Baloh neben Pattinson fährt um sich etwas zu unterhalten (bis zu 15 min darf man nebeneinander fahren) und ich aufschließe, und mein etwas gequält fröhliches „good morning“ nur leichtes Kopfnicken und irgendwas gemurmeltes hervorruft, denke ich mir dann eben nicht und gebe etwas Gas und fahre davon.

Ich merke schon beim wegfahren, dass das nicht ohne Gegenreaktion bleibt, obwohl die beiden noch etwas zusammen weiterfahren.

Das Gekurve auf, für mich, etwas verwirrender Streckenführung geht noch eine Weile weiter, und es dauert viel länger als gedacht bis es tatsächlich soweit ist und wir den Mississippi River überqueren.

Pattinson und Baloh haben mich zwar schon wieder überholt, aber es ist sensationell, wieder habe ich diese entscheidende Stelle erreicht. Es ist zwar nur Statistik, aber die hat sich nun schon seit Bestehen des Rennens immer wieder bestätigt, ab hier ist die Quote der Fahrer die ankommen sehr sehr hoch. Und dieses Rennen ein zweites Mal zu finishen würde mir sehr viel bedeuten. Ich habe längst kapiert wie hart es dieses mal ist, und das Platzierung und Zeit nicht mehr so wichtig sind sondern dass es ums Durchkommen geht.

Andererseits, meine Beine sind sogar besser geworden. Auf Behandlung durch Meike kann ich mittlerweile wieder verzichten. Nicht aber auf die Behandlung durch die Physios. Wobei Chris und Rebecca beide der Meinung sind, das meine Beine nun deutlich lockerer sind als zu Beginn des Rennens.

Es läuft auch ganz gut. Die Beine funktionieren, der Kopf ist recht wach, ich komme ganz vernünftig vorwärts. Ich habe allerdings kein Bedürfnis die beiden vor mir anzugreifen, ich will immer noch erstmal mein Ding durchziehen. Da bin ich mental etwas schwächer als 2014, wo jeder Fahrer in der Nähe mich extrem angespornt hat.

Andererseits läuft es im Moment so gut, dass ich sogar Gelegenheit habe mir endlich mal wieder die Zähne zu putzen. Durch das ganze Ensure und Sponser Competition, alles ja recht süß, habe ich einen pelzig, mumpfigen Geschmack im Mund. Für Zahnhygiene bleibt wenig Zeit während des Rennens. Nun genieße ich das Zähne putzen in voller Fahrt. Dirk dreht ein Video davon und wir posten es auf Facebook. Es wird ein Hit mit weit über tausend Zugriffen. Es muss also nicht immer nur „Leiden“ sein. :)

LINK YouTube

Pattinson, Baloh, Löhr liegen die nächsten Time Stations immer innerhalb einer halben Stunde, wir nähern uns aber Gruener mit großen Schritten. Dann kommt die Meldung, dass der aufgeben muss. Irgendwas mit „medizinischen Gründen“ ist die erste Information, es scheint aber nichts schwerwiegendes zu sein. Schade, ein vielversprechender Rookieauftritt, wäre spannend gewesen zu sehen welche Zeit er ins Ziel gebracht hätte.

Anyway, nun gibt es eine neue Situation, wir drei Kämpfen jetzt um Platz zwei im Gesamtklassement. In dem Moment mache ich mir allerdings wenig Gedanken darum. Die letzte Etappe vor der Schlafpause hat mir deutlich vor Augen geführt wie hart dieses verdammte Rennen ist und ich will einfach nur durchkommen. Wird schwer genug…

Ich bekomme eine Pause mit Obst und Avocado mit Zitronensaft, vor allem Toilettenpause und natürlich auch Behandlung der Beine. Die musste ich mir auch zwischendurch nochmal nehmen. „Es läuft gut“ heißt beim RAAM in diesem Stadium schon etwas anderes als im normalen Radfahrleben…

Nachdem wir Missouri und Ilinois durchquert haben, erreichen wir nun Indianapolis. Ein Teilziel für mich ist der nächste Staat Ohio, es ist ein gutes Gefühl dem schon so nahe zu sein (für RAAM Verhältnisse natürlich). Ich mag es auch, dass die Abstände zwischen den Time Stations gerade nicht so lange sind, meist um die 50 Meilen.

Es ist eigentlich recht warm, gegen Abend erwischt uns allerdings ein etwas längerer Regenschauer. Ich verzichte aber auf großartig Regenklamotten.

Die Landschaft ist immer noch landwirtschaftlich geprägt. Die Siedlungen bringen etwas Abwechslung, wirken aber selten beeindruckend. Nur einmal werde ich überrascht, als plötzlich rechts am Straßenrand eine große Deutschlandfahne weht und ein Vater mit seinem Sohn im Arm die Fahne schwenkt und mich anfeuert. Sehr cool, vielen Dank!

Auch aus Deutschland bekomme ich weiterhin Anfeuerung per Mail, Voicenachricht, Twitter, Facebook und Blogkommentaren. Da wir sehr zeitnah berichten, bekommen wir auch viel Feedback, wirklich sehr sehr geil. So hatte ich mir das gewünscht. Ich bin wirklich happy, dass Saron das so gut umsetzt.

Aber das ganze Team hat mich bis hierhin fantastisch unterstützt, ich habe wirklich das Gefühl, dass ich mich auf jeden Einzelnen verlassen kann und egal wer auf dem Auto sitzt, ich fühle mich wirklich wohl.

So erreichen wir nach knapp sieben Tagen und zehn Stunden Bloomington IL, mitten in der Nacht. Eine zwei Stunden Schlafpause steht an. Strasser hat mittlerweile deutlich mehr als einen Tag Vorsprung, um den Gesamtsieg kämpfen kann ich nicht mehr, aber der zweite Pattinson liegt nur anderthalb Stunden vor mir. Und mein momentan einziger ernsthafter Konkurrent in der Altersklasse liegt drei, vier Stunden zurück. Anscheinend hat Baloh Probleme bekommen und musste eine längere Pause machen, ich kann mich gar nicht erinnern ihn überholt zu haben. Von außen muss das ziemlich gut aussehen. Aber ich fühle mich nicht sonderlich stark im Moment. Die letzten Etappen waren gut machbar, das Tempo war okay, aber ich bin schwächer als 2014. Vor allem mental und diese Erkenntnis nagt schon eine ganze Weile an mir. Es wird ein hartes Stück Arbeit dieses Rennen ins Ziel zu bringen.

Aber jetzt werde ich erst mal schlafen…

Die zwei Stunden sind schnell vorbei, für mich und natürlich auch für das Team. In diesem Stadium des Rennens hat jeder schon ein ordentliches Schlafdefizit aufgebaut. Die Duschgelegenheiten für das Team waren auch eher selten, ich verzichte ja ganz auf das Duschen, nur die Sitzfläche muss immer sehr sauber gehalten werden, die Beine, vor allem die Waden sind längst umgeben von mehreren Schichten aus Straßenstaub, die durch Sprühsonnencreme SF100 zusammengehalten werden.

Aber wir wollen ja hier ein Rennen auf dem Podium beenden. Genauer, das vielleicht schwerste Radrennen überhaupt. Also klettere ich etwas ungelenk mitten in der Nacht auf‘s Rad, die Followcarcrew nimmt einen ordentlichen Vorrat an coffeinhaltigen Getränken mit ins Auto und weiter geht‘s. Ich will endlich Ohio erreichen.

Das Fahren in der Nacht fällt mir durchaus schwer, aber bald kann ich in den Sonnenaufgang fahren, was neue Motivation bringt und das Fahren für alle einfacher macht. Als es hell wird, haben wir eigentlich recht schöne Landschaft um uns herum. Das Fahren macht durchaus Spaß, die Sitzfläche ist einigermaßen ok, die Beine fühlen sich nicht sensationell gut an, aber ich habe keine massiven Schmerzen und nachdem der Motor angesprungen ist, kann ich ganz ordentlich fahren.

Es gibt einige nennenswerte Hügel zu bewältigen, teils auch verkehrsreich, dann aber wieder durch eher einsame Straßen und vorbei an großen Häußern, umgeben von riesigen Wiesen mit großen, teils alten Bäumen darauf. Dabei steht meist ein sehr großer schwarzer SUV und/oder ein sehr großer Pickup Truck in der Einfahrt vor der Garage.

Ich bekomme eine unglaubliche Lust darauf in einem Liegestuhl auf einer dieser Wiesen zu sitzen, unter einem dieser Bäume, und zu lesen. Ja ich habe extreme Lust sofort alles hinzuschmeißen und so ein Haus zu kaufen, damit mich mit meinem riesigen schwarzen SUV einkaufen fahren kann und sonst mit meinem Buch unter diesem Baum sitzen und lesen kann. Mit jedem neuen Haus dieser Art, und es sind wirklich einige, wird dieses Bedürfnis stärker. Der Großteil meiner Gedanken dreht sich um diese Vorstellung.

Ich freue mich natürlich über die Beschilderung der RAAM Strecke, die hier von engagierten Fans des Rennens bis zur TS 42 angebracht ist. Ist doch immer eine schöne Unterstützung, zusätzlich zur Navigation aus dem Followcar, auch wenn diese bis jetzt super funktioniert hat. Kurz ärgere ich mich nochmal, dass das mit den Garminkarten nicht funktioniert, wirklich eine erbärmliche Vorstellung von Garmin. Mein Entschluss nach dem Rennen alle Garmingeräte zu verkaufen festigt sich.

Auch als wir Ohio erreichen ändert sich die Landschaft zunächst nicht sonderlich. Immer wieder Häuser am Straßenrand die alleine auf riesigen Grundstücken stehen, frisch gemähte Wiesen, herrliche Bäume, und meine Sehnsucht danach, dort zu sitzen und zu lesen.

Faszinierend für uns, wir kommen nun in ein Gebiet, das nicht nur von deutschen besiedelt wurde, sondern dass auch eine deutsche Tradition pflegt. Die Städte- und Ortsnamen sind eindeutig deutschen Ursprungs, die Straßenschilder sind deutsch mit englischen Untertiteln. Vor allem zwischen Greensburg und Oxford fahren wir durch wirklich wunderbare Siedlungen. Der Rasen scheint noch etwas akkurater gemäht, die Autos noch gänzender geputzt, die Häuser extrem gepflegt und in Schuss, meine Sehnsucht hier zu wohnen mit dickem Auto, dickem Haus und einfach nur da zu sitzen und zu lesen wächst.

Es gibt einige kleine Steigungen zu bewältigen und so hilft mir meine Sehnsucht nach einem „guten“ Buch und dem Leben wie ich es mir in diesen Häusern vorstelle, mich von der Anstrengung abzulenken. Interessanterweise ist nur selten ein Mensch zu sehen vor diesen Häusern.

Wir passieren die Time Stations 41 und auch 42, die ja recht umtriebig sind und sogar eigene Websites betreiben. Mein Tempo ist nicht sensationell, aber eigentlich geht es ganz gut. So fahren wir nach einer kleinen Pause, wo auch ein Crewwechsel auf dem Followcar stattfindet gegen Abend in Chillicothe ein. Noch ist es hell. Da hält uns plötzlich ganz aufgeregt ein Official an. Das Licht am Followcar hat nicht geleuchtet. Kurze Überprüfung und es stellt sich heraus, dass der Lichtschalter auf „Automatik“ stand und die Automatik eben gedacht hat es ist noch hell genug. Nur was weiß die verdammte Automatik schon von den Regeln des Race Across America? Genau diese Situation wurde übrigens in der Teamchefbesprechung angesprochen.

Da es noch taghell ist, bekommen wir kein Penalty aber eine schriftliche Verwarnung. Wir dürfen weiterfahren und sollen sie an der Time Station ausgehändigt bekommen. Wir sind trotzdem etwas verunsichert, sollen wir also an der TS halten und warten? Die TS ist hier eigentlich nur eine Kreuzung. Wir diskutieren etwas was mir machen sollen, und was die schriftliche Verwarnung bedeutet. Außerdem ist es ja unsere zweite Verwarnung, heißt das wir haben jetzt ein Penalty?

An der Kreuzung, die auch Time Station ist, ist rot, der Official steckt uns die Verwarnung zu. Das hat sich also schon mal erledigt. Aber selbst als wir den Ort verlassen haben diskutieren wir noch etwas ob wir nun ein Penalty bekommen oder nicht.

Und dann plötzlich – Streckenabweichung! Wir haben einen Abzweig verpasst, verdammt. Nicht dramatisch viel, vielleicht so ein, zwei Meilen. Ich muss aber vom Rad und mit dem Followcar zu dem Punkt gefahren werden wo wir die Strecke verlassen haben. Natürlich müssen wir vorher die Rennleitung informieren.

Eigentlich ist alles schnell erledigt, ich genieße die paar Minuten, die ich nicht auf dem Rad verbringen muss. Aber der GPS Tracker spielt verrückt und Chris muss mit der Rennleitung konferieren, die etwas ratlos wirken. So verzögert es sich nochmal etwas bis ich das Signal bekomme weiterzufahren.

So hat uns die Diskutiererei über die schriftliche Verwarnung und ob das ein Penalty für uns bedeuten wird wohl soviel Zeit gekostet wie ein Penalty, denn dadurch haben wir den Abzweig verpasst.

Anyway, ich ärgere mich zwar, aber letztlich war es nicht dramatisch viel Zeit. Andererseits baut Pattinson seinen Vorsprung zwar langsam aber stetig auf fast zwei Stunden aus. Baloh hingegen ist deutlich zurückgefallen, der liegt nun über sechs Stunden hinter uns. Allerdings ist er einer der besten Ultradistanzfahrer der Welt und hält immer noch den 24 Stunden Weltrekord auf der Bahn. Man sollte ihn also keinesfalls unterschätzen.

Erstmals denke ich jetzt ernsthaft über die anderen Fahrer nach und über die Situation im Rennen. Ich gehe davon aus, dass ich am Ende nochmal zusetzen kann. Wir haben ja jetzt TS 43 hinter uns, das klingt schon recht motivierend. Aber die Appalachen liegen noch vor uns. Und durch West Virginia müssen wir auch noch durch, verkehrstechnisch sicherlich der heikelste Bundesstaat.

Zunächst aber ist das Ziel Athens, die TS 44. Es gibt einige anspruchsvolle Hügel zu bewältigen, ich fahre fast nur noch das Cannondale SuperSix Evo, die Sitzfläche kommt mit dem eigentlich zu harten Sattel zurecht. In Schwächephasen lasse ich mir „Horse with no name“ vorspielen. Ich will jetzt aber angreifen.

So verzichte ich diese Nacht erstmals auf die zwei Stunden Schlafpause. Dadurch möchte ich Marko Baloh endgültig abschütteln und Druck auf Mark Pattinson ausüben. Ich mache nur einen zwanzigminütigen Powernap an der Time Station. Ich will jetzt um Platz zwei kämpfen.

Nachdem ich wieder auf dem Rad sitze geht es zunächst ganz ordentlich, aber das verpufft recht schnell, ich gondele dann ganz schön durch die Nacht. Gerade zwischen zwei und fünf Uhr Nachts ist es wirklich hart. Eigentlich hatte ich interessante Landschaft erwartet, aber im Dunkeln sieht alles gleich aus. Ich habe ständig das Gefühl, dass ich verdammt nochmal doch hier schon mal lang gefahren bin? Es fühlt sich an als würde ich überhaupt nicht vorwärtskommen und als ob ich im Kreis herumfahre. Die Followcarcrew versichert mir aber, dass wir auf der richtigen Strecke sind.

Wir haben nun West Virginia erreicht und es erwarten mich viele unangenehme Steigungen, die Streckenführung verlässt jegliche, auch nur im Ansatz idyllische, Landschaft, wir fahren teils auf Autobahnen mit viel Verkehr.

In West Virginia haben die Pickup Trucks breitere Reifen, die Motoren sind extra laut (es scheint ein Statussymbol zu sein ein extra lautes Fahrzeug zu bewegen), LKWs und PKWs und alles dazwischen fährt deutlich schneller als in den bisherigen Staaten, das Verständnis für Radfahrer auch die Teilnehmer des Race Across America, die vom Followcar begleitet werden, sinkt. Kurzum, nachts habe ich mit großer Müdigkeit zu kämpfen, tagsüber mit heftigem, brutalem Verkehr.

Momentan fahren wir aber in den Morgen hinein und zu meinem Erstaunen sind wir kurz davor Mark Pattinson wieder einzuholen. Aber aus irgendeinem Grund will ich ihn gar nicht überholen, noch nicht. Um das Überholmanöver zu vermeiden bitte ich um eine Pinkelpause. Hier an der Autobahn ist das gar nicht so einfach, aber wir finden eine Stelle.

Wieder auf dem Rad kommt eine etwas anspruchsvolle Stelle für die Navigation. Die Abfahrten sind recht verwirrend, hier in den USA kann es ja auch mal passieren, dass man links von der Autobahn abfahren muss. Meike navigiert ganz souverän, obwohl ich etwas Sorge habe, denn sie ist zum ersten mal auf dem Navigatorposten.

Dann die Meldung aus dem Followcar, Pattinson hat die Abfahrt verpasst. Kurz herrscht Nervosität, sind wir auf der richtigen Strecke und Pattinson falsch oder ist es gar umgekehrt? Alles wird doppelt und dreifach geprüft, dann die Meldung aus Deutschland von Gerd, der alles im Livetracking verfolgt „Ihr seid richtig, Pattinson hat sich verfahren“. Jetzt sind wir uns sicher. So habe ich ihn also doch überholt, und das ohne Überholmanöver, welches ich ja irgendwie vermeiden wollte.

Aber ich kann jetzt nicht erleichtert davonziehen. Zunächst bin ich ziemlich motiviert, da Meike, Rebecca und Klaus mich so souverän durch diese heikle Stelle geführt haben, habe ich nochmal an vertrauen gewonnen, und möchte natürlich durch Leistung zurückzahlen. An TS 45 sind aus zwei Stunden Rückstand auf Pattinson eine Stunde Vorsprung geworden. Aber die Steigungen sind teils doch heftig und der Verkehr nimmt nun stark zu. Die extralauten Trucks und Pickups kosten mich extrem viel mentale Kraft. Vielleicht war es ein Fehler auf die Schlafpause zu verzichten? Ich bin ganz schön platt. Und nun muss ich mich durch die brutalen Anstiege der Appalachen kämpfen.

An der nächsten Time Station hat Pattinson mich wieder eingeholt, wir liegen exakt gleichauf. Strasser ist ein Tag vorraus, Baloh weit zurückgefallen. Am nächsten dran an uns ist nun McKenna, der sechs Stunden zurückliegt. Ein netter Typ übrigens, er und seine Crew waren im gleichen Hotel in Oceanside vor dem Rennen, und wir haben uns nett unterhalten.

Mein Ziel lautet TS 47. Die muss ich jetzt erreichen, egal wie platt ich bin. Und ich bin wirklich platt. Irgendwie erscheint es mir so, als ob die Crew das Wohnmobil immer eine Timestation weiterfährt, damit ich nicht schlafen kann. Auf dem Auto sind mittlerweile Dirk, Thorsten und Olli. Ich bin wirklich am Ende. Müsste ich nicht Pattinson angreifen, mich wehren? Der hat mich ja mittlerweile überholt. Aber ich bin so am Ende, dass ich keinen Kampfgeist entwickeln kann, wir reden zwar auch darüber, dass ich ja die 10 Tage Marke unbedingt unterbieten will, aber ich möchte gerne eine Pause machen. Das Followcar versucht mich zu überreden es zu lassen und weiterzufahren bis zur Time Station.

Ich bin müde, es geht immer wieder blöd berghoch, es ist schwülwarm, ich will stehen bleiben. Ich soll aber weiterfahren. Ich will aber stehen bleiben. Weiterfahren! Ich will stehenbleiben!
Wo ist das verdammte Wohnmobil, wann kommt denn die Time Station?

Ich halte einfach an. Das Followcar ist überrascht, die Jungs schaffen es gerade noch zu bremsen und mich nicht umzufahren. Ich stelle mein Fahrrad an die Leitplanke. Besorgt fragen mich Olli was den los sei. Ich kann nix sagen. Ich setzte mich wortlos ins Auto. Nochmal versuchen die drei mit mir zu reden.

Ich mache die Augen auf und fühle mich fremd an dem Ort an dem ich gerade bin. Ich sitze im Auto, vor mir stehen Olli, Dirk und Thorsten. Wir stehen am Straßenrand, an einer idyllischen Straße, es ist recht warm, aber die Sonne scheint schön durch die Bäume. Es dauert etwas aber mir ist schon klar, dass ich im Prinzip auf‘s Rad muss. Wir fahren das Race Across America. Und ich muss jetzt weiterfahren.

Laut den Jungs habe ich einen zwanzigminütigen Powernap gemacht. Ich bin unzufrieden und misstrauisch. Wir einigen uns darauf, dass ich erst mal weiterfahre und wir alles über Funk klären. Ich setze mich auf‘s Rad, Dirk ist am Mikrofon im Followcar.

Offensichtlich hat er mal ein Deeskalationstraining oder sowas gemacht. Systematisch versucht er die Ursache für mein Misstrauen zu ermitteln und auszuräumen. Ich erkenne die Systematik in seiner Gesprächsführung, mir gefällt das aber. Seine ruhige sachliche Art hilft mir in diesem Moment ungemein mein Unbehagen auszudrücken. Ich bin der Meinung, dass man mir nicht die Wahrheit über das Wohnmobil sagt und es immer eine TS weiter vorne steht als versprochen. Aber Dirk kann mir glaubhaft versichern, dass dem nicht so ist, und dass das WoMo an der nächsten TS steht, und dass ich bis dahin aber nochmal ordentlich reintreten muss.

Mir ist schon klar, dass mein Gefühl des Misstrauens ein ganz typisches Symptom von Schlafmangel ist. Und doch dauert es einen Moment bis ich mein Misstrauen überwunden habe, und nicht nur verstandesmäßig sondern auch gefühlsmäßig wieder soweit bin, dass ich der Crew wieder voll vertraue, und weiß, dass sie natürlich „auf meiner Seite“ steht. Und mich nicht verheizt.

So kämpfe ich mich über die nervigen, teils sehr steilen Steigungen, manchmal auf vielbefahrener zweispuriger Straße. Den ganzen Tag hatte ich schon endlos viele Roller zu bewältigen, die Beschreibung im Roadbook passte da schon ziemlich gut zur Strecke.

Aber ich meistere mit Hilfe der Crew auch diesen verdammten Abschnitt. Komplett zerstört komme ich kurz vor 16 Uhr am Wohnmobil an der TS 47 an. Aber ich komme an! Absteigen ist nicht so einfach, so fahre ich bis zum WoMo und lehne mich einfach dagegen bis mich jemand vom Rad holt.

Jetzt bekomme ich was zu essen, kann auf Toilette gehen und eine zweistündige Schlafpause machen. Das Wohnmobil steht an einem See, recht idyllisch, es kommt mir vor wie das Paradies. Und doch will ich nur noch schlafen. Schlafen!

Pattinson liegt übrigens keine 50 Minuten vor mir. Ihm scheint es nicht viel besser zu gehen. Mit der mentalen Stärke von 2014 wäre ich mir jetzt sicher, dass ich ihn trotz allem deutlich hinter mir lassen kann. Nun fühle ich mich aber nicht stark genug wirklich anzugreifen. Ich will einfach nur schlafen, eigentlich ist mir völlig egal was er macht.

Ein Teil der Crew nutzt die Gelegenheit um im See zu baden während ich im WoMo schlafe. Immer noch ist die Stimmung innerhalb des gesamten Teams fantastisch. Egal wer auf dem Followcar war, alle haben hervorragende Arbeit geleistet. Und es war bis hierher teils wirklich harte Arbeit mich am Laufen zu halten. Gerade die letzte Situation mit meinem plötzlichen Stopp hat gezeigt, das Reaktionsschnelligkeit, Einfühlungsvermögen und auch etwas Strenge nötig sind um uns die Chance zu erhalten das große Ziel ,unter zehn Tagen zu finishen, zu erreichen.



from WordPress http://ift.tt/2ygQqTc
via IFTTT

Sonntag, 3. September 2017

Fazit Ötztaler Radmarathon 2017 – und mehr

Die Frage ob es eine gute Idee war den Ötztaler Radmarathon nur zwei Monate nach dem Race Across America ins Programm zu nehmen kann ich eindeutig mit ja beantworten.

Auch wenn ich auf Grund des fast opitmalen Verlaufs des RAAM nicht so gefährdet war in das tiefe Loch zu stürzen, hat mir der Ötzi doch geholfen die Motivation zu halten und nicht mental zusammenzuklappen nach der Riesenanstrengung in den USA.

Die Frage ob es eine gute Idee war mit gerade erst überstandenem Magen-Darm-Infekt zu fahren kann ich eindeutig mit nein beantworten.

Ich weiß nicht inwiefern die, vielleicht auch noch nicht komplett auskurierte, Krankheit für die Krämpfe verantwortlich war, aber ohne das eindeutig klären zu können, werde ich keinen Wettkampf mehr bestreiten in dem ich nicht hundert Prozent fit bin.

Die Frage was eigentlich drin gewesen wäre kann ich recht genau beantworten. Um die 8:30 h hätte ich auf jeden Fall kämpfen können. Ein bisschen schade ist es schon, dass ich bei beiden Angriffen auf diese Zeit von Krankheit gestoppt wurde, aber immerhin konnte ich diesmal überhaupt starten.

Unabhängig von der Zeit, muss ich aber sagen, dass ich stolz bin überhaupt ins Ziel gekommen zu sein. Sieben Stunden gegen Krämpfe anzufahren erfordert schon eine gewisse mentale Härte. Dass ich die im Prinzip besitze brauche ich mir nicht mehr zu beweisen, die Ultracyclingergebnisse sprechen da eine eindeutige Sprache. Aber es im konkreten Einzelfall dann wirklich durchzustehen ist nochmal was anderes.

Ich bin nicht stolz darauf so gegen den Körper gefahren zu sein, es ist nicht gefährlich, aber unvernünftig.

Gefährlich würde ich das Rennen einstufen, denn in der Masse der Fahrer sind natürlich auch unverschuldete Stürze möglich. Aber letztlich ist es trotz der drei Stürze, die ich gesehen habe, ein wirklich überschaubares Risiko. Nach dem langen, einsamen trainieren und den einsamen Ultracyclingwettkämpfen war ich es nicht mehr gewohnt so im Pulk zu fahren, vor allem in den Abfahrten, aber obwohl ich eher vorsichtig gefahren bin, zähle ich wohl so zu den mittleren Abfahrern, für eine gute Ötzizeit reicht das allemal.

Werde ich es also nun noch einmal probieren die 8:30 h anzugreifen?

Eigentlich habe ich keine Lust mehr für’s Radfahren Geld zu bezahlen. Und schon gar nicht um 4:30 Uhr aufzustehen um dann trotzdem irgendwo in der Mitte von Startblock 2 an Position 2000 zu stehen. Auch hatte ich vor dem RAAM und erst recht auf den ersten 500 Kilometern des Rennens schon mit dem Rennradfahren abgeschlossen.

Aber nach dem RAAM habe ich wieder richtig Lust bekommen und es macht immer noch riesig Spaß. Auch der Wettkampf macht Spaß, nur dort erreicht man auch mal die Leistungsgrenze, und er bringt viel Motivation fürs Training. Also eine schwere Entscheidung.

Nach dem Ötzi habe ich spontan die Saison beendet. Ein Bronchialinfekt hat mir das leicht gemacht. Ich brauche jetzt wirklich mal radfreie Zeit, auch wenn ich prinzipiell Lust zum Radfahren und Rennradfahren habe.

Aber ich muss jetzt mal ein paar Wochen völlig ohne Druck und strukturiertes Training fahren, ein bisschen schwimmen, ein bisschen Fitnessstudio, mehr nicht. Dann kann ich auch genau bestimmen was ich mir für 2018 vornehme oder ob ich mich mit dem MTB in den Wald zurückziehe.

Vom Ötztaler über Race Around Austria bis Rennrad verkaufen ist alles drin…



from WordPress http://ift.tt/2gABSGk
via IFTTT

Statistik Ötztaler Radmarathon 2017

Gesamtkilometer: 238 offiziell
(tatsächlich ist der Ötzi nur 227,5 km lang, deshalb auch die entsprechende offizielle Durchschnittsgeschwindigkeit)
Gesamtdauer: 9:50:55,0 h
Schnitt: 23,089 km/h
Höhenmeter: 5500
Gesamt geleistet an der Kurbel: 6504 kJ
Durchschnittliche Leistung an der Kurbel: 181 Watt (gewichtet 225 W)
Durchschnittliche Temperatur: 16,5° C
Durchschnittlicher Puls: 152 (176 maximal)
Durchschnittliche Trittfrequenz: 82
Maximalgeschwindigkeit: 89,6 km/h

Zwischenzeiten und jeweilige Platzierung in der Klasse M1
Kühtai: 1:48.07 (469.)
Brenner: 3:48.07 (530.)
Jaufenpass: 5:55.55 (1022.)
Timmelsjoch: 9:13.48 (1453.)

Platzierung:
Gesamt: 1508 (4058 Starter gesamt)
Herren: 1456 (von den 263 Frauen die durchgekommen sind, waren 52 schneller)
Altersklasse: 247 (1134 Starter Klasse M2 gesamt)

Fahrrad:
Rahmen: Cannondale SuperSix Evo 2012
Laufräder: Citec 3000S Aero Carbon mit Tune Schnellspanner DC 14
Schaltung: Shimano Dura Ace 9000 Di2 mit
SRM – Dura Ace 9050 Kompakt 34/50 vorne, Ultegra Kassette 11-32 hinten)
Bremsen und Kette: Shimano Dura Ace 9000
Pedale: Look Keo
Lenker: Syntace Racelite 2 Carbon
Sattel: Tune Komfort
Radcomputer: Garmin Edge 1000

Fahrradgewicht: 9,7 kg inkl. gefüllten Trinkflaschen, Luftpumpe, Flickzeug, Schlauch, Radcomputer
Fahrergewicht: 78,0 kg
Kleidung und Nahrung: 3 kg
Gesamt(System)gewicht 90,7 kg



from WordPress http://ift.tt/2eS1kmU
via IFTTT

Dienstag, 29. August 2017

Ötztaler Radmarathon 2017 – das Rennen

Zäh wache ich auf. Es ist 4:30 Uhr und ich habe gerade mal gut zweieinhalb Stunden geschlafen. Ist das hier das Race Across America? Nö, ist nur der Ötztaler Radmarathon, bei dem ich versuche wenigstens halbwegs vorne im Startblock zu stehen, damit ich vernünftig am Kühtai hochfahren kann.

Was für eine ätzende Zeit. Schon vor dem Rennen beschließe ich, dass ich mir sowas nicht mehr antun will. Meine Anfrage ob es eine Möglichkeit gibt als zweifacher RAAM-Finisher, RAAM AK-Sieger, RAAM-Podiumsfahrer in den ersten Startblock eingeladen zu werden wurde höflich ignoriert. Allerdings wurde mir dann die Überschreibung mit Josef vermittelt, so dass ich immerhin überhaupt einen Startplatz bekommen habe, nachdem ich schon durchgehend seit 2010 kein Losglück hatte. Das nächste Mal mache ich es wie anscheinend alle anderen auch und melde sämtliche Freunde und Verwandte mit an. Aber halt, es gibt ja kein nächstes Mal?!

Ich wäre den Ötzi schon gerne unter 8:30 h gefahren bevor ich das Rennen abhake, aber jetzt, gut zwei Monate nach einem wirklich harten Race Across America, ist das wohl eher nicht drin. Andererseits bin ich ja vor zwei Wochen auch ganz brauchbar berghoch gefahren.

Aber da war ja noch der Magen-Darm-Infekt, der erst seit gestern wirklich überwunden scheint. Die sich stattdessen anbahnende Erkältung hat sich nicht durchgesetzt, mein Immunsystem hat anscheinend ziemlich Power im Moment. Selbst Katrins hartnäckigen Husten hat es nun schon seit gut drei Wochen nicht an mich herangelassen.

Zu meiner freudigen Überraschung gibt es im Vaya Sölden auch um 4:30 schon ein vollständiges Frühstück. Auch nicht selbstverständlich, gerne gibt ja es so früh nur ein „Radlerfrühstück“, was auch schon mal aus drei trockenen Brötchen und drei Scheiben Käse bestehen kann… Hier wird „Radlerfrühstück“ sogar mit zusätzlich Nudeln mit Pesto interpretiert. Sehr nett!

Ich habe natürlich um diese Uhrzeit nicht wirklich Hunger, versuche aber nicht zu wenig zu essen, schließlich werde ich jetzt um die zehn Stunden auf dem Rad verbringen. Ich habe beschlossen, wenn ich schon trotz gerade erst überstandenem Infekt starte, das Rennen in Würde zu Beenden. Das heißt für mich, dass ich unter zehn Stunden bleiben möchte. Oder zumindest darum kämpfe. Falls doch alles super läuft, kann ich immer noch die 8:30 h angreifen.

Als ich zum Start rolle geht mir erst auf, dass das Hotel zwar direkt am Start ist, ich aber ja ganz hintenrum über die letzte Brücke fahren muss um in die Startaufstellung zu gelangen. Mist, das kostet wieder hundert Plätze mindestens, denn jetzt um 5:50 Uhr ist hier schon die Hölle los. Und tatsächlich stehe ich viel weiter hinten als 2012, schätzungsweise an Position 2000. Na super, das wird ein schönes Gedränge im Kühtai geben. Und die richtigen schnellen Gruppen werden vorne abgehen während ich hier hinten noch stehe.

Wie die letzten beiden Male auch geht die Stunde am Start recht schnell rum, eben war es noch dunkel, jetzt ist schon schöne Morgenstimmung. Das Wetter ist perfekt, so um die 12 Grad. Auf eine Jacke oder Weste habe ich komplett verzichtet. Im Trikot ist außer der Kamera und dem Handy nur noch Gel und etwas ISO Pulver, da es an den Labstationen keines gibt.

Die Veranstalter haben gegenüber meiner letzten Teilnahme nochmal aufgerüstet und jetzt zwei statt einen Heißluftballon aufgeblasen und zwei statt ein Hubschrauber kreisen über dem Startgelände. Naja, wenn es Spaß macht… Anscheinend muss man immer steigern. Dabei ist das Rennen doch schon seit ich es kenne perfekt organisiert, nur das Startplatzproblem nervt, aber ca. 4500 Teilnehmer ist einfach die natürliche Grenze für so ein Event.

Als der Startschuss fällt und die Ersten losfahren passiert bei mir im Block erst mal nichts. Aber auch gar nichts. Erst dann kapiere ich, dass der 2er Block erst später losfahren darf. Also das ist ja krass, wenn hier einer, selbst ganz vorne im Block, steht, der sieben Stunden fahren kann, hat er trotzdem keine Chance zu gewinnen. Eine Startvariante für die ich keinen Grund sehen kann. Ich fühle mich am Start schon degradiert. Aber natürlich bin ich auf keinen Fall der Siebenstundenfahrer der hier benachteiligt wird…

Dann rollt es aber endlich los und das ist mir dann doch etwas zu langsam. Einige sind am Start recht gemütlich unterwegs, so dass bis aus Sölden raus etwas Slalomfahren angesagt ist. (Warum sind die denn so früh aufgestanden um sich vorne hinzustellen?)

Dann normalisiert sich das aber und das Feld jagt das Ötztal hinunter. Dieser erste Teil ist zwar fahrerisch nicht anspruchsvoll, aber im dicht gedrängten Feld muss man schon aufpassen und Rücksicht walten lassen um sturzfrei durchzukommen. Das gelingt zunächst auch recht gut, ich finde immer Windschatten oder beame mich weiter nach vorne, auch die kurvigen Abschnitte laufen super, bis plötzlich in Längenfeld das Feld fast zum Stopp kommt.

Und da sehe ich auch schon den Grund, ein Fahrer ist schwer gestürzt. Verdammt! Der Notarztwagen ist schon da, er wird schon versorgt, sah aber aus dem Augenwinkel wirklich böse aus. Das erinnert nochmal eindrücklich an das Hauptziel, das ich (und wahrscheinlich alle anderen auch) habe, nämlich wieder heil in Sölden ankommen!

Der Rest bis Ötz läuft dann aber gut und wir kommen in halbwegs vernünftiger Zeit (knapp 37 Min) am Kreisel an. Nun geht es in den ersten Anstieg. Und sofort muss ich für mein Weit-hinten-stehen bezahlen, es ist wildes Gedrängel und kein Durchkommen. Ich könnte zwar theoretisch viel schneller fahren, aber es gibt kaum eine Chance vorbeizufahren. Einige fahren wirklich extrem langsam. Vielleicht eine Taktik um sich Körner aufzusparen. Nervt aber extrem, wenn man schneller könnte und kann nicht. Vor allem gibt es natürlich keine Möglichkeit seinen eigenen Rhythmus zu fahren, was die Beine gar nicht mögen. Und man muss höllisch aufpassen, dass man sich nicht mit anderen Fahrern verhakt.

Fast muss ich sogar stehenbleiben und ausklicken, aber der Pulk bleibt gerade so noch in Bewegung. Ich versuche jede Gelegenheit zu nutzen durch die Menge zu fahren, dann entspannt es sich einen Hauch und man kann tatsächlich etwas fahren. Ich muss zwar immer wieder mal Passagen im Tempo des Pulks fahren, kann dann aber, als es im ersten Ort flacher wird endlich etwas Tempo aufnehmen.

Oje, hier habe ich schon die ein oder andere Minute verloren. Ich versuche mich an den Anstieg zu erinnern, aber ich weiß nur noch, dass im unteren Teil auch flachere Abschnitte zum Erholen kommen und dafür recht weit oben auch sehr steile, über 15%, Anstiege. Ich weiß auch noch, dass ich schon unter zwei Stunden bei der Zwischenzeit oben bleiben muss um die 9 Stunden Marke zu knacken.

Jetzt wo ich mehr Platz habe fahre ich meinen Rhythmus und orientiere mich leistungsmäßig etwas an der Auffahrt Timmelsjoch Nordseite von vor zwei Wochen. Die Beine gehen auch gut, allerdings kriege ich nicht so richtig gut Luft, habe zu dieser Jahreszeit eigentlich nicht so Probleme mit Allergie, mal schauen wie sich das entwickelt, vielleicht doch dieser Anflug von Erkältung?

Im Anstieg spricht mich ein Fahrer auf‘s RAAM an und wir unterhalten uns kurz, er ist dieses Jahr schon beim Race Across Germany gestartet. Sehr cool, das RAAM hat mir dieses Jahr schon einige nette Begegnungen beschert.

Ich bin jetzt eigentlich recht flott unterwegs und kann mit hoher Trittfrequenz nach oben kurbeln. Dafür bekomme ich auch schon einmal einen Spruch, nach dem Motto „schaun mer mal am Timmelsjoch, obs du da auch noch so fahrst“. Kann ich dir sagen, mit Sicherheit nicht! Da werde ich wie (fast) alle anderen auch langsam hochkriechen.

Es gibt tatsächlich, wie erinnert, flache Passagen an denen man sich gut erholen kann, dann, vor und in einer Lawinengallerie, einen sehr steilen Abschnitt wo ich im Wiegetritt hochochsen muss, und dann auch wieder ein längeres Flachstück.

Ich habe mich mit Katrin an der Staumauer verabredet. Sie wird mir die zwei großen Flaschen reichen, ich bin extra mit den kleinen gestartet, und Gels wird sie mir auch noch zustecken. Ich will wirklich versuchen pro Stunde eine Flasche zu trinken und ein Gel zu nehmen, dann komme ich auf fast 80g KH pro Stunde.

Nun erblicke ich tatsächlich schon die Staumauer und bin etwas irritiert, ging ja schneller als gedacht. Oder gab es da zwei Stufen, und wenn ja an welcher wird Katrin dann stehen? Ich bin echt irritiert, aber nach zwei Kehren bin ich tatsächlich an der Staumauer und dahinter zeigt sich schon der Ort, es gibt nur eine Staustufe. Aber Katrin steht hier nicht. Mist, ich habe tapfer das Sponser Competition in mich hineingekippt, brauche nun aber Nachschub.

Naja, wir hatten ja noch über einen zweiten möglichen Platz besprochen, nämlich nach der Labstation. Jetzt geht mir aber auf, wie dumm das war von mir, denn VOR der Labstation hätte Sinn gemacht, wenn ich nämlich an der Labe vorbeifahre und dahinter steht sie auch nicht? Ich habe nur noch eine halbe Flasche und zwei Gels.

Durch den Ort geht es nochmal ordentlich bergauf, dann ist aber die Zwischenzeitmessung auf der Passhöhe erreicht. Mein Radcomputer zeigt 1:48 h. Das ist eigentlich ziemlich gut. Noch bin ich auf 8:30 h Kurs. Die Beine gehen wirklich klasse.

Ich fahre an der Labstation vorbei, zögere etwas. Dahinter stehen einige Helfer, aber Katrin sehe ich nicht. Ich überlege kurze zurückzufahren, lasse es aber, es geht ja schon bergab, sie wird schon noch da stehen. Tut sie aber nicht. Verdammt wir haben uns verpasst. Ich muss sie an der Staumauer übersehen haben.

Egal, da muss ich jetzt durch, erst mal die Abfahrt hinter mich bringen und eine vernünftige Gruppe für den Brenner finden, ich muss mich irgendwie mit der halben Flasche durchschlagen. Zum Glück sind die Temperaturen ja trotz gutem Wetter immer noch niedrig.

Die Abfahrt vom Kühtai ist nicht ohne, aber es sind keine Tiere auf der Fahrbahn und es läuft eigentlich ganz gut. Dann fängt die linke Wade an zu zucken, nanu jetzt schon ein Krampf? Kann eigentlich nicht sein. Geht aber auch wieder weg.

Dann zieht es aber plötzlich heftig durch den linken Oberschenkel bis in die Hüfte rein. Krampf in der Hüfte hatte ich auch noch nicht, obwohl der Hüftbeuger beim Radfahren ja ordentlich beansprucht wird. Der geht nicht so schnell wieder weg. Ich suche eine Position in der es nicht krampft finde aber zunächst keine. Dann lässt das aber nach und ich hab‘ zumindest eine Position in der ich abfahren kann, wenn auch die Rechtskurven unangenehm sind.

Aber so viele Kurven gibt‘s gar nicht, man kann ganz schön Speed aufnehmen, gerade weil es teils auch recht steil bergab geht. Ich fahre aber eher vorsichtig bergab. Das Rubbeln an meinem Hinterrad, dass ich gestern bemerkt hatte, dessen Ursache ich aber nicht genau lokalisieren konnte und auf einen leichten Seitenschlag der Felge zurückgeführt habe ist immer noch da und erhöht nicht gerade das Gefühl von Sicherheit, es nimmt allerdings ab. Vielleicht liegt‘s doch am Reifen und fährt sich raus.

Ich bringe die Abfahrt ganz ordentlich hinter mich, der Krampf lässt nach. In einem Tunnel stehen plötzlich Leute und zeigen an „langsam fahren“. Und dann sehe ich auch schon den Grund, ein Fahrer ist schwer gestürzt. Er wird vom Notarzt behandelt und der Hubschrauber wartet schon. Verdammt das gibt‘s doch nicht! Hoffentlich nur Vorsichtsmaßnahme.

Gegen Ende der Abfahrt finde ich tatsächlich Anschluss an ein paar weitere Fahrer. Allerdings habe ich nun gerade Krämpfe in beiden Oberschenkeln. Und zwar heftige. Ich kann sie gerade so irgendwie im Griff halten und an der Gruppe dranbleiben, zum Glück geht es noch immer etwas bergab. Also das hatte ich noch nie, von einem einzigen Berg, bzw. Passanstieg solche Krämpfe, bzw. überhaupt Krämpfe. Anscheinend war es doch nicht so klug, einen Tag nach überstandenem Magen-Darm-Infekt hier zu starten.

Also mitrollen geht zwar, aber so kann ich natürlich nicht bergauf fahren. Keine Ahnung wie ich das machen soll. Ich halte bis Innsbruck durch, versuche zu dehnen auf dem Rad, was man halt so macht.

In den Brenner rein wird‘s ja auch nicht richtig steil, und dann scheint‘s als erholten sich die Beine tatsächlich wieder, ich kann wieder brauchbar treten. Habe dann sofort auch wieder richtig Leistung. An einer Bahnschiene fädelt einer neben mir ein und stürzt. Jetzt reicht‘s aber, das ist schon der Dritte heute, wenn diesmal auch nicht so schlimm.

Es bildet sich eine recht große Gruppe und ich hoffe mitrollen zu können, muss mich auf jeden Fall schonen. Ich habe keine Getränke mehr und die beiden Gels die ich noch hatte, habe ich auch schon genommen. Hoffentlich waren die Krämpfe nur temporär, ich habe aber kein gutes Gefühl.

Obwohl die Gruppe groß ist, ist sie lahm. Richtig lahm. Ich werde verrückt, vorne machen drei Leute das Tempo, führen ewig lang bis sie ganz platt sind, obwohl ein ganzes Team mit vorne drin ist, die müssten doch eigentlich gut zusammenarbeiten können.. Irgendwann reicht‘s mir, ich gehe doch nach vorne und versuche ein bisschen Tempo zu machen. Erst mal ist die Reaktion nur verhalten. Ich fahre wieder raus und das Tempo sackt fast wieder auf das vorige Niveau ab. Wieder überlassen die anderen einem Fahrer die Führungsarbeit. Das kann doch nicht sein, wir sind eine riesige Gruppe?!

Ich fahre nach vorne und sage, dass wir öfters wechseln sollen, der Führende lächelt erschöpft und meint „von mir aus gerne“. Ich fahre eine Weile vorne, versuche ein vernünftiges Tempo zu treffen, fahre raus und versuche etwas zu animieren. Wir wechseln jetzt, aber vorne fahren die immer zu lange, ich rufe und versuche die Wechsel zu organisieren. Dabei falle ich immer nur so vier bis sechs Positionen zurück, so dass ich doch öfter mal in die Führungsarbeit komme. Die Beine funktionieren zwar wieder gut, aber ich bin echt sauer, dass die Gruppe nicht läuft. Wir verpassen hier echt eine Möglichkeit uns ohne viel Aufwand ein schönes Zeitpolster zu holen. Irgendwann muss ich nachlassen, sonst verschieße ich zuviel Körner. Die Gruppe läuft so halbwegs, wenn auch meist zu langsam.

Immerhin bin ich beschäftigt und die Zeit geht rum. Allerdings brauche ich jetzt unbedingt bald die Labstation, sonst ist das Rennen vorbei, ich habe Durst. Dann zieht der Anstieg an und die Straße klappt nach oben, der Schlussteil ist erreicht. Jetzt wo es endlich richtig berghoch geht, kommen auch die Krämpfe wieder, diesmal im rechten Bein und im linken Fuß. Neue Variante…

Ich muss jetzt irgendwie zur Labstation kommen. Anfangs kann ich es halbwegs kontrollieren und versuche an den Fahrern vor mir dranzubleiben, dann wird es wirklich heftig. Lässt aber nochmal nach, fast oben fängt es aber wieder an, so dass ich durch den Ort ziemlich gegen die Beine fahren muss bis endlich die verdammte Labstation erreicht ist. Hier biege ich ab und kann nun endlich meine Flaschen füllen. Leider sind es ja nur kleine, so dass ich mir sicher bin, dass es eigentlich nicht reicht bis zur Jaufenpasshöhe, bzw. zur nächsten Labstation kurz davor.

Es gibt tatsächlich kein ISO-Getränk an der Labstation, so nehme ich Apfelschorle für die eine und Wasser für die andere Flasche. Außerdem trinke ich was geht. Wasser, Schorle, Cola, sogar Red Bull ich versuche ein Brot zu essen, esse Kuchen und Obst. Ich habe mir schon ein Defizit eingebrockt hier am Brenner, ich muss versuchen das etwas auszugleichen.

Zu meiner Enttäuschung gibt es keine Sponser Riegel, und nur eine Sorte Gel, die kleinen mit Coffein. Das ärgert mich wirklich. Sponser ist als Sponsor angekündigt und es gibt Corny Riegel, das ist gepresster Industrieschrott, sorry, dass ich das so ehrlich sage, aber das ist dem Event nicht angemessen. Die Labstation ist im Prinzip klasse, es gibt viel konventionelles Essen, aber für eine sportliche Herausforderungt wie einen Radmarathon gibt es wirklich nützliche Sportnahrung die die Aufnahme und vor allem gute Versorgung mit Elektrolyten recht schnell sichert. Nur hier gibt es fast nichts davon bis auf das eine Gel. Gerade heute für mich etwas schade.

Anyway, mit vollem Bauch (habe nur alles hektisch in mich reingestopft um nicht zuviel Zeit zu verlieren) fahre ich weiter. Das Stehen hat den Beinen eine kurze Erholungspause gegeben und in der Abfahrt nun geht es einigermaßen. Auch wenn es immer mal zuckt und blitzt.

Dann aber kommen im Teil wo man mehr rollen kann wieder heftige Krämpfe in beiden Beinen, ich weiß nicht wie ich mich auf dem Rad setzen soll, und es tut richtig weh. Ich überlege ob ich aufgeben soll. Offensichtlich bin ich nicht fit. Dann lässt es allerdings wieder nach und ich kann in einer kleinen Gruppe mitschwimmen bis Sterzing. Allerdings ist die auch recht langsam. Also in den Gruppen verliere ich heute eher Zeit, aber alleine fahren geht gar nicht.

Kurz hinter Sterzing bei der Einfahrt in den Jaufen verliere ich auch die Gruppe, das rechte Bein krampft so, dass der Fuß mir der Ferse nach außen gezogen wird und das Knie ans Oberrohr schlägt. Ich will anhalten, aber irgendwie schaffe ich es auf dem Rad zu bleiben und der Krampf lässt nach. So habe ich aber keine Chance den Jaufenpass hochzufahren.

Ich überlege was ich mache, manchmal gehen die Krämpfe unter Belastung ja weg, vielleicht schaffe ich den Jaufen, dann werde ich bis St. Leonhard fahren und dort aussteigen. Von dort gibt es vielleicht ein Taxi nach Sölden, oder wenigstens bis zur Timmelsjoch Passhöhe.

In den Berg rein wird es dann tatsächlich besser. Jetzt wo die Beine wieder treten können ist auch sofort ordentlich Leistung da und ich bewege mich deutlich schneller als der Hauptstrom. Allerdings mag ich diesen Pass seit 2010 nicht mehr. Es ist gefühlt schlicht der „längste Pass der Welt“. Trotzdem komme ich ordentlich vorwärts, immer mit dem Damoklesschwert des Krampfes über mir. Ich trinke soviel nur irgendwie geht, die Apfelschorle ist schon leer, ich habe auch noch zwei Gels genommen. Auch da sollten ja Elektrolyte drin sein und mir helfen. (Falls das die Ursache für die Krämpfe ist und nicht muskuläre Ermüdung oder was auch immer)

Auch wenn ich scheinbar flott fahre, es nutzt nichts, die Krämpfe kommen jetzt rechts so heftig, der Fuß dreht weg, ich kann das Knie nicht mehr kontrollieren, ich muss absteigen. Stehenbleiben. Ich bin nicht platt oder erschöpft, aber es tut höllisch weh und ich kann einfach nicht mehr treten.

Ich warte ein, zwei Minuten, versuche zu dehnen, und fahre dann weiter. Sofort kann ich wieder mit 300+ Watt treten und überhole die, die an mir vorbeigefahren sind. Langsamer fahren macht keinen Sinn, dann würde ich außerhalb meines Rhythmus mit niedriger Trittfrequenz fahren und die Muskeln nur noch mehr belasten.

So komme ich ein gutes Stück vorwärts bis das rechte Bein wieder dicht macht. Keine Chance ich muss wieder anhalten. Wieder dehnen, fluchen, warten. Dann weiterfahren, wieder ist die Leistung sofort da.

Doch der nächste Krampf kommt und er scheint jedesmal heftiger zu werden. Vor allem sind nun beide Beine betroffen, links vor allem Fuß und Oberschenkel bis zur Hüfte, rechts Wade und Oberschenkel. Die Schmerzen sind erstaunlich stark. Ich muss wieder anhalten. Dehnen, warten, fluchen, weiter geht‘s.

Ich erreiche Kalch, am Ortseingang hängt ein Laken beschriftet mit „Lass diesen Tag vorübergehen“. Hm, ist das Anfeuerung oder wollen die damit ausdrücken, dass sie keinen Bock auf die Ötzi Radfahrer haben?

Meine Zeit am Brenner war nicht sensationell hätte aber noch deutlich für unter neun Stunden getaugt. Jetzt aber ist das gegessen. Und das meine Beine sich nicht mehr erholen ist klar. Ich spüre das auch, aufgeben wäre wohl das schlaueste. Aber hier zurückfahren macht natürlich keinen Sinn, also muss ich über den Berg. Frage mich nur was ich in St. Leonhard mache, denn die Strecke ist ja gesperrt, das hatte ich ganz verdrängt. D.h. ich kann gar nicht mit dem Taxi fahren. Ich muss warten bis der Besenwagen kommt. Jetzt werde ich erst mal versuchen zur Labstation zu kommen.

Die Strecke führt durch den Wald, die Temperatur ist sehr angenehm, trotz der Sonne nicht zu warm. Genau genommen sind die Bedingungen bis jetzt optimal, so schnell wie heute wird die Strecke nicht oft sein. Vor mir taucht Ex-Ötzisieger Stefan Kirchmayer auf (das wäre so ein sieben Stunden Fahrer). Der coacht offensichtlich das Mädel, das neben ihm fährt. Die fahren nur einen Hauch langsamer, aber der Kirchmayer fährt mit einem Gravelbike mit dicken Reifen vor mir her. Wie erniedrigend ist das denn. Nur langsam fahre ich vorbei, allerdings muss ich dann wieder stehenbleiben. Die Krämpfe sind nur noch brutal, rechts haut‘s mir das Knie gegen‘s Oberrohr, links kann ich fast nicht mehr ausklicken, weil der Fuß so krampft.

Ich stehe neben einem Reiseradler der wegen Erschöpfung pausiert. Hm, während des Radmarathons hier hoch oder runter fahren würde mir nicht in den Sinn kommen. Ich mag aber nicht mit ihm reden. Ich bin nicht wirklich erschöpft, aber die heftigen Krämpfe, die auch nicht weniger werden nehmen mir so langsam auch mentale Kraft.

Ich sehe zu, dass ich weiterfahre. Jetzt geht es doch ein recht langes Stück vorwärts bevor ich erneut stehenbleiben muss. Wieder dehnen, fluchen, und weiterfahren. Dann erreiche ich aber die lange Gerade aus dem Wald heraus, jetzt kann man schon die Labstation sehen.

Der Jaufen ist wirklich nicht so dramatisch, und von der Power her war es heute nicht so übel, aber trotzdem musste ich bis jetzt fünf mal stehenbleiben. Ich will jetzt aber durchziehen bis zur Labe. Klappt nicht, auf der Hälfte der Distanz muss ich wieder stehen bleiben. Gleiche Prozedur, dehnen, fluchen, weiterfahren.

Es geht auch wieder ein Stück ganz gut, aber die Krämpfe kommen 500 Meter vor der Labstation heftig zurück. Ich will aber nicht stehenbleiben. Ich kämpfe mit aller Macht gegen die stechenden und ziehenden Schmerzen. Ich habe Durst und bin ziemlich gezeichnet, es tut so weh, dass ich stöhnende Geräusche mache, das rechte Bein will gar nicht mehr recht gehorchen, das Knie knallt gegen das Oberrohr, aber ich schaffe es bis zum Ende der Labstation. Ein echter Gewaltakt gegen die Beine.

Jetzt kann ich aber endlich absteigen und esse ohne Ende Obst, dann Kuchen, dann Brot, das geht aber nicht. Ich suche was salziges, es gibt Laugenstangen, aber die sind extrem trocken, ich lutsche das Salz ab. Wieder gibt es kein ISO-Getränk, ich trinke Red Bull, Cola, Wasser ohne Ende, O-Saft, der schmeckt aber scheiße, trotzdem mache ich eine Flasche damit voll.

Einen Joker habe ich noch, nämlich eine Tüte Sponser Competition. Damit fülle ich die zweite Flasche und packe ein paar von den Gels ein. Ich gehe etwas und dehne Oberschenkelrückseite und Waden. Alles andere brauche ich gar nicht erst versuchen. Eine ganze Weile verbringe ich an der Labstation, als ich wieder auf‘s Rad steige ist mein Bauch so voll, dass ich kaum treten kann. Die Beine bleiben aber krampfig. Ich fahre die zwei Serpentinen hoch zur Passhöhe, die Power in den Beinen ist immer noch relativ gut.

Kurz vor der Passhöhe kommen die Krämpfe mit aller Macht. Ich schleppe mich über die Zeitmesslinie und versuche mich in die Abfahrt zu retten, aber nach hundert Metern Abfahrt muss ich vom Rad, die Krämpfe sind so brutal, dass ich nicht auf dem Rad sitzen kann.

Wieder das gleiche, dehnen, warten, dehnen, fluchen, weiterfahren. Auch wenn ich in St. Leonhard aussteigen will, so muss ich doch erst mal runterkommen. Ich rolle weiter und es geht erst mal. Ich finde eine brauchbare Position und kann sogar halbwegs vernünftig abfahren. Wenn ich 2012 so hier runtergefahren wäre hätte das für die sub 9 gereicht. Dann hätte ich mir das heute gespart. Aber hätte hätte Fahrradkette.

Dreiviertel der Abfahrt habe ich hinter mir. Ich überlege was ich in St. Leonhard machen soll. Vielleicht sollte ich versuchen bis Moos zu kommen, der erste Abschnitt des Timmelsjoch ist eigentlich über weite Strecken moderat, vielleicht kriege ich das noch hin trotz der Krämpfe. Von dort könnte die Chance größer sein mit irgendeinem Fahrzeug in Richtung Sölden zu kommen.

Dann setzen die Krämpfe wieder ein. Ich fahre weiter, suche irgendeine Position die halbwegs zu ertragen ist, es schmerzt aber wie die Hölle, ich jammere und stöhne auf dem Rad. Außer dem Race Across America ist das das härteste was ich bis jetzt gemacht habe. Normalerweise handele ich nie gegen meinen Körper, außer wenn es darum geht den „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Aber das hier ist gar nicht der Kopf wo es zu kämpfen gilt, hier muss ich jetzt gegen die Beine fahren. Bzw. ich muss ja nicht, will auch nicht, aber habe auch keine rechte Möglichkeit aufzugeben ohne stundenlang in St. Leonhard rumzuhängen.

Etwas lädiert komme ich unten an und fahre direkt in die Passstraße zum Timmelsjoch. 8:30 h ist gegessen, sub 9 ist auch gegessen, da müsste ich schon das Timmelsjoch in knapp zwei Stunden hochfliegen, ist natürlich Quatsch.

In Würde durchfahren hatte ich für mich mit unter zehn Stunden definiert. Auch das wird eng, die Beine krampfen seit dem Kühtai. Ein Wunder, dass ich überhaupt bis hierher gekommen bin. Vielleicht ist es nur der Infekt gewesen, die verpasste Flaschenübergabe hat sicher auch nicht geholfen, aber mittlerweile habe ich soviel Gels und sonstige Nahrung von der Labstation zu mir genommen, irgendwann müssen die Nährstoffe ja auch mal ankommen.

Vielleicht sind die Muskeln einfach so dermaßen erschöpft vom RAAM oder was auch immer, dass dieses Jahr nix mehr drin ist. Andererseits bin ich am Nürburgring ganz normal gefahren. Knappe 50er Zeiten auf der Rad am Ring Strecke sind ja auch nicht wirklich schlecht.

Ich werde trotzdem in Moos aufhören, die fünf Kilometer danach schaffe ich auf gar keinen Fall, die sind zu steil.

Aber ich scheitere schon am flachen Teil am Anfang. Ungefähr an der Stelle wo ich auch schon 2012 kurz absteigen musste mit Krämpfen, halte ich diesmal wieder. Aber das ist jetzt kein Krampf mehr. Ich finde keine Möglichkeit zu stehen um die Beine zu entlasten. Ich dehne die Waden, Oberschenkelrückseite dehnen geht nicht mehr, ich versuche die Vorderseite zu dehnen was in einem heftigen Stich resultiert, ich zucke zusammen finde keine Position mehr, jammere und stöhne, hänge halb schräg über der Leitplanke und weiß nicht mehr was ich machen soll. Ein Kameramann steht dabei und filmt mich. Na herzlichen Dank. Mit der Würde ist es jetzt vorbei. Es tut einfach so dermaßen weh, dass ich nicht mehr weiß was ich machen soll. Wenn doch nur Olli, oder Rebecca oder Chris hier wären.

Da kommt mir die Idee, dass ich mich ja auch selbst massieren kann, vielleicht habe ich beim RAAM ja was gelernt. Das mache ich dann auch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fahre ich weiter, zunächst extrem zäh, dann geht es etwas. Sobald ich nur halbwegs treten kann habe ich sofort 280, 290 Watt zur Verfügung. Allerdings hören die Beine jetzt nicht mehr auf weh zu tun, auch wenn ich treten kann. Ich fahre auch nur noch meinen eigenen Rhythmus, ist mir egal ob ich auf den flacheren Stücken vorne im Wind fahre, allerdings, wenn ich fahre, fahre ich schneller als die meisten um mich herum.

So erreiche ich tatsächlich Moos. So, wie zum Teufel steige ich jetzt hier aus? Kriege ich hier ein Taxi? Wann kann ich denn dann überhaupt nach Sölden fahren? Ich habe es bis hierhin geschafft, ich könnte versuchen die nächsten fünf Kilometer zu schaffen, dann geht es flach bis zur Labstation und da gibt es sogar Physios!

Ich versuche es, fahre in die erste Kehre und nun geht es gleich steil berghoch. Die Power reicht, die Beine schmerzen sehr, aber ich kann sie eine ganze Weile kontrollieren, allerdings nur bis zur nächsten Kehre. Da hängt auch das passende Plakat: „ausgeträumt?“

Ich fürchte ich muss die Frage mit „ja“ beantworten. Ich mache in aller Ruhe ein Foto vom Rad mit dem Plakat im Hintergrund, die Beine krampfen mittlerweile beide von den Zehen bis zum Hüftbeuger. Ich kann nur wählen zwischen stehen und wenig Schmerzen, fahren mit Schmerzen und dann „Schmerz zu stark“, keine Kontrolle über die Beine – stehenbleiben. Zyklus startet neu.

Ich setze mich wieder auf‘s Rad fahre weiter. Will einen Kilometer schaffen. Klappt nicht ganz… Wieder stehen, massieren, dehnen, fluchen, massieren, dehnen, weiterfahren. Und wieder und wieder. Wenn ich fahre trete ich 280 Watt und mehr, aber meist stehe ich. Arbeite mich so aber im steilen Stück drei, vier Kilometer nach oben.

Da treffe ich Jakob Zurl. Er fährt gerade an mir vorbei als ich stehe, versucht mich aufzumuntern, ich fahre weiter, wir fahren ein Stück zusammen und unterhalten uns, ich muss wieder stehenbleiben, fahre weiter hole ihn wieder ein, wir unterhalten uns. Das tut mir sehr gut. Ich fahre davon wir verabschieden uns, ich bin aber sicher, dass er mich vor der Labstation noch zweimal einholen wird.

Allerdings schaffe ich es tatsächlich bis zum abflachenden Streckenteil zu kommen. Und obwohl es dann ein ganzes Stück flach dahingeht, leide ich sehr. Die Beine schmerzen sehr, ich fahre immer „kurz vor dem Krampf“, mir ist völlig egal ob ich Windschatten habe oder nicht, ich versuche einfach nur irgendwie die Labstation zu erreichen. Das es nicht weiter geht ist klar. Vielleicht ist das aber der beste Ort zum aussteigen, denn dort ist wenigstens was los. Außerdem hatten die dort doch immer Physios vor Ort.

Ich quäle mich auf dem Rad vorwärts, mittlerweile auch wirklich ausgelaugt von dem ständigen Ankämpfen gegen die schmerzenden Beine. Und auch wenn sich die Strecke noch ewig zieht, erreiche ich doch endlich die Labstation. Endlich, endlich, endlich.

Unglaublich, schon vor dem Jaufen war mir klar, dass ich aufgeben muss und nun bin ich doch bis zur Labstation Schönau gekommen. Genau genommen habe ich sogar noch die Chance unter zehn Stunden zu bleiben wenn ich weiter fahre. Eigentlich unfassbar.

Ich frage nach Salz, aber es gibt keines. Ein Mitstreiter hält mir eine Pille hin und meint die würde helfen, ist wohl ein Magnesium Präparat. Ich hatte noch nie Magnesiummangel, ich nehme sie trotzdem.

An dieser Labstation gibt es dann auch tatsächlich ISO-Getränk. Ich mache beide Flaschen voll, trinke etwas davon, trinke noch Wasser, Cola, Red Bull, esse Obst ohne Ende, Kuchen, Brot, was halt da ist. Auch Gels nehme ich noch und stecke noch drei ein. Dabei lasse ich mir Zeit. Ich sehe die Physios nicht, gucke aber auch nicht richtig. Hier bleiben will ich nicht. Selbst wenn ich schiebe bin ich wahrscheinlich schneller auf dem Timmelsjoch als wenn ich auf eine Shuttlemöglichkeit warte.

Ich trinke noch einen Schluck von dem ekligen Orangensaft (oder Orangensaftgetränk?) und fahre weiter. Bzw. versuche ich es, muss aber nach zwanzig Metern wieder absteigen. Die Krämpfe werfen mich fast vom Rad. Ich massiere, dehne, versuche weiterzufahren, schaffe wieder zehn, zwanzig Meter muss stehen bleiben. Ich bin jetzt echt sauer auf meine Beine, wenigsten im Flachen irgendwie rollen sollte doch drin sein???

Ist es aber nicht. Ich schaffe wieder nur zwanzig Meter. Mittlerweile haben die Krämpfe eine neue Qualität erreicht. Die Muskeln werden ganz fest, ich kann sie gar nicht massieren, weil ich sie nicht anpacken kann. Es lässt aber noch mal nach, ich schleppe mich tatsächlich bis zur kleinen Brücke wo die hundertachtzig Grad Kehre in den Schlussanstieg führt.

Ich habe die Hoffnung, dass die Steigung und die gleichmäßige Belastung längere Abschnitte auf dem Rad zulässt. Aber an der Brücke muss ich erst nochmal stehen bleiben. Mittlerweile ist mein Stöhnen recht unkontrolliert, wenn der Schmerz auf dem Schmerz nochmal richtig reinsticht fange ich unweigerlich an fast zu schreien. Ich glaube ich gebe ein erbärmliches Bild ab.

Egal wieder auf‘s Rad, ich fahre in die Steigung auf den ersten Tunnel zu, es geht tatsächlich einen Hauch besser als im flachen Teil. Ich hoffen nur, dass ich nicht im Tunnel absteigen muss. Ich kämpfe mich bis zum Tunnel und komme sogar hindurch, schaffe es bis zum zweiten Tunnel und auch durch diesen hindurch. Ein paar Meter dahinter ist es dann aber wieder vorbei. Nochmal stehenbleiben, massieren, dehnen, lieber nicht massieren, tut nur noch mehr weh, dehnen geht auch nicht mehr so gut, sowieso nur die Wade, fluchen, warten, fluchen, weiterfahren.

Es ist ein verdammt weiter Weg bis zu nächsten Kehre, und ein richtig steiler Abschnitt folgt auch gleich. Aber die Beine funktionieren dann tatsächlich wieder einen Hauch besser. Die Leistung ist sowieso da, aber nun bleibt auch der Schmerz erträglich.

So schaffe ich den steilen Abschnitt und fahre tatsächlich durch bis zur Kehre, wo nochmal eine kleine Labstation aufgebaut ist. Eigentlich könnte ich weiterfahren, aber ich will die Chance nutzen trinken und massieren miteinander zu verbinden. Trinke noch ein Wasser und ein Red Bull oder zwei, massieren geht aber nicht, finde auch nur eine Position, halb gebückt über dem Rad in der ich stehenbleiben kann.

Ich fahre weiter. Man gewinnt über einige Serpentinen Höhenmeter und dann geht es ähnlich lange in die andere Richtung. Ich halte eine ganze Weile durch, muss dann wieder stehenbleiben. Jetzt werden die Krämpfe aber so böse, das ich laut schreien muss. Ich versuche mich auf die Mauer zu setzen, ein Riesenfehler, die Hüfte macht zu, ich wusste nicht dass eine Hüfte so krampfen kann…

Es dauert bis ich irgendeine Position halb schief über der Mauer hängend gefunden habe, die erträglich ist. Wobei erträglich geschmeichelt ist. Ich fange an wütend zu werden. Das verrückte ist ja, ich kann immer noch unter zehn Stunden bleiben. Dabei fahre ich nun seit dem Kühtai gegen diese verdammten krampfenden Beine. Ich merke auch, dass es nicht mehr lange gut geht. Was kommt eigentlich nach dem Krampf? Vielleicht komme ich nicht bis obenhin, aber außer es zu versuchen habe ich kaum eine Wahl.

Ich setze mich wieder auf‘s Rad. Es wird jedesmal härter. Ich hatte immer ein bisschen die Hoffnung, dass es irgendwann aufhört. Ich habe an den Labstationen so dermaßen viel Nährstoffe zu mir genommen, dass es an der Zufuhr nicht liegen kann. Vielleicht sind meine Muskeln einfach so erschöpft, dass die Nährstoffe nicht mehr ankommen? Ich weiß es nicht. Aber jetzt muss ich weiter, Schmerzen hin oder her.

Ich komme recht weit, halte wieder an, dehne, massiere, dehne, warte, fluche, fahre weiter. Die Kehre scheint unendlich weit weg, aber ich erreiche sie ohne ein weiteres Mal abzusteigen. Ich trete so 260 bis 280 Watt. Plötzlich packt mich Enthusiasmus. Am Rand stehen ein paar Zuschauer und feuern uns Fahrer an, jetzt sind noch drei „normale“ Kehren zu bewältigen, ich will auf dem Rad bleiben.

Nach zwanzig Metern beschließen die Beine was anderes. Jeder Schmerz lässt sich steigern, ich kann gerade noch stehen bleiben, komme aber nicht mehr vom Rad, ich kann das Bein nicht über den Sattel heben. Ich frage mich wie das überhaupt die ganzen Male davor ging. Ich stehe am Straßenrand, einer der Zuschauer kommt zu mir gelaufen, hält mein Rad und hilft mir beim Absteigen. Ich kann mich nicht bewegen, jede Bewegung führt zu heftigen Stichen und Blitzen in Wade, Oberschenkel, Hüfte, die Zehen krampfen, ich mache unkontrolliert Geräusche.

Mittlerweile halte ich das Rad, und der Zuschauer (ich weiß leider deinen Namen nicht, aber Danke für deine Hilfe!) klopft an meinen Beinen rum. Es ist extrem unangenehm tut aber nicht weh, hilft aber auch nicht. Wir tauschen wieder und nun kann ich mich immerhin etwas bücken und massiere meine Beine. Die Oberschenkel sind an der Vorderseite und der Seite hart wie Stein und Oberhalb der Kniescheibe scheint jemand genüßlich ein Messer im Oberschenkel zu drehen. Aber der Schmerz liegt unter einem Hauch halb durchsichtigem Seidenpapier, nur wenn ich die falsche Bewegung mache sticht er hindurch.

Mit etwas Hilfe komme ich wieder auf‘s Rad. Ich fahre weiter, nur noch an der Grenze zum „ich muss sofort absteigen“. Ich darf jetzt nicht mehr absteigen, alleine schaffe ich das nicht, und vor allem komme ich alleine nicht mehr wieder auf‘s Rad. Tja, nix mit Begleitcrew und medizinischer Abteilung, obwohl, die hätten sicher gesagt ich bilde mir den Schmerz nur ein ;).

Es gibt Mentaltrainer die behaupten, dass man mit den richtigen Techniken den Schmerz zurückdrängen und ignorieren kann („Den Schmerz annehmen“, „der Schmerz ist dein Freund“, blablabla). Problem ist nur, Schmerzen haben Ursachen, und wenn der Krampf deinen Fuß nach außen reißt und dein Knie gegen das Oberrohr dotzt, und du nicht mehr treten kannst, nützt das auch nix.

Jetzt kann ich nur hoffen, dass nicht genau das passiert bevor ich den flachen Teil, also den Tunnel erreicht habe, dort käme ich schon irgendwie wieder auf‘s Rad.

Ich versuche noch mehr reinzutreten, Von der Leistung her habe ich ja immer noch locker 260 Watt, ich fahre aber mit fast 290 die Muskeln sollen keine Chance haben, aber so ganz einfach nehmen die das nicht hin.

Ich erreiche die Kehre, fahre weiter, will weiter Druck machen, geht aber nicht tut einfach weh. Bleibe aber auf dem Rad. Die nächste Kehre will ich unbedingt noch erreichen. In der Kehre muss ich aber erneut stehen bleiben. Es geht nicht, es geht einfach nicht. Es sticht, zuckt, zieht, die Muskeln sind hart wie Stein. Dehnen, massieren, dehnen, massieren, fluchen, jammern, weiterfahren. Ich versuche es noch einmal.

In der Kehre komme ich auch auf‘s Rad, versuche Tempo aufzunehmen, es tut einfach nur weh, warum muss Radfahren so weh tun? Muss es nicht, ich fahre ja freiwillig hier, aber ich habe jetzt auch wenig Wahlmöglichkeiten, außerdem bin nur wenige Meter vom Tunnel entfernt, da wird es dann flach.

Theoretisch kann ich immer noch unter zehn Stunden fahren, völlig verrückt. Aber ich muss ja wahrscheinlich auch in der Abfahrt stehen bleiben, und vor allem weiß ich nicht wie ich den Gegenanstieg schaffen soll, selbst wenn ich es das Timmelsjoch schaffe.

Ich bleibe auf dem Rad, muss an die letzten Male beim Ötzi denken, als Andrea, Maj-Britt und Jörg hier oben standen, wie erschöpft ich da war, wie mir das nochmal ein Quäntchen Kraft gegeben hat und ich dann glücklich den Tunnel erreicht habe.

Ich bleibe auf dem Rad, letzte Kehre, ich fahre auf den Tunnel zu, ich bleibe auf dem Rad. Der Tunnel kommt näher. Ich weiß, dass ich bis dahin komme, aber dann wird es flach. Was machen die Beine, muss ich im Tunnel stehenbleiben?

Ich erreiche tatsächlich den Tunnel, eigentlich geil, aber jetzt im Flachen werden meine Beine vielleicht völlig ausflippen. Ich versuche den Druck auf dem Pedal zu halten, gelingt so lala. Die Beine zucken und blitzen, aber ich bleibe auf dem Rad. Irgendwie finde ich sogar eine Position in der ich halbwegs damit zurechtkomme und überhole eine kleine Gruppe, die hängen sich hinten dran, das ist mir völlig egal, ich will nur mein Tempo fahren, bzw. mit gleichmäßigem Druck meine Beine in Schach halten.

Es geht über den kleinen Schotterabschnitt wo gerade gebaut wird, dann zieht die Steigung nochmal etwas an. Es wird grenzwertig, ich kann gerade noch auf dem Rad bleiben, aber nicht mehr lange. Da sitzt einer auf der Mauer auf der Bergseite und hat so einen kleinen Brüllwürfel aus dem es „Oleee, Ole, Oleee“ dröhnt. Hier kann ich auf keinen Fall anhalten, ich muss durchhalten, nur hier nicht stehenbleiben. Zur Passhöhe wird es nochmal kurz etwas steiler, aber ich komme tatsächlich hoch, da ist das Passschild, was für eine Sensation!

Dort steht auch ein Rettungswagen, die Krämpfe setzen gerade nochmal ganz heftig ein, ich fahre auf den Wagen zu und will mit jemandem reden, warum auch immer, fahre dann aber mit Dampf in die Abfahrt. Ich glaube für unter zehn Stunden ist es zu spät. Schon auf den ersten Metern finde ich aber eine Position in der die Beine sich halbwegs wohlfühlen. Hammer was für ein gutes Gefühl, das erste mal seit Stunden. Ich kann ganz normal abfahren. Leichter Gegenwind, deshalb nicht superschnell, aber eben ganz normal. Mehr will ich gar nicht. Einfach rollen lassen.

So erreiche ich in Normaltempo den Gegenanstieg, ein Blick auf den Radcomputer, unter sub 10 geht immer noch, aber jetzt kommt der Gegenanstieg…

Ich fahre in den Anstieg wie ich es immer machen würde, die Beine machen auch erst mal mit. Vielleicht kommt ja doch noch das Wunder und ich fahre nochmal einen Anstieg ohne Krämpfe und ohne anzuhalten hinauf. Ich schaffe es fast bis zum Beginn der Betonmauer auf der Bergseite, dann ist es aber vorbei, der Krampf rechts kommt schnell und heftig, der links langsam aber genauso heftig. War aber auch zu erwarten, wenn man irgendwo beim Ötzi Krämpfe bekommt, dann hier. Es wäre wirklich seltsam wenn ich heute ausgerechnet hier keine hätte. Nur, im Unterschied zu sonst kann ich nicht „dagegen treten“, das habe ich ja nun schon über Stunden gemacht. Ich bin doch ziemlich zerstört. Obwohl ich immer noch Power habe, und die gute Abfahrt von der Passhöhe bis hierher mir nochmal einen Schuss Extramotivation gegeben hat. Und es gibt immer noch den Hauch einer Chance auf die sub 10.

Ich komme gerade so vom Rad, die Beine krampfen beide von den Zehenspitzen bis in die Hüfte ich jammere laut, finde keine Position zum stehen, kann nicht dehnen, mir wird fast schlecht weil ich keine Bewegung finden kann mit der ich das Stechen und Ziehen abmildern kann. Nochmal massieren, dann doch leicht dehnen, fluchen, massieren, warten, fluchen, und wieder auf‘s Rad.

Ich komme sogar in die Pedale und kann tatsächlich weiterfahren. Eine paar Meter mit ganz normaler Power, 280 bis 300 Watt. Ich schaffe die erste Linkskurve, nach der man schon die Mautstation erwartet, aber ich weiß ja, dass noch eine zweite Linkskurve wartet, auf die man in einem Rechtsbogen zufährt. Durchaus nochmal ordentlich Steigung, die Beine gehen, ich versuche auf dem Rad zu bleiben, komm verdammt, bis zur Mautstation muss gehen, die Beine schmerzen sowieso, egal, weiter, links fängt es an zu ziehen, Quadrizeps, Hüfte, weiter, weiter, kämpfen bis zur Mautstation, dann geht es nur noch bergab, zieh durch verdammt, dann ist die sub 10 möglich, trotz allem. Das rechte Bein fängt ebenfalls an, Wade, Zehen, Oberschenkel, noch 50 Meter, bleib auf dem Rad verdammt, den rechten Fuß zieht es nach außen, noch 30 Meter, das Knie zieht unwillkürlich nach innen, noch 20 Meter, die Straße flacht ab, ich lasse einen Tritt aus, links tritt nochmal für den rechten, ein stechender Schmerz, noch 10 Meter. Mir ist alles egal, entweder falle ich vom Rad oder ich schaffe es bis zur Station. Die Straße wird flach, was machen die Muskeln jetzt? Wenn ich absteigen muss schaffe ich die sub 10 nicht.

Aber die Beine reagieren wie oben am Timmelsjoch, ich kann tatsächlich auf dem Rad bleiben, kann noch etwas treten bis es nach der Mautstation richtig bergab geht und finde eine erträgliche Position auf dem Rad. Vor mir fährt einer etwas zu langsam, ich kann aber nicht vorbeifahren, dann müsste ich treten und würde riskieren, dass die Beine „zu“ machen. Ich bleibe dahinter im Windschatten, muss sogar etwas bremsen.

Bis Hochgurgl erholen sich die Beine mehr und mehr, ich kann sogar in den Kurven kurz das kurvenäußere Bein strecken und die Kurve richtig nehmen. An der letzten Kreuzung in Obergurgl, bzw. zwischen den beiden Ortsteilen wollen die Beine nochmal kurz aussteigen, aber ich trete etwas rein, tut zwar weh aber geht irgendwie. Die ersten Häuser kommen, noch zwei etwas flachere Abschnitte überstehen, jetzt kommt der erste. Und da bläst mir auf einmal heftiger Wind entgegen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Timmelsjoch, alte Ötziweisheit. Oben war es zwar bewölkt, aber Regen hatte ich keinen, nun frischt der Wind aber stark auf, und bläst uns heftig entgegen.

Zwei Fahrer überholen mich, ich will mich dranhängen, die Beine wehren sich, ich muss jetzt da dran kommen, sonst fahre ich alleine im Wind. Es klappt – irgendwie. Keine Ahnung wie. Ich kann den ganzen Abschnitt dranbleiben, bis es wieder richtig bergab geht, ist ja nicht so lange.

Nach der Serpentine kann ich sogar beschleunigen, in der Lawinengallerie halten die Beine still, wir geißeln in Richtung Ziel. Wenn ich den flachen Abschnitt hinter Zwieselstein ohne abzusteigen überstehe, schaffe ich es unter zehn Stunden zu finishen!

Ich kenne die Abfahrt ja gut von vor zwei Wochen. Kein Problem dranzubleiben. Dann erreichen wir Zwieselstein. Wir fahren auf weitere Fahrer auf und von hinten kommen auch noch welche. Hier im letzten flachen Abschnitt muss ich dranbleiben. Die Beine müssen jetzt funktionieren, nur diese paar verdammten Kilometer noch.

Kurz zieht und blitzt es nochmal, aber ich kann es kontrollieren. Die Power ist noch immer da. Ich muss meinen eigenen Rhythmus fahren, fahre aus dem Windschatten, gebe einfach Gas, bloß den Beinen keine Gelegenheit mehr geben mich vom Rad zu holen. Und dann die Mülldeponie, ich glaube das ist die beliebteste Mülldeponie der Welt, der Reifen hinten fängt nochmal an zu rubbeln, die ganze Zeit war das nur ganz minimal bei den Abfahrten, jetzt bloß nicht noch ein Plattfuß.

Wir schießen auf Sölden zu, in langer Rechtskurve, vorbei am Abzweig zur Gletscherstraße, dann Linkskurve, das rechte Bein zuckt und sticht, ich muss bremsen, kann es nicht austrecken, egal, weiter, weiter, weiter, durchziehen, irgendwie durchziehen.

Ich trete, das Bein beruhigt sich etwas, ich bleibe im Windschatten, noch 1000 Meter! Noch 1000 verdammte Meter, und ich finishe das Ding in unter zehn Stunden, davon über sieben Stunden mit heftigen Krämpfen. Wenn ich nicht zweimal das RAAM gefahren wäre müsste ich sagen, das härteste was ich je gemacht habe.

Ich bin aber auch komplett zerstört. Nur diese Gefühl auf den letzten paar hundert Metern zu sein hält mich am Laufen. Die fünfhundert Meter Marke nehme ich nicht war, ich habe auch keinen Windschatten mehr, ich weiß auch nicht wo die anderen sind.

Noch 200 Meter, ein paar sind hinter mir, ein paar vor mir, ich fange nochmal an kräftiger zu treten. Jetzt weiß ich, dass ich tatsächlich ankomme, tatsächlich finishe. Eigentlich hätte ich niemals ankommen dürfen. Und ich bin unter zehn Stunden. War das nicht das, was ich vorher als in Würde finishen definiert hatte? Würde ist ein seltsamer Begriff. An der Mauer zu stehen und zu jammern, ja zu schreien ist das würdevoll? Zwanzig Meter stöhnend auf dem Rad zu sitzen, stehen zu bleiben, fünfzehn Meter auf dem Rad zu sitzen stehen zu bleiben, schief weiterzufahren, ist das würdevoll?

Ich habe keine Ahnung, ich rolle über die Brücke auf die Ötztal Arena zu, über die Ziellinie, der Moderator nennt meinen Namen, ich schaffe es anzuhalten und stehenzubleiben, kann geradeso ausklicken aber nicht absteigen. Ich lege meinen Kopf auf den Lenker, die Tränen schießen mir in die Augen.

Ich mag keine Schmerzen und würde mir niemals freiwillig in irgendeiner Form welche zufügen. Aber ich bin auch unglaublich schlecht im Aufgeben. Hätte es in St. Leonhard ein Shuttle gegeben ich hätte mit Sicherheit aufgehört. Und das wäre schon zu spät gewesen. Ich bin jetzt über sieben Stunden gegen die Krämpfe gefahren, vielleicht halte ich keinen Weltrekord im 24 Stunden Höhenmeter sammeln, aber sowas wie das hier machen wahrscheinlich auch nicht viele. (Klar es gibt immer einen der „besser“ ist als du, wahrscheinlich selbst darin…)

Ich arbeite mich vom Rad, ich muss ja raus aus dem Zielraum, laufen geht dann aber einigermaßen. Ich finde Katrin und hole mir erst mal eine Umarmung ab. Wieder schießen mir die Tränen in die Augen.

Das Hotel ist ja gleich um die Ecke. Das Gehen tut den Beinen sogar ganz gut. Alleine ausziehen kann ich mich aber nicht. Aber duschen kriege ich hin. Keine Ahnung was ich meinen Muskeln da heute angetan habe, aber die nächsten Wochen werde ich außer Schonen, ganz leichtem „Durchbewegen“, vielleicht etwas Schwimmen nix machen können.

Nach einer Dusche und nachdem Katrin mir beim Anziehen hilft, kann ich schon wieder ganz brauchbar zur Chipabgabe laufen. Auf das personalisierte Finishertrikot verzichte ich, wenn vorne eine 8 gestanden hätte, hätte ich das sicher gemacht. Aber eine 9:50 wollte ich jetzt nicht auf‘s Trikot drucken lassen. So wertvoll diese Zeit für mich heute auch ist. (Ich empfinde sie sogar als sensationell.)



from WordPress http://ift.tt/2wfPwUD
via IFTTT