Es ist Samstagmorgen. Die Nacht war durchwachsen, denn das 24 Stunden Rennen in Kelheim ist ein Volksfest, da wird gefeiert bis spät in die Nacht. Fenster schließen im Hotelzimmer ist keine Alternative, im Dachgeschoss ist es einfach zu heiß.
Meinem Bauch geht es nicht so gut. So frühstücke ich nur verhalten, etwas Tee, zwei Brötchen, eine Minischüssel Müsli, das Ensure muss es nachher richten…
Nach dem Auschecken wird alles im Auto verstaut das ja schon im Fahrerlager steht. Hier in Kelheim ist alles schön dicht zusammen, so dass man in wenigen Minuten zu Fuß von den Fahrerlagern zum Festzelt und auch zu unserem Hotel gelangt. Da ich ich diesmal von meiner Freundin begleitet und versorgt werde muss ich ausnahmsweise mal nicht alles alleine machen. Andererseits habe ich nachher auch keine Entschuldigung für irgendwelche Pausen, mal sehen wie das wird. Ich hoffe nur mein Bauch wird bis zum Rennen besser.
Pünktlich um 12 Uhr bin ich im Zelt zur Fahrerbesprechung, aber entgegen der Angabe auf der Website beginnt die erst um 12:30 Uhr. Egal, so setze ich mich nochmal in ein Cafe und nehme ein zweites Frühstück mit nochmal zwei Marmeladenbrötchen. Cafe geht nicht, aber Kamillentee. Trotzdem muss ich nochmal die Toiletten dort benutzen. Die Erinnerungen an meine erste Teilnahme in Fell beim 20h Rennen werden wach, das brauche ich heute wirklich nicht! Außerdem mache ich noch schnell einen Blogeintrag. Dann ist es auch schon 12:30 Uhr.
Die Fahrerbesprechung ist zum Glück nicht sehr lange. Ich bin jetzt doch etwas heiß auf den Start. Die Zwangspause, die nervige Wade und das Grummeln im Bauch brauchen jetzt das Adrenalin des Rennfiebers wenn das was werden soll.
Ich stimme mich dann noch mit Katrin ab wie wir die Versorgung gestalten wollen. Zum Glück ist eine Tankstelle fast direkt am Fahrerlager, so dass ich noch etwas Eis zum Kühlen der Getränke besorgen kann und auch noch zwei Kästen Volvic, Wasser habe ich nämlich doch zu wenig mitgenommen. Überhaupt ist unser Lager nicht ganz so professionell wie viele andere, dort sind oft Zelte und Pavillons aufgebaut und Bierzeltgarnituren, natürlich mit Grill usw. Aber auch andere Einzelfahrer haben einfach nur ihr Auto hingestellt und gut ist’s.
Meine Verpflegung soll, ähnlich wie beim RAAM, aus Sponser Competition und Ensure Plus bestehen. Mehr sollte ich für ein 24 Stunden Rennen nicht brauchen.
Dann ist es endlich kurz vor zwei, ich fahre noch ein paar Meter um die Beine zu lockern und stelle mich in die Startaufstellung. Die Strecke kenne ich ja von der Installationsrunde gestern.
Es geht erst mal über zwei Serpentinen bergauf, dann flacht die Steigung ab dem Abzweig zur Befreiungshalle ab, wenn der höchste Punkt erreicht ist geht es angenehm gerade bergab bis zu einer Linkskurve, dann nach der Ministeigung nochmal kurz bergab bis zu einer Rechtskurve von wo es dann teils bis 9% steil bergauf bis zum, mit einem roten Torbogen markierten, höchsten Punkt der Strecke geht. Danach geht es wieder flott bergab, fast ohne Kurven bis zu einer scharfen 90° Rechtskurve, von wo es etwas steiler bergab geht, unten schließlich über die Altmühl und nach einer weiteren Rechtskurve (bzw. Kurvenkombination mit Auffahrt) an dieser entlang zurück bis Kelheim, dort erneut über eine Brücke und durch die Altstadt, genauer: direkt durch’s Festzelt, zur Wendemarke.
Meine Wade lässt mich in Ruhe und ich genieße kurz den Starttrubel. Dann werden die letzten zehn Sekunden heruntergezählt und es geht los. Um den Bergpreis, den es für den ersten am roten Torbogen auf dem höchsten Punkt gibt, kämpfe ich nicht. Aber ich möchte nach zwei Wochen ohne Radfahren doch Spaß in der ersten Runde haben und eine vernünftige Zeit hinlegen.
So bleibe ich im Anstieg so gut es geht dabei und fahre immer wieder ordentlich in den EB-Bereich. Sollte man als 24h Einzelfahrer vielleicht nicht machen, denn die, die so loslegen sind ja die Teamfahrer, aber ist mir gerade mal egal.
Die erste Steigung ist bezwungen und es geht erstmals bergab. Ich versuche im Windschatten Kräfte zu sparen, aber die anderen sind mir zu langsam, so fahre ich selbst auch viel im Wind bis die Gruppe wieder passt. Dann kommt auch schon die zweite Steigung. Der Stausacker Berg, bzw. von den Rennradlern hier Col de Stausacker genannt, ist eigentlich gut zu fahren. Der Garmin zeigt Steigungen bis 9%. Dazu ist nicht weit von dem Punkt an dem die Steigung anzieht eine kleine Fanmeile aufgebaut. Schon jetzt in der ersten Runde ist hier schwer Remmidemmi. Mit gefühlt 140 Phon schallt uns Fahrern Thunderstruck von AC/DC entgegen. Cool, gefällt mir, das pusht nochmal etwas und ich geißele ganz brauchbar den Berg hoch.
Oben heißt es wieder Anschluss an eine schnelle Gruppe finden, jetzt wo die meisten Fahrer noch einigermaßen zusammen sind, ist das auch kein Problem. Dann geht es erstmals in die 90° Kurve am Ende des ersten Teils der Abfahrt. Aber die ist eigentlich völlig harmlos, gar kein Problem, die Straßen sind breit, man braucht kaum zu bremsen. Nun wird es etwas steiler in der Abfahrt. Es geht mir etwas zu langsam und ich fahre wieder nach vorne. Sollte ich nicht machen, sondern Kräfte einteilen, aber mir ist einfach so danach.
Als wir dann im Flachen auf dem Weg zurück nach Kelheim Innenstadt sind muss ich auch noch zwei-, dreimal Tempo machen, weil mir die Gruppen zu langsam sind. Aber wenn man dann eine hat, dann geht es richtig ab. So fliegt die erste Runde schnell dahin.
Kurz überrascht bin ich nur bei der Einfahrt in die Altstadt. Denn da ist Kopfsteinpflaster und das hatte ich komplett verdrängt. Das rumpelt ganz schön, und vor dem Wendepunkt muss man auch noch über zwei kleine Hindernisse fahren. Bei der ersten Runde ist das ziemlich egal, aber wie sich das nach 10, 20 oder mehr Runden anfühlt, da bin ich ja mal gespannt.
Die Gitter im Zelt und nach dem Wendepunkt stehen recht eng, hier muss man schon etwas aufpassen, so dass es gar nicht so leicht ist bei dem Kopfsteinpflastergerumpel auch noch die Runden auf den Radcomputern abzudrücken. Dann verlasse ich aber die Altstadt und fahre wieder am Fahrerlager vorbei in den Berg hinein. Verpflegung brauche ich jetzt noch nicht. Ich winke Katrin kurz zu, die mit den Flaschen am Straßenrand steht.
Der Bauch rumpelt etwas, aber ich fahre ähnlich aggressiv in den Berg wie beim ersten mal. Die erste Serpentine naht, dann hochschalten, nochmal und im Wiegetritt bis zur zweiten Serpentine, dann schauen, dass man hier schon potentiell schnelle Fahrer findet mit denen man dann gemeinsam bergab fahren kann.
Auch im zweiten Berg fahre ich noch bis in den EB-Bereich, wenn auch nicht mehr so sinnlos wie in der ersten Runde, mehr um an schnellen Teamfahrern dranzubleiben.
Das Competition schmeckt mir heute nicht so recht, aber geht. Ich nuckele kurz an der Ensure Flasche, bäh das geht gar nicht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eigentlich kann ich Ensure immer und zu jederzeit trinken und ich mag den Geschmack sogar gerne. Das wird spannend, denn irgendwie muss ich ja doch Energie zuführen, vor allem auch Kohlenhydrate. Aber ist ja auch erst die zweite Runde, noch keine Stunde ist um, wenn ich nachher wirklich ein Energiedefizit habe kommt der Geschmack von ganz alleine.
Die Anfeuerung am Anstieg ist wieder spektakulär, mal sehen wie lange die das durchhalten. Oben kämpfe ich mich wieder an ein paar schnelle Fahrer ran um in der Abfahrt eine gute Gruppe zu haben. In der 90° Kurve bin ich etwas weit hinten in der Gruppe und durch die übervorsichtigen Bremser vor mir verliere ich den vorderen Teil der Gruppe, mit Gewalt beame ich mich wieder an die dran. Denn in dem etwas steileren Teil fährt man alleine so knapp 50 km/h mit Gruppe aber locker über 60 km/h.
Auch in dem langen Flachstück in Richtung Kelheim, entlang der Altmühl fährt man mit einer guten Gruppe um 50, mit einer langsamen nur gut 40 km/h. Dabei ist es nicht komplett flach, sondern es gibt drei Abschnitte die minimal ansteigen. In der ersten Runde hatte ich das überhaupt nicht wahrgenommen, jetzt in der zweiten merke ich, dass ich in der schnellen Gruppe in diesen Abschnitten ganz schön reintreten muss.
Anyway, die zweite Runde ist geschafft. Diesmal tausche ich die Flasche mit dem Sponser Comepetition. Es ist so um 25° C, auch wenn es sich nicht gut angefühlt hat, habe ich doch das meiste davon getrunken. Nur Ensure geht noch nicht.
Zum dritten mal bin ich jetzt im Anstieg. Nun ist der erste Enthusiasmus verflogen und ich muss arbeiten. Ich versuche solide im G2 Bereich die Steigungen zu nehmen, aber es fühlt sich schon anstrengend an. Vor allem ist mir schlecht. Mein Bauch rumort. Nur nicht drüber nachdenken, einfach weiterfahren. Die schnellen Teamfahrer ledern mich jetzt in der Steigung schon lässig ab. Hoffentlich war das nicht dämlich in den ersten zwei Runden draufzuhalten. Naja, eigentlich kenne ich die ehrliche Antwort auf diese Frage, aber ich hatte einfach zu sehr Bock auf Rennradfahren um mir irgendwas einzuteilen.
An der Partymeile läuft Helene Fischer mit „Atemlos“, ich versuche im Wiegetritt dazu zu tanzen um mich etwas aufzumuntern…
Oben schaffe ich es wieder irgendwie an ein paar Teamfahrern dranzubleiben, so dass die Abfahrt gut läuft. Vor der 90° Kurve fahre ich nach vorne, dann kann mich die Gruppe nicht durch den Ziehharmonikaeffekt abhängen. Bergab geht es dann auch sehr easy, wenn mir nur nicht so schlecht wäre.
Im Flachen muss ich diesmal ganz schön kämpfen um dranzubleiben, klappt aber. Das Kopfsteinpflaster setzt mir aber jetzt schon mächtig zu. Hoffentlich bleiben alle Anbauteile am Rad. Die Stimmung im Zelt ist aber super. Jetzt schon. Die Streckenführung hier mitten durch ist wirklich eine clevere Idee, zum einen für die Zuschauer die gemütlich ihr Bier trinken können und dabei die Fahrer gut beobachten können, zum anderen für die Fahrer, die jede Runde Anfeuerung bekommen und einen schönen Kontrast zu der Fahrt durch den Wald haben.
Die nächste Runde levelt mich im G1-Bereich ein. Auch in der Steigung fahre ich kaum noch mehr als 250 Watt. Außerdem fühle ich mich schlapp und mag eigentlich nix von meinen geliebten KH-Getränken trinken. Die Wade macht überhaupt keine Probleme, aber die Oberschenkel fühlen sich so schlapp an. Ich muss jetzt schon kämpfen. Das kann doch nicht wahr sein. Die Teamfahrer lassen mich am Berg stehen, es ist schwierig für die Abfahrten gute Gruppen oder Fahrer zu finden, ich setzte meine paar Körner an den Kuppen kurz vor den Abfahrten ein um noch irgendwie dranzubleiben, geht, aber nicht so schön wie ich mir das vorgestellt habe. Ich verstehe nicht, wie es mir nach so wenig Kilometern so schlecht gehen kann.
Auch diese Runde geht rum, aber als ich bei Katrin vorbeikomme und Getränke aufnehme geht es mir elend, aber sie ist so motiviert, dass ich es nicht zeige, ich fahre einfach lächelnd wieder in den Berg.
Jetzt wird’s aber richtig elend. Ich habe Krämpfe in den Oberschenkeln. Das hatte ich ja noch nie. Wade ok, aber auch selten, vielleicht mal kurz vorm Timmelsjoch beim Ötzi. Außer draufhalten bleibt mir nichts übrig, so versuche ich mit Wiegetritt und Gewalt meinen Beinen zu erklären, dass das hier lange noch nicht vorbei ist.
Am Col de Stausacker gibt es wieder AC/DC, der gleiche Song. Hilft ein bisschen. Es ist mir jetzt nicht mehr so möglich zu taktieren und mich kurz vor der Kuppe an einen schnellen Fahrer zu heften. So ergeben sich zwar schon immer wieder Gruppen, aber eben nicht so schnelle. Ich fühle mich weiterhin elend. Die Rundenzeit geht hoch, aber immer noch im Rahmen.
Mittlerweile würde ich am liebsten absteigen. Das Kopfsteinpflaster rüttelt mich durch, ich überlege ob ich ins Fahrerlager abbiege. Katrin steht da und freut sich, dass ich wieder vorbeikomme, reicht mir die Flaschen an, ich tue als ob alles gut wäre und fahre weiter…
Die Oberschenkel krampfen im Anstieg, mittlerweile haben sich alle Gelenke mal gemeldet und der rechte Fuß möchte lieber etwas mehr nach außen drehen. Warum eigentlich? Ich krieche berghoch. G1-Bereich ist alles was geht. Nicht immer hoch.
Die Sonne steht tief. Zwischendurch schien es mal anzufangen zu regnen, hat sich dann aber gleich wieder gelegt. Der Wind hat deutlich zugenommen. Im Flachen Teil ist es kaum möglich an den schnellen dranzubleiben wenn es auch nur einen Hauch berghoch geht. Elend, alles ist elend. Ich will absteigen. Was für eine blöde Idee 24 Stunden am Stück Rad zu fahren. Es rumpelt über das Kopfsteinpflaster, irgendwie cool wieder eine Runde geschafft zu haben, aber auch nervig, bin immer wieder froh, wenn ich durch den Torbogen wieder auf glatte Straße fahre.
Auch wenn ich mich zwinge, mit dem Ensure bin ich weit hinten dran. Selbst mit dem Competition. Aber ich habe jetzt schon mehrere Runden einfach Wasser genommen, das hat meinem Bauch gut getan, der beruhigt sich tatsächlich.
Ich wäre gerne Teamfahrer, würde ein Stündchen ausruhen, dann eine ordentliche Rund hinbrettern und wieder ein Stündchen ruhen. Ich würde auch gerne irgendwo im Cafe sitzen, oder einfach an einem Biertisch im Zelt und zuschauen wie die anderen sich quälen.
Nach elf Runden mache ich ein kleine Pause, etwas über zehn Minuten. Ich esse trockenes Blumenbrot und eine halbe Banane. Obwohl es mir schlecht geht fahre ich schnell weiter, Katrin ist ganz motiviert, da kann ich nicht zeigen wie elend ich mich eigentlich fühle.
Der erste Teil des Anstiegs scheint nach der kurzen Pause einen Hauch besser zu gehen, aber nach der zweiten Serpentine schleiche ich schon wieder wie in den Runden zuvor. Am Col de Stausacker läuft zum dritten mal „Atemlos“, ich lasse das mit dem Tanzen. Aber die Stimmung dort ist immer noch am kochen. So gehe ich dort bis jetzt immer in den Wiegetritt und versuche mit etwas mehr Leistung den Anfeuernden was zurückzugeben.
Die Runden vergehen zwar, aber langsam. An den Kuppen immer das gleiche Spielchen und der Versuch brauchbar schnelle Mitstreiter für die Abfahrt zu finden. Vor der 90° Kurve an die Spitze setzen um dort nicht abgehängt zu werden, und versuchen unten wenn es über die Altmühl geht dranzubleiben um nicht alleine im Wind zu hängen. Das gelingt mir jetzt mehrmals nicht mehr, so dass ich doch einige Zeit ohne Windschatten verbringen muss.
Die Brücke über die Altmühl hält auch zwei ordentliche Querfugen bereit, die jetzt jedesmal mehr weh tun.
Es wird dunkel, ich wurde schon ermahnt, dass ich eine Warnweste anziehen soll. Katrin hat sie direkt bereit, dabei hatte ich gar nix gesagt. Sehr cool, das Team funktioniert :)
In der Warnweste fährt es sich genaus lahm berghoch wie ohne. Ich finde die eh albern. Bestimmt irgendeine behördliche Vorschrift. Die Radklamotten haben sowieso Reflektoren, und die Westen flattern wild im Wind und fühlen sich an wie Plastiktüten. Aber was soll’s, ich werde wohl kaum eine Runde weniger fahren wegen der Warnweste.
Wenn man in der Abfahrt keine Gruppe erwischt und voll im Wind fährt ist es jetzt doch empfindlich kühl. Meine Schulter fängt an zu Schmerzen. Ich wusste doch, da war noch was. Sie hat aber erstaunlich lange still gehalten. Auch jetzt ist es erträglich, sie muckt eigentlich nur wenn ich im Auflieger liege. Das ist ja das schöne für die Einzelfahrer, dass die Aeroaufsätze benutzen dürfen und so wenigstens ein paar Watt sparen wenn sie alleine im Wind fahren müssen.
Ich versuche wieder 11 Runden am Stück zu fahren. Beim ersten mal hat es sechs Stunden gedauert, vier mal sechs macht dann 44 Runden. Aber das ist natürlich unrealistisch, mir geht es seit Runde drei schlecht und es ist bis jetzt nicht besser geworden. Aber ich bewege mich wohl irgendwo in den Top 20, trotz allem.
Die Runden fallen mir aber jedesmal schwer. Immer noch möchte ich am liebsten absteigen. Wenn ich alleine hier wäre hätte ich es auch schon längst getan. Aber ich habe meine Freundin dabei. Und die ist voll motiviert und glaubt an mich. Die kann ich schlecht enttäuschen!
Ich habe keine Ahnung wieso ich mich so elend fühle. Bei den 20h in Fell, haben sich die Beine eigentlich immer gut angefühlt (irgendwie jedenfalls) Müdigkeit gab es da wenig. Beim RAAM habe ich es locker angehen lassen und bin in der ersten Nacht trotz Wüstenhitze ohne Probleme gefahren. Wenn ich in meinem jetzigen Zustand das RAAM fahren müsste würde ich noch vor TS 7 aufgeben. Keine Chance. Vielleicht hat mich das RAAM doch verändert und meine tiefe innere Motivation ist angeschlagen?
Mit Krämpfen in den Anstiegen, Schmerzen in allen Gelenken, mittlerweile auch in der Hüfte quäle ich mich durch die Runden. Am Stausacker Berg reihen sich die roten Rücklichter vor mir auf. Einmal muss ich hinter einem ähnlich schnellen Fahrer herfahren dessen Rücklicht heller ist als mein Lupine Piko 7 Frontlicht und das auch noch blinkt. Am liebsten würde ich ihn vom Fahrrad stoßen. Aber ich entscheide mich dafür alle Kräfte zusammenzunehmen und ihn zu überholen. In der Abfahrt muss ich alleine fahren, hoffentlich kommt er jetzt nicht wieder mit einer Gruppe angerauscht, aber er bleibt weg. Zum Glück. Das Gute an den Schmerzen ist, dass sie nie alle gleichzeitig kommen und immer wieder weggehen, so dass immer nur entweder die Hüfte oder das Sprunggelenk oder die Oberschenkel weh tun, nie alles zusammen.
Ich versuche die 22 Runden zusammenzubringen, muss aber auf die Toilette und verliere beim Rundenzählen den Überblick. So mache ich nach 19 Runden erneut eine Pause. Dabei lege ich mich zehn Minuten ins Auto, Toilette geht doch nicht. Ich bin wirklich etwas zerstört. Niemals im Leben bin ich das Race Across America gefahren. Wer auch immer das war, ich war es jedenfalls nicht. Ich bin gerade mal gut 300 Kilometer gefahren und bin platt, hatte sogar auf dem Rad mit Müdigkeit zu kämpfen.
Katrin meint ich läge auf Platz 8. Hm, das kann doch kaum sein. Aber was soll’s, aufstehen weiterfahren. Jetzt versuche ich die nächsten Runden das Ergebnis zu halten. Langsamer werden kann ich jedenfalls nicht mehr!
Der Berg fühlt sich langsam an, aber daran habe ich mich jetzt gewöhnt. Ich hatte bei Katrin Orangensaft bestellt, da das Ensure nicht geht brauche ich ja irgendwie Ersatz. Und O-Saft hat auf den Radreisen immer wunderbar funktioniert, das war als ob man Benzin in einen Ottomotor schüttet.
Zum Glück ist ja die Tanke nah beim Fahrerlager, so dass ich bald meinen geliebten O-Saft bekomme. Der schmeckt herrlich. Und nach ein zwei Runden geht auch das Competition wieder. Immerhin ich habe jetzt ein brauchbares Ernährungsregime gefunden. Katrin hat alles im Griff, so bekomme ich immer das richtige Getränk zur rechten Zeit. Außerdem freue ich mich wenn ich sie sehe, so habe ich jede Runde etwas an dem ich mich hochziehen kann.
Nach vier Runden muss ich dann doch Toilettenpause machen, geht aber schnell. Die Runden sind jetzt vorhersehbare Quälerei, das sich das heute nochmal ändert erwarte ich nicht, aber eine einstellige Platzierung wäre schon ganz schön.
Die Morgendämmerung ist schon angebrochen, es ist immer noch recht kühl. Zum Glück habe ich jetzt noch eine Weste unter der Warnweste an, so dass meine Schulter schön warm bleibt, das dämmt die Schmerzen ein. Sehr gut. Ich fahre jetzt ziemlich oft alleine in der Abfahrt und auch auf dem flachen Streckenabschnitt. Sind die alle Brötchen holen oder was?
Mittlerweile habe ich keine Krämpfe mehr in den Oberschenkeln. Auch der Rest geht. Nur das rechte Sprungelenk schmerzt doch dauerhaft und ernsthaft. Das linke Knie deutet immer wieder mal einen bösen Schmerz an, den ich nur zu gut kenne. Hoffentlich hält das durch. Es wäre schade, wenn ich wegen orthopädischer Probleme aufgeben müsste.
Einen kurzen Halt mache ich nach 28 Runden. Ich ziehe die Westen aus. Dabei scheint gerade fieses Wetter aufzuziehen. Außerdem nehme ich ein Ensure plus zu mir. Im stehen geht es, zumindest kann ich jetzt die Geschmacksrichtung Banane einigermaßen zu mir nehmen. Ich beiße auch nochmal in trockenes Brot. Ich hätte Lust auf eine Käsestulle, aber an der Tanke gab es nur schleimige Sandwiches. Zwei Bissen in ein Nougat Croissant schaffe ich dann aber auch noch.
Ich liege auf Platz 7. Und ja, das motiviert. Ich muss einfach nur weiterfahren, dann kann ich den Platz halten.
Es wird jetzt ganz schön warm. Das sich andeutende Unwetter hat nur einen kurzen harmlosen Schauer abgeladen und ist dann weitergezogen. Nun knallt die Sonne. Kommt mir wärmer vor als gestern in den ersten Runden.
Am Stausacker Berg ist immer noch Party und Anfeuerung ohne Ende. Die haben wirklich ununterbrochen durchgehalten bis jetzt. Unglaublich. Und jedesmal wenn ich dort vorbei fahre kämpfe ich im Wiegetritt, auch wenn es ein paar Meter nach der Partymeile schon wieder vorbei ist und ich wieder im Kriechgang berghoch gurke. Auch im Festzelt ist schon wieder was los. Und das nimmt mit jeder Runde zu.
Mein Mindestziel waren 35 Runden, die sollte ich schaffen, aber es gehen vielleicht auch noch ein paar mehr. Die 40 werde ich aber nicht schaffen können, dazu ist mittlerweile die Zeit doch recht knapp und ich bin einfach zu indisponiert.
Nach der 33. Runde mache ich noch einen kurzen Stopp. Ich ziehe eine frische Hose an, muss die Sitzfläche nochmal nachcremen. Fühlt sich gut an. Aber nicht so frisch wie erwartet. Egal jetzt, ich liege auf dem 6. Rang. Jetzt muss ich die restliche Zeit noch durchziehen, dann könnte es doch noch eine ziemlich gute Platzierung werden.
Nach vorne ist aber nichts mehr zu holen. Ich versuche die Rundenzeit niedrig zu halten um auf jeden Fall 38 oder 39 fahren zu können, aber wirklich schneller fahren als bisher kann ich nicht. Noch dazu ist’s nix mit Gruppen, ich fahre oft bergab oder flach alleine. Mist.
Zwei, drei Runden fahre ich ungefähr gleich mit einem vor mir platzierten Fahrer, der fährt kaum selbst im Wind, wartet lieber auf Gruppen von hinten. Ich fahre in den Gruppen immer mit, d.h. auch vorne, wenn es Teamfahrer sind führe ich aber nicht so lange. Manchmal kann ich aber auch nur gerade so dranbleiben, dann ist’s nix mit Führen.
Runde 36 fühlt sich im Zelt gut an, denn jetzt liege ich über meinem Minimalziel. Es mault auch keines meiner Körperteile mehr. Runde 37 ist geil, es läuft Hells Bells im Zelt, der Moderator kündigt mich an, sagt, dass ich auf Platz sechs liege mit 37 Runden, und „Runde 38 ist jetzt Pflicht“. Ok, wenn du das sagst, dann ist das so :)
Runde 38 ist Gegurke, aber das waren 36 von den vorherigen auch, Katrin feuert mich an, ich nehme das letzte mal Getränke auf. Ich habe mal wieder etwas mehr Glück und einige Mitstreiter im Flachen. Dann die letzte Runde. Ich habe 50 Minuten Zeit, zwei Runden sind nicht machbar, aber die eine könnte ich fast schieben.
Ich kämpfe mich nochmal den Berg hoch, bedanke mich an den Stellen mit den ausdauernden Unterstützern die so lange durchgehalten haben, und genieße dementsprechend irgendwie sogar den Anstieg zum höchsten Punkt am Col de Stausacker.
Die letzten Runden schon haben wir Einzelfahrer immer wieder sehr nette Respektsbezeugungen von verschiedenen Teamfahrern bekommen, das war durchaus motivierend.
Ich genieße die letzte Abfahrt, leider alleine im Wind, obwohl das eigentlich auch ganz schön ist. Im Flachen versuche ich nochmal schnell zu fahren, aber was reißen kann ich nicht, habe auch keine Gruppe.
Aber egal, ich kann schon das Blinklicht an der Brücke sehen, die in die Stadt führt. Noch einmal im Wiegetritt hochgeackert, dann kleine Abfahrt, Tempo aufnehmen, im Auflieger in Richtung Altstadt geißeln, runterschalten und rauf auf’s Kopfsteinpflaster, durch den Torbogen, hinein in die begeistert klatschende Menge. Hammer Publikum hier. Runde 39 ist zu Ende. Geschafft, der Moment auf den ich seit 24 Stunden gewartet habe!
Ich fahre wieder raus aus dem Festzelt zum Fahrerlager, da macht es Knall, und meinen Hinterreifen verlässt schlagartig die Luft. Unglaublich, fast 640 Kilometer alles problemlos, und genau nach dem Zielstrich der Defekt. Besseres Timing geht nicht.
Ich fahre einfach weiter bis zum Auto, ignoriere den Platten, die Felge ist mir Schnuppe. Runter vom Rad. Das war’s. Ich lege mich auf den Boden, ich bin fertig. Das waren 100%. Nach drei, vier Runden dachte ich das war’s, richtig gelitten habe ich bis zur 23, Quälerei war es bis zur 38.
Ich wäre gerne nur die erste und die letzte Runde gefahren… Aber jetzt ist es wirklich vorbei.
Ich schaffe es dann zwar noch aufzustehen, aber als ich erst mal im Auto liege geht nichts mehr. Selbst alleine umziehen geht nicht, aber ich habe ja Hilfe dabei. Und jetzt heißt es eine Woche regenerieren und dann ist sind auch schon die 24 Stunden am Nürburgring dran.
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