Sonntag, 7. Juni 2015

Glocknerkönig 2015 – das Rennen

Die Nacht war nicht besonders gut. Ich habe insgesamt vielleicht viereinhalb Stunden geschlafen und bin total verschwitzt aufgewacht. Der Mund schmeckt bitter, die Zunge ist belegt. Das gibt’s doch nicht, was soll das, ich muss heute top fit sein. War das vielleicht doch kein Heuschnupfen gestern?

Anyway, ich bin schon öfter so malträtiert aufgewacht und das Rennen war dann doch in Ordnung. Beim Frühstück habe ich es schon wieder vergessen. Allerdings bin ich so hungrig. Ich esse Müsli und Käsebrot, Rührei und Marmeladenbrötchen. Vielleicht ist das in der Summe ein bisschen viel. Auch seltsam, normalerweise ist mein Körper im Wettkampfmodus nicht besonders hungrig. Aber nach zwanzig Kilometern bergauf bin ich nachher vielleicht froh über jedes Kohlenhydrat das ich aufgenommen habe.

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Ich mache mich fertig für das Rennen, den Moderator kann ich schon durch’s offene Fenster hören. Das Schöne an der Berechtigung für Startblock 1 oder 2 ist halt, dass man nicht ganz so früh hingehen muss und trotzdem relativ weit vorne starten kann.

Ich fahre mich noch fünf Minuten ein, ist hier aber nicht so wichtig, man fährt (hoffentlich) eh flach in der Gruppe bis zum Bärenwerk bzw. zur Embachkapelle, da kommt der Körper schon auf Betriebstemperatur.

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So komme ich recht spät in den Startblock. Irgendwie kriege ich keinen hundertprozentigen Wettkampfmodus hin. Ich konzentriere mich zwar, aber die Tatsache, dass ich mich wahrscheinlich nicht verbessern kann, sondern eher noch aufpassen muss die erste Startgruppe zu halten wirkt vielleicht unterbewusst etwas demotivierend.

Ich bin aber nicht unmotiviert, nur eben nicht so gepusht wie ich es schon einige Male hier war. Zum Start wird auch nicht Hells Bells von AC/DC gespielt, was ich wirklich wirklich schade finde.

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Vom Startschuss bis zum Moment an dem ich die Ziellinie überquere dauert es einen Moment (ganz hinten kann das zehn Minuten und mehr dauern…). Dann fährt das Feld neutral durch die Unterführung und in Richtung Fusch.

Ich befinde mich so ca. an 50. Position, wobei sich das Ganze natürlich immer hin und her schiebt. Das Schöne heute ist, dass keine Lücken aufreißen, bzw. wenn dann nur kleine, die ich selbst oder jemand anders schnell zufahren kann.

So gut ist es im ersten Teil noch nicht gelaufen, ich muss nie wirklich nennenswert in den Wind und komme trotzdem in der ersten, wenn auch recht großen Gruppe, im Anstieg an. Hier an der Embachkapelle zieht die Steigung gleich ordentlich an, so dass sich das Feld schnell sortiert.

Es fühlt sich nicht gut an. Ich weiß nur noch nicht ob es sich „schlecht schlecht“ oder „gut schlecht“ anfühlt. Aber ich versuche ordentlich meine Leistung zu halten. Und so bewege ich mich gefühlt etwas nach vorne im Feld, d.h. nur selten fährt einer von hinten vorbei, und ich bewege mich etwas schneller als der Hauptstrom.

Trotzdem fühlt es sich elend an. Es war offensichtlich die richtige Entscheidung mit der 34-50 Kompaktkurbel zu fahren und nicht mit der 36-52. Denn das hier ist ja nur das Intro. Und wenn es mir jetzt schon so geht, wie fühlt sich dann wohl der Rest an?

Schon nach kurzer Zeit fange ich an ziemlich Geräusche zu machen und zu keuchen wie ein Asthmapatient. Normalerweise kommt das eigentlich erst gegen Ende. In einer Kurve überholt mich ein anderer Fahrer und meint, es wäre ja alles nicht so schlimm, zu Hause würde doch die Freundin warten. Na herzlichen Dank, gebe ich schon so ein elendes Bild ab, dass man mich trösten muss?

Es zieht sich eine Weile, dann flacht es endlich etwas ab. Normalerweise mache ich hier Plätze gut, weil ich einfach konstant meine Leistung weiterfahre, aber heute ist das nicht so. Ich muss kämpfen um meine Position zu halten und mich sehr konzentrieren um nicht nachzulassen.

Die Straße steigt kurz nochmal an bevor es dann wieder flach wird, diesmal richtig, bis zur Mautstation. Natürlich bin ich mal wieder der Depp im Wind. Wechseln mag keiner, ich fluche vernehmlich, ich wollte gerne unter 30 Minuten als Zwischenzeit stehen haben, nicht dass das entscheiden würde ob ich die gewünschte Endzeit erreiche, aber praktisch alle die unter 1:30 h fahren, fahren hier 28 bis 29 Minuten.

Mein Fluchen findet aber Gehör und jemand anderes erbarmt sich, ich nehme aber jetzt eh etwas raus und quetsche mir noch ein Gel rein kurz vor der Mautstation. Die steht dort zwar ziemlich genau auf 00:30:xx h, aber da ich ja etwas später über die Startlinie gefahren bin, könnte es sogar noch hingehauen haben.

Jetzt kommt der „spaßige“ Teil der Strecke. Ordentlich steil, und das recht konstant über ca. 13 Kilometer. Und schon nach wenigen hundert Metern weiß ich, die Tour de Kärnten war keine ausreichende Vorbereitung für den Glockner. Und die Luschisteigungen in den USA letztes Jahr führen letztlich dazu, dass ich zum ersten mal seit langem wieder einen „richtigen“ Berg fahre. Und das ist nie eine gute Sache.

Ich habe eigentlich jedes Jahr versucht vor dem Glocknerkönig ein Wochenende entweder hier oder an einem anderen richtigen Berg zu verbringen. Das hat diesmal leider nicht geklappt. Genauso wenig wie überhaupt noch irgendwas klappt hier im Anstieg. Die Leistung sackt ab, ich komme überhaupt nicht mehr über dreihundert Watt. Ich kann kaum niedriges G2 halten. Verflucht was ist das denn? So elend habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Jetzt weiß ich, dass ist „schlecht schlecht“.

Ich kann gar nicht kämpfen, ich gurke nur irgendwie hoch. Die anderen Fahrer ziehen weg und von hinten ziehen sie an mir vorbei. Mir wird schlagartig klar, ich kämpfe jetzt nicht mehr darum die erste Startgruppe zu halten, sondern ich kämpfe um die Zweistundenmarke, also Startgruppe zwei.

Oje, das ist ja deprimierend. Ich finde keinen einzigen positiven Gedanken, mir geht es einfach nur schlecht. Der Weg bis zur ersten Kehre ist lang und steil. Als ich sie erreiche kann ich dort nicht etwa Tempo aufnehmen, nein ich lasse die Beine hängen und bin froh, dass es für ein paar Meter nicht so steil ist.

Es wird auch bei der nächsten Kehre nicht besser. Manchmal gehen solche Schwächephasen ja vorbei, aber heute scheint das nicht der Fall zu sein. Noch immer ziehen Fahrer an mir vorbei, ein nicht enden wollender Strom aus leichten Fahrern, schweren Fahrern, welchen mit Hightechmaterial und welche mit Alurädern und einfachen Mavic Laufrädern. Wie deprimierend. Aber dann kriege ich den Gnadenstoß. Eine dicke Mountainbikerin und ihre Freundin überholen mich mit ihren Elektrorädern.

Das ist ja die Erniedrigung schlechthin. Noch nie hat mich ein Elektroradler überholt. Auch nicht beim Training, noch nicht mal wenn ich nur G1 fahren darf. Und jetzt das! An „meinem“ Berg. In einem Rennen! Das gibt mir schwer zu kauen. Aber selbst diese Gedanken sind nicht genug Ablenkung. Die Knie mucken nicht oder so, aber ich habe überhaupt keine Power. Mittlerweile fahre ich teilweise nur noch im G1. Ich versuche zu schalten, dabei bin ich schon längst im kleinsten Gang.

Es fühlt sich mindestens genauso schlecht an wie meine allererste Auffahrt auf der Glocknerstraße. Da war ich noch etwas ramponiert vom Col de l’Iseran zwei Wochen zuvor. Das war auch übel. Dafür bin ich dann zwei Wochen später gleich wieder zum Glockner gefahren um das mal „klarzustellen“, dass war dann wieder richtig geil. Möglicherweise sollte ich mir das übernächste Wochenende schon mal reservieren.

Mir ist jetzt schlecht, ich könnte kotzen und zwar nicht im übertragenen Sinne. Aber das hält zum Glück nicht lange an. Die Elektroradler sind immer so knapp vor mir. Bald haben wir die erste Labestelle erreicht, die Piffkar. Kurz vorher überhole ich die dicke Frau mit dem Elektro-MTB. Ich muss das mal als Erfolgserlebnis verbuchen.

An der Labestelle greife ich mir gierig einen Becher von dem übersüßten Tee. Eigentlich Schwachsinn, denn ich habe ja noch KH-Getränk in der Flasche, aber irgendwie ist das ein Griff nach dem rettenden Strohhalm. Nur rettet der mich nicht. Denn jetzt geht es wieder steil berghoch.

Wir haben jetzt ca. 19,5 Kilometer hinter uns, bis zum Ziel sind es also immer noch mehr als acht Kilometer. Ich gurke dahin, noch immer werde ich überholt, gefühlt von ganzen Schwärmen von Radfahrern. Ich denke nicht mehr an irgendwelche Startgruppen. Ich denke daran aufzugeben. Ich möchte einfach vom Rad steigen. Ich versuche den Gedanken zu verdrängen. Es geht nur noch darum überhaupt oben anzukommen.

Dabei sind die Bedingungen eigentlich optimal. Der Himmel ist blau, es herrscht nur wenig (Gegen)Wind, die Temperaturen ok, einfach Traumwetter. Aber mir geht es so schlecht, dass ich nicht einmal Fotos machen kann, das habe ich selbst bei der 1:37 h 2013 gemacht.

Es gibt immer mal wieder kleine Strohfeuer, dann kann ich zweihundert Meter wenigstens ordentlich G2 fahren. Aber das hält nicht an. Im oberen Nassfeld muss ich sehr kämpfen, die Straße ist auch noch teils abgefräst, so dass es an diesem nicht enden wollenden Teil auch noch schlecht rollt. Aber bei meinem Zustand macht das keinen großen Unterschied.

Mehrmals ist mir noch nach Absteigen, aber ich bleibe auf dem Rad. Und dann habe ich tatsächlich die Edelweißwand erreicht. Hier merke ich einerseits wie gut die Bedingungen sind, denn das letzte mal haben wir uns hier vor dem Wind hintereinander versteckt, jetzt wäre es theoretisch gut zu fahren, wenn ich mich nicht so ungut fühlen würde.

Zu meinem Erstaunen muss ich aber feststellen, dass ich gar nicht sooo übel in der Zeit liege. Die Zweistundenmarke sollte ich locker packen (wenn ich nicht doch absteige und aufgebe). Das verwirrt mich sehr. Eigentlich sieht es so aus, als ob ich sogar die 1:45 h für die erste Startgruppe schaffen könnte. Oder habe ich hier einen Denkfehler? Noch immer überholen mich welche, aber jetzt versuche ich das zu beenden. Auch wenn es mir schlecht dabei geht versuche ich wenigstens das Tempo der Fahrer um mich herum zu halten.

Es sind noch ein paar Kehren zu fahren. Ich weiß, dass ich hier immer nochmal eine zweite Luft bekommen habe, aber die bleibt diesmal aus. Trotzdem kann ich noch ein paar Fahrer überholen. Ich versuche wenigstens 250 Watt zu treten. Aber es fällt schwer.

Dann, tatsächlich die letzte Kehre. Noch einmal ist es recht steil, dann knickt die Straße nach rechts, flacht etwas ab und zieht nochmal an bis zur Ziellinie. Ich quäle mich die letzten Meter hoch, kein Sprint, kein Kampf einfach nur irgendwie hochquälen. Ich schaffe es tatsächlich die 1:45 h Marke zu unterbieten. Unfassbar. Ich bin sogar einen Hauch schneller als meine bisher zweitbeste Zeit. Nach gut 1:41 h überquere ich die Zielline.

Ich kann es nicht verstehen, aber es ist so. Ich habe keine Emotionen außer, dass ich froh bin, dass es vorbei ist. Ich bin weder traurig oder enttäuscht, dass ich die 1:30 h nicht geknackt habe, noch bin ich überschwänglich froh, die 1:45 h gehalten zu haben. Ich nehme es einfach nur mit ungläubigem Erstaunen wahr. Genauso wie die Tatsache, dass ich überhaupt oben angekommen bin.

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Nach drei Bechern Tee und Abholung meiner vorrausgeschickten Jacke, rolle ich zur Kaiserschmarrnausgabe. Etwas emotionslos mampfe ich die leckere Mehlspeise weg und schaue auf den scheinbar endlosen Strom an Radfahrern, die sich noch den Berg hochquälen. Eigentlich beeindruckend. Und doch bin ich ziemlich leer. Allerdings gar nicht so erschöpft wie man erwarten würde. Ich hatte keine Chance an die hundert Prozent zu gehen, es wäre sicher auch nicht gut gewesen.

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Ich sollte wohl das nächste oder übernächste Jahr wiederkommen und das mit der 1:30 h endlich mal „klären“. Das Alter sollte mir da noch keinen Strich durch die Rechnung machen, denn immerhin kam der diesjährige Sieger aus meiner Altersgruppe. (9 Jahre und 21,5 Minuten Unterschied).



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