Freitag, 27. Oktober 2017

RAAM 2017 Rennbericht Teil 10 – Der Weg zum Ziel

10 Tage. Eine magische Marke für das Race Across America. Die unterscheidet die „Finisher“ von denen, die wirklich um die ersten Plätze kämpfen können.

Vielleicht war es arrogant von mir dieses Ziel ernsthaft als erreichbar einzuschätzen. Andererseits, genau deswegen fahre ich dieses verdammte Rennen nochmal. Damit ich mir selbst und vielleicht auch allen anderen, beweisen kann, dass ich mehr bin als „nur“ ein Finisher, dass ich hier wirklich ums Podium kämpfen kann, dass dieses Rennen wirklich für mich gemacht ist.

Wir sind nun knapp neun Tage unterwegs und noch unendlich weit vom Ziel entfernt. Andererseits, noch vier Time Stations und „Hanover“ ist erreicht, von dort glaube ich meinen Endspurt ansetzen zu können. 2014 begann ab dort die beste Phase des Rennens für mich, und jedesmal wenn ich per Dotwatching die Rennen seitdem verfolgt habe, war die TS 51 das Symbol für den Endspurt.

Aber das war Theorie zu Hause. Und 2014 ist drei Jahre her. Jetzt bin ich über 50 Jahre alt. Und ich befinde mich gerade „in der Praxis“. Nur mit Mühe habe ich die letzte Time Station erreicht. Ich musste an die mentale Grenze gehen um sie überhaupt zu erreichen. Die Crew musste ganz schön arbeiten um mich am Laufen zu halten.

Es ist Abend als ich auf das Rad steige. Der nächste Abschnitt soll relativ einfach sein. Ich reagiere allerdings recht empfindlich auf den Verkehr. Und es geht schon teils ordentlich bergauf und bergab. Der Abschnitt hat allerdings mit ca. 50 Meilen eine Länge die ich mag. So scheint das erreichen der nächsten TS machbar und wir nähern uns der TS 50 immer mehr.

Die Crew ist ziemlich gut drauf und nach meinem seltsamen Stopp vor der letzten Schlafpause spüren sie, dass ich jetzt jede Unterstützung gut gebrauchen kann.

Ich fühle mich eigentlich erst mal ganz gut nachdem ich die ersten zähen Kilometer überwunden habe. Ich habe auch nicht die geringste Sorge wegen des kommenden Abschnitts mit vier sehr steilen Steigungen. Aber als wir TS 48 erreichen, drehen meine Begleiter nochmal richtig auf.

Diese, laut Route Book „most difficult section of RAAM“ beinhaltet vier steile Anstiege. Wir befinden uns in den Appalachen. Da ist das nicht verwunderlich. Allerdings kann ich mindestens zwei Sektionen nennen die diesen Titel sicher mehr verdient haben…

In die Nacht hinein kämpfe ich mich nun die Anstiege hoch. Dabei feuert mich die Crew an als wären wir beim WM-Endspiel in der Verlängerung. Jeden Meter brüllen mich die Mädels und Jungs aus dem Followcar berghoch. Dirk und Thorsten laufen manchmal nebenher und reichen nicht nur Getränke, sondern feuern mich auch an. Saron überholt mich, fotografiert, feuert mich an, selbst das Wohnmobil ist nicht weit und ich bekomme immer wieder Anfeuerung vom Straßenrand.

Wirklich sensationell. (Natürlich trägt es zur guten Stimmung bei, dass das Ziel nun so nahe ist und zumindest die Wahrscheinlichkeit zu finishen sehr hoch ist.) So komme ich die Anstiege ganz ordentlich hinauf und erreiche die nächste Time Station noch deutlich vor Mitternacht.

Jetzt bin ich also auf dem Weg zu TS 50, Eigentlich geil. Jetzt sollte langsam die „Endspurtpower“ kommen. Jetzt sollte ich Mark Pattinson angreifen können. Allerdings hat er seinen Vorsprung auf mittlerweile zweieinhalb Stunden ausgebaut. Meine Schlafpause konnte ich also kaum wieder herausfahren.

Nach hinten allerdings sieht es ganz gut aus. McKenna ist wieder zurückgefallen, Brian Toone ist der härteste Verfolger, der hat aber ca. sechs Stunden Rückstand. Nichts worauf man sich ausruhen könnte, aber immerhin gibt mir das zur Not Luft für eine lange Schlafpause.

Allerdings hält die Crew das Ziel unter 10 Tage immer noch für realistisch, so dass an eine Schlafpause wirklich nicht zu denken ist.

Ich fahre nun in der tiefen Nacht und ich muss gegen heftige Müdigkeit und den Wunsch abzusteigen und Pause zu machen ankämpfen. Die Crew auf dem Auto ist noch immer euphorisiert vom letzten Abschnitt wo mich alle die Anstiege hochgebrüllt haben. Klaus feuert mich ununterbrochen halb aus dem Auto hängend an. Ich erinnere kurz daran, dass wir an dem Gettysburg Schlachtfeld vorbeikommen und dort „angemessen leise“ sein müssen.

Nun bin ich über Funk also nur noch von Chris unterhalten und wach gehalten, denn ich habe wirklich sehr mit Müdigkeit zu kämpfen. Wieder habe ich das Gefühl im Kreis zu fahren. Alles sieht gleich aus und es geht erstaunlich steil berghoch und bergab. Ich kann mich nicht erinnern, dass das 2014 so war. Von Endspurt keine Spur, sondern nerviges Auf und Ab.

Ich müsste kurz stoppen. Allerdings gibt es hier fast keine Möglichkeit regelkonform anzuhalten. Wir finden dann doch eine Möglichkeit, zumindest erscheint es mir so und ich halte einfach an. Wir stehen keine 5 Sekunden als wir aus dem Dunkel beschimpft und bedroht werden.

Eine wild kreischende Frauenstimme droht uns mit wüsten Beschimpfungen. Und keine zwanzig Sekunden später springt ein V8 an und das Grummeln des brutal klingenden Motors kommt schnell näher. Ein heruntergekommener Pickup kommt aus dem Dunkel und hält neben uns. Ein wild aussehender Typ bedroht uns sofort aus dem Auto heraus (und ich bin sicher, er hatte sein Gewehr auf dem Schoß auf uns gerichtet) und will, dass wir verschwinden.

Klaus versucht ihn zu beruhigen und erklärt, dass wir keine Räuber sind und ich nur eine kurze Erholungspause brauchte und dass wir ein Radrennen bestreiten. So ganz glaubt der Typ uns diese, zugegeben verrückt klingende, Geschichte nicht, aber lässt uns großzügiger Weise zwei Minuten um zu verschwinden.

WTF! Anyway, wir machen, dass wir wegkommen, mehr Motivation braucht es gerade wirklich nicht. Ich bin froh, dass wir ohne Schussverletzungen davon kommen und versuche jetzt wieder in einen halbwegs vernünftigen Rhythmus zu kommen.

Aber der zusätzliche Adrenalinstoß hält nur kurz. Die Müdigkeit und körperliche Schwäche übermannt mich wieder. Ich schalte viel mit dem Umwerfer ohne recht zu wissen warum. In meinem Kopf entstehen Geschichten um den Schaltvorgang die nichts mehr mit seiner eigentlichen Funktion zu tun haben. Manchmal blitzt der Verstand durch und ich verstehe was ich tue und merke wie sinnlos ich gerade die vorderen Kettenblätter wechsle, aber dann versinke ich wieder in diesen psychedelisch, abstrusen Bildern.

Ich will eigentlich nur, dass die Nacht zu Ende geht, dass das Radfahren zu Ende geht, dass überhaupt alles zu Ende geht und ich endlich absteigen kann. Immer wieder kommen die gleichen Lichter, die gleichen Hügel, wir fahren bestimmt nicht mehr auf der richtigen Strecke. Das Geschwätz von Chris geht mir tierisch auf den Senkel, aber wenn er aufhört zu reden weiß ich kaum, dass ich treten muss um berghoch zu fahren. Also bin ich gleichzeitig dankbar und genervt.

Verdammt, ich wollte ja an die „mentale Grenze“ gehen, meine größte Enttäuschung 2014 war, dass ich das nicht machen konnte, da ich durch die Probleme mit dem linken Bein daran gehindert wurde. Nun bin ich wohl an dieser Grenze, und es ist wirklich scheiße. Das ist kein „Ort“ wo ich sein will.

Alles in mir sagt „bleib stehen“, „halte an“, wann ist der Mist nur endlich vorbei? Ich muss jetzt aber durch. Ich muss weiterfahren, dieser Abschnitt muss ja auch irgendwann aufhören.

Oder bin ich hier in einer Endlosschleife gefangen? Ist das die Hölle? Immer und immer wieder die gleichen widerlichen Hügel zu fahren, immer im Kreis, im Dunklen hier irgendwo in Maryland? Ich kann mich noch vernünftig mit der Crew unterhalten, die versichern mir, wir fahren nicht im Kreis, aber die Meilenzahl bis zur TS, die sie mir nennen, scheint nicht kleiner zu werden.

Wieder versinke ich in Bildern und Geschichten die sich als Versuch auf‘s große Kettenblatt zu schalten herausstellen. Ich versuche mich zusammenzureißen. Ich muss durch diese verdammte Etappe kommen. Hanover erreichen, den Endspurt anziehen, unaufhaltsam Mark Pattionson einholen. Und dann wieder Bilder, Farben, ich habe wieder sinnlos den Umwerfer geschaltet. Oder habe ich gerade runtergeschaltet um berghoch zu fahren?

Ich habe keine gute Koordination mehr. Ich merke noch, dass ich meine Hände wieder an der Stelle belaste wo der Ulnaris vom Unterarm in die Hand läuft. Eine wirkliche Schwachstelle von mir, ich habe es acht Tage gut kontrolliert, aber nun sind alle kleinen Hilfsmuskeln erschöpft, ich sitze nur auf dem Rad weil ich anscheinend immer auf dem Rad sitze. Aber nichts mehr ist wirklich kontrolliert über den Punkt hinaus wo ich das Fahrrad lenke und auf der Straße halte.

Die Nacht hört nicht auf. Ich fahre im Kreis, oder doch nicht? Die Meilen fließen so zäh wie Kontinentalplatten, Chris im Ohr erzählt mir, dass ich nun bergab doch Schwung für den nächsten Anstieg mitnehmen soll und ordentlich reintreten soll. Häh, du willst mir was von Radfahren erzählen? Aber was sollte ich nochmal machen? Und was ist das für ein seltsames Bild, das gerade wieder zu einem Schaltvorgang am Umwerfer verschwimmt.

Ich muss durchhalten, weiterfahren. Und ich fahre weiter. Irgendwann, wirklich irgendwann erreichen wir tatsächlich die nächste Time Station. Gerade mal 48 Meilen bin ich voran gekommen, deutlich über vier Stunden hat es gedauert, dabei hat es sich angefühlt wie vier Jahre.

Und der Weg nach Hanover ist fast nochmal genauso lang. Und es geht genau so weiter. Immerhin fahren wir irgendwann in den Sonnenaufgang hinein. Endlich der Nacht entfliehen.

Thorsten und Meike sind nun am Mikro auf dem Followcar, die sagen mir ich soll etwas Gas geben, die 10 Tage Marke ist immer noch im Bereich des Möglichen. Außerdem können wir ja noch Mark Pattinson angreifen, der ist immer noch drei Stunden vorraus.

Mir ist Pattinson aber gerade völlig egal. Trotzdem versuche ich Gas zu geben wie es nur geht. Unter 10 will ich auf jeden Fall fahren. Vor allem nachdem ich nun weiß, egal wie das hier ausgeht, dass meine Annahmen alle völlig realistisch waren. Auch 2014 waren sie es schon. Und ich weiß nun, dass es richtig war das RAAM nochmal zu fahren um das „klarzustellen“. Ich weiß auch, dass selbst 10 Tage und 2 Stunden eine gute Zeit für das diesjährige RAAM wäre. Mehr Meilen, mehr Höhenmeter, mehr Hitze, mehr Kälte, mehr Gegenwind. Wenn ich dieses Ding finishe, das wäre ein Riesenerfolg. Noch nie hatte ich ein DNF und ich will auch jetzt keines. Also nochmal richtig kämpfen.

Durch das Tageslicht geht es mir wieder erheblich besser, allerdings kommt die erhoffte „Endspurtpower“ nicht. Ich nehme aber alle noch verbliebenen Kräfte zusammen um das Tempo hoch zu halten.

Die Strecke ist nicht so wie ich sie mir vorgestellt hatte, es gibt doch noch einige signifikante Steigungen. Das habe ich 2014 gar nicht so wahrgenommen. Jetzt merke ich die allerdings deutlich in den Beinen. Trotzdem bin ich immerhin schneller als bei dem Gegurke heute nacht.

So erreichen wir TS 52 nach ca. drei Stunden. Die Crew hat den Penalty Status gecheckt und wir müssen kein Penalty absitzen. Sehr gut, auch wenn wir zwei Verwarnungen bekommen haben, das ganze Team hat hier richtig gut gearbeitet! Ich bin schon jetzt stolz auf die Crew.

Aber erst mal gilt es nun ins Ziel zu kommen. Und noch kämpfe ich um die 10 Tage Marke. Nochmal bekomme ich die Anweisung zum Endspurt. Ich lege also richtig los mit Vollgas, es können ja nur noch ein paar Meilen sein, dann kommt der Zielstrich oder?

Wir fahren durch sehr schöne Landschaft, offensichtlich haben einige reiche Häuslebauer dieselbe Einschätzung, aber Ziellinie kommt keine. Waren es ab hier nicht nur noch ein paar flache Meilen?

So langsam geht mir die Luft aus mit dem „Vollgas“. Ich versuche das Tempo zu halten, geht aber nicht, so falle ich wieder in einen „normalen“ Rhythmus zurück. Wir fahren schier endlos durch diese eigentlich faszinierende Gegend, kommen dann aber auf einen vielbefahrenen Highway.

Das kann doch nicht sein, die Ziellinie sollte doch nur ein paar Meilen weit sein. Die Zeit verrinnt. Keine Endspurtpower, keine Ziellinie, und nun auch noch extrem nerviger dichter Verkehr auf irgendwelchen überfüllten Highways und wir fahren an jeder Abfahrt vorbei. Das kann nicht sein, wir müssen uns verfahren haben. Ich kann mich doch genau an 2014 erinnern, gleich muss auf jeden Falls diese verdammte Ziellinie kommen?!

Kommt sie aber nicht. Es ist schwülwarm, geradezu unerträglich schwülwarm. Ich frage nach beim Followcar, aber die Antwort ist nur, dass es noch etwas dauert und wir auf der richtigen Strecke sind.

Ich will jetzt endlich, dass es zu Ende ist. Außerdem muss ich auf die Toilette. Und zwar dringend. Mein Ersuchen um einen Stopp wird freundlich aber bestimmt abgelehnt.

Mittlerweile haben wir endlich den Highway wieder verlassen, nur die verdammte Ziellinie will nicht näher kommen. Da, eine Tankstelle, ich biege einfach ab und halte zur Überraschung meiner Begleiter an. Sorry musste sein. Auf der Toilette sind es minus 20° C. Ist mir aber egal.

Alle sind im „wir haben es bald geschafft“ Fieber, aber ich musste diese Pause machen und quäle mich nun wieder auf‘s Rad. Weiter geht‘s. Ich versuche tatsächlich nochmal den Endspurt zu fahren, aber genau genommen muss ich sehen, dass ich überhaupt noch bis zum Ziel durchhalte.

Die Ziellinie ist immer noch nicht da, nochmal biegen wir kompliziert in einem Ort ab und fahren noch etwas „über Land“. Dann endlich, endlich, unglaublich, die verdammten Hütchen, die Ziellinie, die das Ende der Zeitmessung markiert.

Wenn man diesen Punkt erreicht hat, dann hat man offiziell gefinished. Man fährt noch ein Stück weiter bis zu einer Tankstelle. Dort trifft man auf die Officials die einen bis zum Hafen in Annapolis begleiten. Die Zeit bis dorthin wird fest mit zwanzig Minuten gerechnet. Man fährt im sogenannten Parademodus.

2014 ist mir an dieser Tankstelle, als ich vom Rad abgestiegen bin, sämtliche Kraft aus den Gliedern gefahren und diese Fahrt im Parademodus war seltsamerweise mit der schmerzhafteste Abschnitt überhaupt.

Was wenn das diesmal genauso ist? Ich realisiere es noch nicht richtig, ich habe das Ding gefinished?! Die Quälerei ist vorbei?! Es ist tatsächlich vorbei!

Glücksgefühl strömt durch den Körper. Ich habe tatsächlich das Race Across America zum zweiten Mal gefinished! Wahnsinn. Und das bei diesem schweren Rennen. Und eines ist klar, ich habe es nicht nur gefinished, sondern ich habe meine AK gewonnen und bin auf dem Gesamtpodium gelandet.

Was ist mit der Zeit? Die letzten Meter bis zur Tankstelle sind sensationell. Das sind eigentlich die paar hundert Meter für die man die knapp 5000 Kilometer zuvor zurückgelegt hat.

Ich rolle auf die Shell Tankstelle. Die komplette Crew ist da, alle auch die Wohnmobilbesatzung. Was für eine Freude! Was für eine Crew! Ich genieße jede einzelne Umarmung mit jedem einzelnen Teammitglied. Die Officials gratulieren mir, und ich bekomme die offizielle Finisherzeit: 9 Tage 22 Stunden 40 Minuten.

 

9 Tage 22 Stunden 40 Minuten. Am liebsten würde ich mir das sofort auf den Unterarm tätowieren lassen. Ich habe mir wirklich ambitionierte Ziele gesetzt. Und habe sie alle erreicht. Mein ganzer Körper besteht nur noch aus Zufriedenheit.

Vor ein paar Stunden noch war ich an meiner mentalen Grenze, jetzt erlebe ich einen der schönsten Momente meines Lebens.

Wir machen ein Gruppenfoto und das Schöne ist, dass es nicht nur so ein ultraschöner Moment für mich ist, sondern eben für das gesamte Team. Alle Crewmitglieder sind Teil dieses Erfolges, alle Crewmitglieder sind RAAM-Finisher. Das das Ganze eine Teamleistung ist wurde nirgends so deutlich wie in der letzten Nacht. Neben meiner Zufriedenheit fühle ich auch Dankbarkeit. Vor allem gegenüber dem Team, aber auch grundsätzlich bin ich dankbar für das Privileg dieses Rennen bestreiten zu können und es gefinished zu haben.

Nach all den großen Emotionen gilt es allerdings noch die letzten Meilen zum Hafen in Annapolis zurückzulegen. Aber im Gegensatz zu 2014 fühle ich keine Schmerzen, sondern wir haben wirklich Spaß auf diesem allerletzten Abschnitt.

Nachdem Vic Amijo 2014 nach dem Rennen geschrieben hatte, „there was nothing flashy about him“, was zwar positiv gemeint war, mich aber doch etwas provoziert hat, bin ich diesmal vorbereitet. Für den Zieleinlauf ziehe ich nochmal frische Klamotten an und mein original Flash T-Shirt.

Und so rollen wir in Annapolis ein und haben nochmal den schönen Moment mit dem Zieleinlauf am Hafen. Finisher des Race Across America 2017!

Hammer. Nach Überreichung der Finishermedaille gibt es noch ein Interview mit George Thomas. Was für ein Unterschied, ich spüre den Respekt den er mir entgegenbringt. 2014 war er zwar auch freundlich, aber er ist selbst ein erfolgreicher Ultradistanzfahrer. Und natürlich weiß jemand wie er, was es heißt dieses Rennen zu finishen, aber ich war eben „nur“ ein Finisher. Aber diesmal habe ich Marko Baloh deutlich geschlagen und damit die Alterklasse gewonnen, zudem haben wir Mark Pattinson ordentlich unter Druck gesetzt und sind Dritter insgesamt geworden, und wir haben dieses wirklich schwere RAAM unter 10 Tagen beendet. Diesmal sieht er mich offensichtlich mit anderen Augen. Ein Moment den ich zugegebenermaßen genieße.

Nun ist es wirklich vorbei. Wir haben jetzt tatsächlich zwei Tage zeit. Es ist geschafft, das Rennen liegt hinter mir. Ich lege mich auf das schön warme Pflaster in die Sonne, schließe die Augen und genieße den Moment. Solche Momente, in denen man gerade etwas großes, außerordentlich anstrengendes erreicht hat, und nun für einige Minuten völlig frei ist, von jeder Verpflichtung, von jedem Ziel, von jeder Anstrengung, gibt es nur wenige im Leben. Diesen Moment gerade genießen zu können ist ein enormes Privileg.

Es dauert eine Weile bis wir dann im Hotel ankommen. Ich nehme mir fest vor wachzubleiben und noch, und wenn‘s nur eine Stunde ist, mit der Crew zu feiern. Aber nachdem ich erst mal im Hotelzimmer bin, fällt es mir schwer wachzubleiben. Schließlich verliere ich den Kampf und schlafe ein. Auch Katrins versuche mich zu wecken schlagen fehl.

So feiert die Crew in Annapolis unseren wunderbaren Erfolg. Ich kehre erst zwölf Stunden später wieder unter die lebenden zurück. Das Gefühl auzuwachen, ausgeschlafen, in einem Bett zu liegen und zu wissen, dass man gleich gemütlich zum Frühstück schlendert – unbeschreiblich…



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Sonntag, 1. Oktober 2017

RAAM 2017 Rennbericht Teil 9 – Das Racing beginnt

Bald werden wir den Mississippi River erreichen, ich kämpfe um den Sieg in der Altersklasse und ich kämpfe ums Gesamtpodium. Theoretisch ist sogar noch eine Zeit unter 10 Tagen drin, auch wenn ich praktisch nicht mehr daran glaube. Aber letztlich hat sich alles was ich mir erhofft hatte bis hierhin eingestellt.

Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so hart ist. Und das, obwohl ich das Rennen ja schon mal gefahren bin. Und damals, 2014, war es brutal. Aber diesmal ist es noch eine Stufe härter. Das Wetter unterstützt die Zeit nicht und die Gegner sind zäher als gedacht. Mark Pattinson habe ich definitiv etwas unterschätzt. Ich hatte damit gerechnet in der Mitte des Rennens etwas auf ihn gut zu machen, damit er mich mit seinem durchgehend konstanten Tempo, auch gegen Ende des Rennens, nicht mehr einholen kann. Jetzt liegt er vor mir. Marko Baloh habe ich einen Hauch stärker eingeschätzt, aber ich glaube der kommt nochmal richtig.

Patrick Grüner hatte ich als Geheimfavorit eingeschätzt, er hat auch entsprechend angefangen, nun lässt er aber etwas nach. Zwar momentan noch unerreichbar für mich, aber der ist noch lange nicht durch. Strasser erwartet stark, kein Zweifel mehr an seinem Sieg wenn er heil ankommt. Aber auch das muss er erst mal schaffen. Statistisch gesehen, wird die Ausfallquote ab dem Mississippi River zwar deutlich geringer, aber einer der ersten fünf wird bestimmt nicht ankommen, ich hoffe, dass nicht ich es bin, auch wenn ich es für keinen anderen hoffe.

Aber ich glaube, dass ich mit das stärkste Team habe. Alle scheinen gut zusammenzuarbeiten und sich gut zu verstehen. Mir ist klar, dass sie eventuelle Unstimmigkeiten nicht unbedingt an mich herantragen werden, aber ich spüre schon, dass einfach mehr Luft bleibt für das Team mich zu unterstützen als es 2014 der Fall war, was bedeutet, dass es untereinander besser funktioniert und die Belastung so für den Einzelnen etwas geringer ist.

Aber mir ist auch klar, dass wir noch unglaublich weit vom Ziel entfernt sind. Und dass es jetzt wirklich hart wird, für mich, aber auch für jedes einzelne Teammitglied. Wir sind jetzt sechseinhalb Tage unterwegs, nun kommt die kritische Phase.

Diese Gedanken gehen mir durch den müden Kopf auf den ersten Kilometern von Washington MO in Richtung Mississippi River. Wir fahren in den Morgen hinein, die Straßenführung ist für mich extrem verwirrend, aber die Crew navigiert sehr souverän. Ich finde die Landschaft seltsam, dieses Gekurve auf Nebenstraßen an, über, um die Highways und vor allem um den Großraum St. Louis herum. Es ist außerdem recht kühl.

Es dauert nicht lange und ich sehe Marko Baloh vor mir. Er hat ja einen anderen Schlafrhythmus als ich. Und kurz darauf taucht auch noch Pattinson vor uns auf. Damit liegen wir drei nun kurz vor dem Mississippi River ganz dicht zusammen. Eine eher ungewöhnliche Konstellation für RAAM Verhältnisse, gerade vorne im Feld.

Eigentlich habe ich gar keine Lust jetzt zu überholen und einen Kampf um Platz drei anzuzetteln. Aber als Baloh neben Pattinson fährt um sich etwas zu unterhalten (bis zu 15 min darf man nebeneinander fahren) und ich aufschließe, und mein etwas gequält fröhliches „good morning“ nur leichtes Kopfnicken und irgendwas gemurmeltes hervorruft, denke ich mir dann eben nicht und gebe etwas Gas und fahre davon.

Ich merke schon beim wegfahren, dass das nicht ohne Gegenreaktion bleibt, obwohl die beiden noch etwas zusammen weiterfahren.

Das Gekurve auf, für mich, etwas verwirrender Streckenführung geht noch eine Weile weiter, und es dauert viel länger als gedacht bis es tatsächlich soweit ist und wir den Mississippi River überqueren.

Pattinson und Baloh haben mich zwar schon wieder überholt, aber es ist sensationell, wieder habe ich diese entscheidende Stelle erreicht. Es ist zwar nur Statistik, aber die hat sich nun schon seit Bestehen des Rennens immer wieder bestätigt, ab hier ist die Quote der Fahrer die ankommen sehr sehr hoch. Und dieses Rennen ein zweites Mal zu finishen würde mir sehr viel bedeuten. Ich habe längst kapiert wie hart es dieses mal ist, und das Platzierung und Zeit nicht mehr so wichtig sind sondern dass es ums Durchkommen geht.

Andererseits, meine Beine sind sogar besser geworden. Auf Behandlung durch Meike kann ich mittlerweile wieder verzichten. Nicht aber auf die Behandlung durch die Physios. Wobei Chris und Rebecca beide der Meinung sind, das meine Beine nun deutlich lockerer sind als zu Beginn des Rennens.

Es läuft auch ganz gut. Die Beine funktionieren, der Kopf ist recht wach, ich komme ganz vernünftig vorwärts. Ich habe allerdings kein Bedürfnis die beiden vor mir anzugreifen, ich will immer noch erstmal mein Ding durchziehen. Da bin ich mental etwas schwächer als 2014, wo jeder Fahrer in der Nähe mich extrem angespornt hat.

Andererseits läuft es im Moment so gut, dass ich sogar Gelegenheit habe mir endlich mal wieder die Zähne zu putzen. Durch das ganze Ensure und Sponser Competition, alles ja recht süß, habe ich einen pelzig, mumpfigen Geschmack im Mund. Für Zahnhygiene bleibt wenig Zeit während des Rennens. Nun genieße ich das Zähne putzen in voller Fahrt. Dirk dreht ein Video davon und wir posten es auf Facebook. Es wird ein Hit mit weit über tausend Zugriffen. Es muss also nicht immer nur „Leiden“ sein. :)

LINK YouTube

Pattinson, Baloh, Löhr liegen die nächsten Time Stations immer innerhalb einer halben Stunde, wir nähern uns aber Gruener mit großen Schritten. Dann kommt die Meldung, dass der aufgeben muss. Irgendwas mit „medizinischen Gründen“ ist die erste Information, es scheint aber nichts schwerwiegendes zu sein. Schade, ein vielversprechender Rookieauftritt, wäre spannend gewesen zu sehen welche Zeit er ins Ziel gebracht hätte.

Anyway, nun gibt es eine neue Situation, wir drei Kämpfen jetzt um Platz zwei im Gesamtklassement. In dem Moment mache ich mir allerdings wenig Gedanken darum. Die letzte Etappe vor der Schlafpause hat mir deutlich vor Augen geführt wie hart dieses verdammte Rennen ist und ich will einfach nur durchkommen. Wird schwer genug…

Ich bekomme eine Pause mit Obst und Avocado mit Zitronensaft, vor allem Toilettenpause und natürlich auch Behandlung der Beine. Die musste ich mir auch zwischendurch nochmal nehmen. „Es läuft gut“ heißt beim RAAM in diesem Stadium schon etwas anderes als im normalen Radfahrleben…

Nachdem wir Missouri und Ilinois durchquert haben, erreichen wir nun Indianapolis. Ein Teilziel für mich ist der nächste Staat Ohio, es ist ein gutes Gefühl dem schon so nahe zu sein (für RAAM Verhältnisse natürlich). Ich mag es auch, dass die Abstände zwischen den Time Stations gerade nicht so lange sind, meist um die 50 Meilen.

Es ist eigentlich recht warm, gegen Abend erwischt uns allerdings ein etwas längerer Regenschauer. Ich verzichte aber auf großartig Regenklamotten.

Die Landschaft ist immer noch landwirtschaftlich geprägt. Die Siedlungen bringen etwas Abwechslung, wirken aber selten beeindruckend. Nur einmal werde ich überrascht, als plötzlich rechts am Straßenrand eine große Deutschlandfahne weht und ein Vater mit seinem Sohn im Arm die Fahne schwenkt und mich anfeuert. Sehr cool, vielen Dank!

Auch aus Deutschland bekomme ich weiterhin Anfeuerung per Mail, Voicenachricht, Twitter, Facebook und Blogkommentaren. Da wir sehr zeitnah berichten, bekommen wir auch viel Feedback, wirklich sehr sehr geil. So hatte ich mir das gewünscht. Ich bin wirklich happy, dass Saron das so gut umsetzt.

Aber das ganze Team hat mich bis hierhin fantastisch unterstützt, ich habe wirklich das Gefühl, dass ich mich auf jeden Einzelnen verlassen kann und egal wer auf dem Auto sitzt, ich fühle mich wirklich wohl.

So erreichen wir nach knapp sieben Tagen und zehn Stunden Bloomington IL, mitten in der Nacht. Eine zwei Stunden Schlafpause steht an. Strasser hat mittlerweile deutlich mehr als einen Tag Vorsprung, um den Gesamtsieg kämpfen kann ich nicht mehr, aber der zweite Pattinson liegt nur anderthalb Stunden vor mir. Und mein momentan einziger ernsthafter Konkurrent in der Altersklasse liegt drei, vier Stunden zurück. Anscheinend hat Baloh Probleme bekommen und musste eine längere Pause machen, ich kann mich gar nicht erinnern ihn überholt zu haben. Von außen muss das ziemlich gut aussehen. Aber ich fühle mich nicht sonderlich stark im Moment. Die letzten Etappen waren gut machbar, das Tempo war okay, aber ich bin schwächer als 2014. Vor allem mental und diese Erkenntnis nagt schon eine ganze Weile an mir. Es wird ein hartes Stück Arbeit dieses Rennen ins Ziel zu bringen.

Aber jetzt werde ich erst mal schlafen…

Die zwei Stunden sind schnell vorbei, für mich und natürlich auch für das Team. In diesem Stadium des Rennens hat jeder schon ein ordentliches Schlafdefizit aufgebaut. Die Duschgelegenheiten für das Team waren auch eher selten, ich verzichte ja ganz auf das Duschen, nur die Sitzfläche muss immer sehr sauber gehalten werden, die Beine, vor allem die Waden sind längst umgeben von mehreren Schichten aus Straßenstaub, die durch Sprühsonnencreme SF100 zusammengehalten werden.

Aber wir wollen ja hier ein Rennen auf dem Podium beenden. Genauer, das vielleicht schwerste Radrennen überhaupt. Also klettere ich etwas ungelenk mitten in der Nacht auf‘s Rad, die Followcarcrew nimmt einen ordentlichen Vorrat an coffeinhaltigen Getränken mit ins Auto und weiter geht‘s. Ich will endlich Ohio erreichen.

Das Fahren in der Nacht fällt mir durchaus schwer, aber bald kann ich in den Sonnenaufgang fahren, was neue Motivation bringt und das Fahren für alle einfacher macht. Als es hell wird, haben wir eigentlich recht schöne Landschaft um uns herum. Das Fahren macht durchaus Spaß, die Sitzfläche ist einigermaßen ok, die Beine fühlen sich nicht sensationell gut an, aber ich habe keine massiven Schmerzen und nachdem der Motor angesprungen ist, kann ich ganz ordentlich fahren.

Es gibt einige nennenswerte Hügel zu bewältigen, teils auch verkehrsreich, dann aber wieder durch eher einsame Straßen und vorbei an großen Häußern, umgeben von riesigen Wiesen mit großen, teils alten Bäumen darauf. Dabei steht meist ein sehr großer schwarzer SUV und/oder ein sehr großer Pickup Truck in der Einfahrt vor der Garage.

Ich bekomme eine unglaubliche Lust darauf in einem Liegestuhl auf einer dieser Wiesen zu sitzen, unter einem dieser Bäume, und zu lesen. Ja ich habe extreme Lust sofort alles hinzuschmeißen und so ein Haus zu kaufen, damit mich mit meinem riesigen schwarzen SUV einkaufen fahren kann und sonst mit meinem Buch unter diesem Baum sitzen und lesen kann. Mit jedem neuen Haus dieser Art, und es sind wirklich einige, wird dieses Bedürfnis stärker. Der Großteil meiner Gedanken dreht sich um diese Vorstellung.

Ich freue mich natürlich über die Beschilderung der RAAM Strecke, die hier von engagierten Fans des Rennens bis zur TS 42 angebracht ist. Ist doch immer eine schöne Unterstützung, zusätzlich zur Navigation aus dem Followcar, auch wenn diese bis jetzt super funktioniert hat. Kurz ärgere ich mich nochmal, dass das mit den Garminkarten nicht funktioniert, wirklich eine erbärmliche Vorstellung von Garmin. Mein Entschluss nach dem Rennen alle Garmingeräte zu verkaufen festigt sich.

Auch als wir Ohio erreichen ändert sich die Landschaft zunächst nicht sonderlich. Immer wieder Häuser am Straßenrand die alleine auf riesigen Grundstücken stehen, frisch gemähte Wiesen, herrliche Bäume, und meine Sehnsucht danach, dort zu sitzen und zu lesen.

Faszinierend für uns, wir kommen nun in ein Gebiet, das nicht nur von deutschen besiedelt wurde, sondern dass auch eine deutsche Tradition pflegt. Die Städte- und Ortsnamen sind eindeutig deutschen Ursprungs, die Straßenschilder sind deutsch mit englischen Untertiteln. Vor allem zwischen Greensburg und Oxford fahren wir durch wirklich wunderbare Siedlungen. Der Rasen scheint noch etwas akkurater gemäht, die Autos noch gänzender geputzt, die Häuser extrem gepflegt und in Schuss, meine Sehnsucht hier zu wohnen mit dickem Auto, dickem Haus und einfach nur da zu sitzen und zu lesen wächst.

Es gibt einige kleine Steigungen zu bewältigen und so hilft mir meine Sehnsucht nach einem „guten“ Buch und dem Leben wie ich es mir in diesen Häusern vorstelle, mich von der Anstrengung abzulenken. Interessanterweise ist nur selten ein Mensch zu sehen vor diesen Häusern.

Wir passieren die Time Stations 41 und auch 42, die ja recht umtriebig sind und sogar eigene Websites betreiben. Mein Tempo ist nicht sensationell, aber eigentlich geht es ganz gut. So fahren wir nach einer kleinen Pause, wo auch ein Crewwechsel auf dem Followcar stattfindet gegen Abend in Chillicothe ein. Noch ist es hell. Da hält uns plötzlich ganz aufgeregt ein Official an. Das Licht am Followcar hat nicht geleuchtet. Kurze Überprüfung und es stellt sich heraus, dass der Lichtschalter auf „Automatik“ stand und die Automatik eben gedacht hat es ist noch hell genug. Nur was weiß die verdammte Automatik schon von den Regeln des Race Across America? Genau diese Situation wurde übrigens in der Teamchefbesprechung angesprochen.

Da es noch taghell ist, bekommen wir kein Penalty aber eine schriftliche Verwarnung. Wir dürfen weiterfahren und sollen sie an der Time Station ausgehändigt bekommen. Wir sind trotzdem etwas verunsichert, sollen wir also an der TS halten und warten? Die TS ist hier eigentlich nur eine Kreuzung. Wir diskutieren etwas was mir machen sollen, und was die schriftliche Verwarnung bedeutet. Außerdem ist es ja unsere zweite Verwarnung, heißt das wir haben jetzt ein Penalty?

An der Kreuzung, die auch Time Station ist, ist rot, der Official steckt uns die Verwarnung zu. Das hat sich also schon mal erledigt. Aber selbst als wir den Ort verlassen haben diskutieren wir noch etwas ob wir nun ein Penalty bekommen oder nicht.

Und dann plötzlich – Streckenabweichung! Wir haben einen Abzweig verpasst, verdammt. Nicht dramatisch viel, vielleicht so ein, zwei Meilen. Ich muss aber vom Rad und mit dem Followcar zu dem Punkt gefahren werden wo wir die Strecke verlassen haben. Natürlich müssen wir vorher die Rennleitung informieren.

Eigentlich ist alles schnell erledigt, ich genieße die paar Minuten, die ich nicht auf dem Rad verbringen muss. Aber der GPS Tracker spielt verrückt und Chris muss mit der Rennleitung konferieren, die etwas ratlos wirken. So verzögert es sich nochmal etwas bis ich das Signal bekomme weiterzufahren.

So hat uns die Diskutiererei über die schriftliche Verwarnung und ob das ein Penalty für uns bedeuten wird wohl soviel Zeit gekostet wie ein Penalty, denn dadurch haben wir den Abzweig verpasst.

Anyway, ich ärgere mich zwar, aber letztlich war es nicht dramatisch viel Zeit. Andererseits baut Pattinson seinen Vorsprung zwar langsam aber stetig auf fast zwei Stunden aus. Baloh hingegen ist deutlich zurückgefallen, der liegt nun über sechs Stunden hinter uns. Allerdings ist er einer der besten Ultradistanzfahrer der Welt und hält immer noch den 24 Stunden Weltrekord auf der Bahn. Man sollte ihn also keinesfalls unterschätzen.

Erstmals denke ich jetzt ernsthaft über die anderen Fahrer nach und über die Situation im Rennen. Ich gehe davon aus, dass ich am Ende nochmal zusetzen kann. Wir haben ja jetzt TS 43 hinter uns, das klingt schon recht motivierend. Aber die Appalachen liegen noch vor uns. Und durch West Virginia müssen wir auch noch durch, verkehrstechnisch sicherlich der heikelste Bundesstaat.

Zunächst aber ist das Ziel Athens, die TS 44. Es gibt einige anspruchsvolle Hügel zu bewältigen, ich fahre fast nur noch das Cannondale SuperSix Evo, die Sitzfläche kommt mit dem eigentlich zu harten Sattel zurecht. In Schwächephasen lasse ich mir „Horse with no name“ vorspielen. Ich will jetzt aber angreifen.

So verzichte ich diese Nacht erstmals auf die zwei Stunden Schlafpause. Dadurch möchte ich Marko Baloh endgültig abschütteln und Druck auf Mark Pattinson ausüben. Ich mache nur einen zwanzigminütigen Powernap an der Time Station. Ich will jetzt um Platz zwei kämpfen.

Nachdem ich wieder auf dem Rad sitze geht es zunächst ganz ordentlich, aber das verpufft recht schnell, ich gondele dann ganz schön durch die Nacht. Gerade zwischen zwei und fünf Uhr Nachts ist es wirklich hart. Eigentlich hatte ich interessante Landschaft erwartet, aber im Dunkeln sieht alles gleich aus. Ich habe ständig das Gefühl, dass ich verdammt nochmal doch hier schon mal lang gefahren bin? Es fühlt sich an als würde ich überhaupt nicht vorwärtskommen und als ob ich im Kreis herumfahre. Die Followcarcrew versichert mir aber, dass wir auf der richtigen Strecke sind.

Wir haben nun West Virginia erreicht und es erwarten mich viele unangenehme Steigungen, die Streckenführung verlässt jegliche, auch nur im Ansatz idyllische, Landschaft, wir fahren teils auf Autobahnen mit viel Verkehr.

In West Virginia haben die Pickup Trucks breitere Reifen, die Motoren sind extra laut (es scheint ein Statussymbol zu sein ein extra lautes Fahrzeug zu bewegen), LKWs und PKWs und alles dazwischen fährt deutlich schneller als in den bisherigen Staaten, das Verständnis für Radfahrer auch die Teilnehmer des Race Across America, die vom Followcar begleitet werden, sinkt. Kurzum, nachts habe ich mit großer Müdigkeit zu kämpfen, tagsüber mit heftigem, brutalem Verkehr.

Momentan fahren wir aber in den Morgen hinein und zu meinem Erstaunen sind wir kurz davor Mark Pattinson wieder einzuholen. Aber aus irgendeinem Grund will ich ihn gar nicht überholen, noch nicht. Um das Überholmanöver zu vermeiden bitte ich um eine Pinkelpause. Hier an der Autobahn ist das gar nicht so einfach, aber wir finden eine Stelle.

Wieder auf dem Rad kommt eine etwas anspruchsvolle Stelle für die Navigation. Die Abfahrten sind recht verwirrend, hier in den USA kann es ja auch mal passieren, dass man links von der Autobahn abfahren muss. Meike navigiert ganz souverän, obwohl ich etwas Sorge habe, denn sie ist zum ersten mal auf dem Navigatorposten.

Dann die Meldung aus dem Followcar, Pattinson hat die Abfahrt verpasst. Kurz herrscht Nervosität, sind wir auf der richtigen Strecke und Pattinson falsch oder ist es gar umgekehrt? Alles wird doppelt und dreifach geprüft, dann die Meldung aus Deutschland von Gerd, der alles im Livetracking verfolgt „Ihr seid richtig, Pattinson hat sich verfahren“. Jetzt sind wir uns sicher. So habe ich ihn also doch überholt, und das ohne Überholmanöver, welches ich ja irgendwie vermeiden wollte.

Aber ich kann jetzt nicht erleichtert davonziehen. Zunächst bin ich ziemlich motiviert, da Meike, Rebecca und Klaus mich so souverän durch diese heikle Stelle geführt haben, habe ich nochmal an vertrauen gewonnen, und möchte natürlich durch Leistung zurückzahlen. An TS 45 sind aus zwei Stunden Rückstand auf Pattinson eine Stunde Vorsprung geworden. Aber die Steigungen sind teils doch heftig und der Verkehr nimmt nun stark zu. Die extralauten Trucks und Pickups kosten mich extrem viel mentale Kraft. Vielleicht war es ein Fehler auf die Schlafpause zu verzichten? Ich bin ganz schön platt. Und nun muss ich mich durch die brutalen Anstiege der Appalachen kämpfen.

An der nächsten Time Station hat Pattinson mich wieder eingeholt, wir liegen exakt gleichauf. Strasser ist ein Tag vorraus, Baloh weit zurückgefallen. Am nächsten dran an uns ist nun McKenna, der sechs Stunden zurückliegt. Ein netter Typ übrigens, er und seine Crew waren im gleichen Hotel in Oceanside vor dem Rennen, und wir haben uns nett unterhalten.

Mein Ziel lautet TS 47. Die muss ich jetzt erreichen, egal wie platt ich bin. Und ich bin wirklich platt. Irgendwie erscheint es mir so, als ob die Crew das Wohnmobil immer eine Timestation weiterfährt, damit ich nicht schlafen kann. Auf dem Auto sind mittlerweile Dirk, Thorsten und Olli. Ich bin wirklich am Ende. Müsste ich nicht Pattinson angreifen, mich wehren? Der hat mich ja mittlerweile überholt. Aber ich bin so am Ende, dass ich keinen Kampfgeist entwickeln kann, wir reden zwar auch darüber, dass ich ja die 10 Tage Marke unbedingt unterbieten will, aber ich möchte gerne eine Pause machen. Das Followcar versucht mich zu überreden es zu lassen und weiterzufahren bis zur Time Station.

Ich bin müde, es geht immer wieder blöd berghoch, es ist schwülwarm, ich will stehen bleiben. Ich soll aber weiterfahren. Ich will aber stehen bleiben. Weiterfahren! Ich will stehenbleiben!
Wo ist das verdammte Wohnmobil, wann kommt denn die Time Station?

Ich halte einfach an. Das Followcar ist überrascht, die Jungs schaffen es gerade noch zu bremsen und mich nicht umzufahren. Ich stelle mein Fahrrad an die Leitplanke. Besorgt fragen mich Olli was den los sei. Ich kann nix sagen. Ich setzte mich wortlos ins Auto. Nochmal versuchen die drei mit mir zu reden.

Ich mache die Augen auf und fühle mich fremd an dem Ort an dem ich gerade bin. Ich sitze im Auto, vor mir stehen Olli, Dirk und Thorsten. Wir stehen am Straßenrand, an einer idyllischen Straße, es ist recht warm, aber die Sonne scheint schön durch die Bäume. Es dauert etwas aber mir ist schon klar, dass ich im Prinzip auf‘s Rad muss. Wir fahren das Race Across America. Und ich muss jetzt weiterfahren.

Laut den Jungs habe ich einen zwanzigminütigen Powernap gemacht. Ich bin unzufrieden und misstrauisch. Wir einigen uns darauf, dass ich erst mal weiterfahre und wir alles über Funk klären. Ich setze mich auf‘s Rad, Dirk ist am Mikrofon im Followcar.

Offensichtlich hat er mal ein Deeskalationstraining oder sowas gemacht. Systematisch versucht er die Ursache für mein Misstrauen zu ermitteln und auszuräumen. Ich erkenne die Systematik in seiner Gesprächsführung, mir gefällt das aber. Seine ruhige sachliche Art hilft mir in diesem Moment ungemein mein Unbehagen auszudrücken. Ich bin der Meinung, dass man mir nicht die Wahrheit über das Wohnmobil sagt und es immer eine TS weiter vorne steht als versprochen. Aber Dirk kann mir glaubhaft versichern, dass dem nicht so ist, und dass das WoMo an der nächsten TS steht, und dass ich bis dahin aber nochmal ordentlich reintreten muss.

Mir ist schon klar, dass mein Gefühl des Misstrauens ein ganz typisches Symptom von Schlafmangel ist. Und doch dauert es einen Moment bis ich mein Misstrauen überwunden habe, und nicht nur verstandesmäßig sondern auch gefühlsmäßig wieder soweit bin, dass ich der Crew wieder voll vertraue, und weiß, dass sie natürlich „auf meiner Seite“ steht. Und mich nicht verheizt.

So kämpfe ich mich über die nervigen, teils sehr steilen Steigungen, manchmal auf vielbefahrener zweispuriger Straße. Den ganzen Tag hatte ich schon endlos viele Roller zu bewältigen, die Beschreibung im Roadbook passte da schon ziemlich gut zur Strecke.

Aber ich meistere mit Hilfe der Crew auch diesen verdammten Abschnitt. Komplett zerstört komme ich kurz vor 16 Uhr am Wohnmobil an der TS 47 an. Aber ich komme an! Absteigen ist nicht so einfach, so fahre ich bis zum WoMo und lehne mich einfach dagegen bis mich jemand vom Rad holt.

Jetzt bekomme ich was zu essen, kann auf Toilette gehen und eine zweistündige Schlafpause machen. Das Wohnmobil steht an einem See, recht idyllisch, es kommt mir vor wie das Paradies. Und doch will ich nur noch schlafen. Schlafen!

Pattinson liegt übrigens keine 50 Minuten vor mir. Ihm scheint es nicht viel besser zu gehen. Mit der mentalen Stärke von 2014 wäre ich mir jetzt sicher, dass ich ihn trotz allem deutlich hinter mir lassen kann. Nun fühle ich mich aber nicht stark genug wirklich anzugreifen. Ich will einfach nur schlafen, eigentlich ist mir völlig egal was er macht.

Ein Teil der Crew nutzt die Gelegenheit um im See zu baden während ich im WoMo schlafe. Immer noch ist die Stimmung innerhalb des gesamten Teams fantastisch. Egal wer auf dem Followcar war, alle haben hervorragende Arbeit geleistet. Und es war bis hierher teils wirklich harte Arbeit mich am Laufen zu halten. Gerade die letzte Situation mit meinem plötzlichen Stopp hat gezeigt, das Reaktionsschnelligkeit, Einfühlungsvermögen und auch etwas Strenge nötig sind um uns die Chance zu erhalten das große Ziel ,unter zehn Tagen zu finishen, zu erreichen.



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