Das Ziel für heute ist es zunächst in Richtung Norden zu fahren und dann an der Nordküste entlang bis hinter Puerto Santa Cruz um dann wieder nach Süd / Südost zu fahren und das Auto in Taco abzuholen.
Auf dem Trainingsplan stehen fünf Stunden locker G1 rollen. Aber es ist klar, dass das kaum möglich sein wird, da es immer bergauf oder bergab geht. Aber vielleicht gibt es ja doch ein paar längere flache Abschnitte.
Zunächst muss ich allerdings erst mal aus Los Christianos rauskommen, denn obwohl die Landkarte eine kleinere Straße neben der Autobahn zu zeigen scheint, konnte ich auf Google Maps nichts dergleichen entdecken. Offensichtlich kommt man nicht in den Norden ohne auf der Autobahn zu fahren. An der Küste kann man auch nicht entlang fahren, dorthin führen nur Stichstraßen, dann wird man von Felsen oder Schluchten aufgehalten.
Ich versuche zunächst parallel zur Autobahn zu fahren, was ich erst mal mit heftigen Steigungen und Gefälle bezahlen muss, außerdem muss ich mich alle 50 Meter an einem Kreisel durch den dichten Verkehr wühlen. Dann ist die Straße Einbahnstraße, leider in die falsche Richtung, ich muss über eine Brücke, überquere die Autobahn und lande in einer „Urbanisation“, noch dazu ist Stau an einer Baustelle. Ich fahre dran vorbei und in die gesperrte Straße, die lauten „Senor, Senor!“ Rufe ignoriere ich, ein Stück über den Bürgersteig, und ich komme immerhin aus dem Verkehrsgewühl raus, aber dann gibt es wieder nur einen Ausgang aus dieser Appartementsiedlung und die führt auf die Autobahn. Ich gebe auf, so wird das nix. Ich will aber auch meinen Plan nicht ändern und schon wieder die TF-28 fahren, deshalb beiße ich in den sauren Apfel und fahre auf die TF-1.
Es gibt einen Seitenstreifen, immerhin. Es liegt ziemlich viel Dreck und Metall dort, außerdem gibt es ab und zu rennraduntaugliche Kanaldeckel. Aber da es der einzige Weg ist, ist es auch ok. Autobahn fahren stresst immer etwas an den Auffahrten, und vor allem an den Abfahrten. Die Auffahrten kann man meist noch ganz gut kreuzen, zumindest wenn der Verkehr nicht zu dicht ist, aber bei den Abfahrten kommen die abfahrenden Fahrzeugen ja mit recht hoher Geschwindigkeit und man muss wählen zwischen auf dem Seitenstreifen erst ein Stück Abfahrt mitnehmen und dann kreuzen, oder auf der rechten Fahrspur fahren und hoffen, dass der Verkehr links und rechts sauber vorbeifährt.
Erschwerend kommt hier hinzu, dass es teils ganz ordentlich bergauf geht, so dass ich auf dem Fahrrad nicht richtig viel Tempo habe um im Verkehr mitzufließen. Aber so bin ich immerhin ganz gut beschäftigt und muss sehr konzentriert fahren, dadurch vergeht die Zeit recht flott.
Nach einer Weile geht die Autobahn TF-1 dann in die TF-82 über, eine „normale“ Straße. Aber immer noch ist recht viel Verkehr, dafür gibt es weniger Seitenstreifen, bis der schließlich ganz wegfällt und ich wie gewohnt auf der Straße fahre. Ich bin erstaunt wieviele Fahrzeuge hier noch unterwegs sind, so schön verkehrsarme Straßen wie bei meinen bisherigen Kanaren Trainingslagern werde ich auf Teneriffa wohl schlicht nicht zu fahren bekommen.
Da ich schon um viertel vor Neun auf dem Rad saß, ist es trotz Sonne noch recht frisch, es wird erst mal auch überhaupt nicht wärmer.
Eigentlich klappt es ganz gut mit dem G1, noch lassen sich die Steigungen ganz gut wegschalten und in den Gefällen ist es nicht zu kurvig, so dass ich die Leistung im gewünschten Bereich halten kann. Dann wird es aber etwas steiler. Es gibt sogar einige Tunnels zu durchfahren. Die sind aber nicht besonders lang. Der Verkehr ist immer noch recht stark, das nervt etwas. Die Straße hört direkt an der Begrenzung auf, so das man keine Möglichkeit hat ggf. nach rechts auszuweichen.
Anyway, es macht Spaß und ich bin gespannt ob ich die geplante Zeit zusammenbekomme. Die Temperatur liegt so bei 15° C.
Ab Chio muss ich etwas mehr Leistung abrufen, denn man gewinnt doch einige Höhenmeter, wird dafür allerdings auch mit sehr schönen Ausblicken auf das Meer belohnt.
Ich folge weiter der TF-82 in Richtung Tamaimo. Irgendwann ist der höchste Punkt erreicht, an einem Kreisel könnte man in eine fast fertige Autobahn abbiegen, die scheint schön flach, ist aber leider noch gesperrt. Stattdessen muss ich bergab fahren und die gewonnenen Höhenmeter wieder abgeben, so langsam muss ich mich komplett vom G1 verabschieden, steil berghoch oder steil bergab halt.
Es geht aber nicht nur bergab, sondern der Straßenbelag ist auch ausgenommen schlecht. So wird die Abfahrt zur Tortur für’s Material. Ein bisschen auch für mich.
Tamaimo ist irgendwie ein interessanter Ort, es wirkt gar nicht so touristisch, liegt aber in diesem schmalen Tal optisch sehr beeindruckend, irgendwie faszinierende Atmosphäre hier.
Um aus dem Ort rauszukommen muss ich allerdings wieder ordentlich bergauf kurbeln. Immer noch ist der Belag schlecht, und auch immer noch erstaunlich lebhafter Verkehr, wenn auch nicht mehr so nervig wie bis Chio.
So kurbele ich mich nach oben über El Retamar bis Santiago del Teide, irgendwie ist mir etwas kalt, obwohl die Sonne scheint und obwohl es bergauf geht, aber es sind auch nur noch zwölf, dreizehn Grad.
Ich fahre weiter die TF-82. Vor mir scheinen weitere Berge zu sein, allerdings liegen die in den Wolken, so dass ich es nicht richtig sehen kann. Ich habe die Karte nicht mehr im Kopf, auf dem Garmin kann ich nur ungefähr sehen wo ich mich befinde, ohne topografische Information.
Jetzt wird es deutlich kälter und es nieselt etwas. Es geht wieder richtig bergauf, und es wird deutlich kälter. Die Brille läuft an, ich sehe recht wenig. Dann nimmt der Regen zu. Mist, so habe ich mir das mit dem Kanaren Trainingslager nicht vorgestellt, die Temperatur liegt unter 10° C, es regnet und zwar richtig.
Das ist also der Norden, wo die Wolken am Berg hängen bleiben und wo es regnet wenn im Süden die Sonne scheint. Genauso ist es. Nur noch etwas kälter als gedacht. Dafür sieht die Landschaft im Dunst auch durchaus interessant aus.
Ich kann die Leistung eigentlich ganz gut dosieren, nur manchmal wenn die Steigung anzieht muss ich G2 oder etwas mehr fahren. Dann habe ich den höchsten Punkt, Puerto de Erjos erreicht. Ich bin jetzt 1117 Meter hoch. Eigentlich nix besonderes, nur muss ich jetzt bei strömendem Regen und 8° C bergab fahren. Ich halte kurz an und ziehe die Jacke an, Tretpause habe ich jetzt eh.
In meinem Kopf formen sich Bilder von Lanzarote bei Sonnenschein, gleichmäßig treten die Beine genau 220 Watt stundenlang, ohne Unterbrechung…
Bis El Tanque sind die Finger schon ordentlich kalt, die Füße komplett durchnässt. Die Vegetation lässt vermuten, dass dieses Wetter hier keine Ausnahme ist. Die TF-82 fährt sich jetzt, abgesehen von der Nässe, in etwa so wie die TF-28 auf der anderen Seite der Insel. Ich fahre weiter bis Icod. Etwas dahinter scheint sich, zumindest über dem Meer, der Wolkenschleier zu lichten. Der Regen nimmt ab und hört fast ganz auf.
Kurz werde ich unsicher in der Navigation, da die TF-82 zu Ende ist und mir nicht sofort klar ist, dass die TF-5 zunächst eine „Bundes“straße ist und erst später zur Autobahn wird. Allerdings nimmt auch so der Verkehr wieder stark zu. Und ich sehe endlich mal einen Rennradfahrer. Der fährt ganz gut.
Es sind noch so ca. 17 Km bis Puerto de la Cruz. Dort hatte ich eine Cafepause eingeplant. Mir ist eigentlich gar nicht nach anhalten, aber ich muss mir die Karte nochmal anschauen, und etwas aufwärmen wäre auch nicht schlecht. Auch wenn die Temperatur jetzt wieder über 10° C liegt.
Die Straße führt an der Küste entlang, es gibt einige Tunnels und einige verkehrstechnisch heikle Stellen, aber im Prinzip ist sie ok zu fahren. Nur der Verkehr ist sehr stark. Wenn ich hier Quartier genommen hätte, dann wäre ich sicher nicht glücklich geworden. Aber es gibt einige Radfahrer die hier offensichtlich trainieren. Wahrscheinlich Einheimische die hier immer hin und her fahren müssen wenn sie mal nicht berghoch fahren wollen.
Schließlich habe ich Puerto de la Cruz fast erreicht, da es mit der Navigation recht kompliziert ist mache ich meine Pause kurz vorher bei Loro Parque. Ich hatte mir vorgestellt hier bei 22° in der Sonne am Meer zu sitzen, stattdessen sitze ich bei 15° und bedecktem Himmel in einer Hochhaussiedlung. Irgendwie gefällt es mir gerade trotzdem, die Leute im Cafe sind sehr nett, Essen und Trinken gut, und, wie meist, sehr günstig.
Ich versuche noch mir den Weg erklären zu lassen, aber da ich kein Spanisch spreche laufen die wortreichen Erklärungen des Kellners etwas ins Leere. Anyway, nach einer knappen halben Stunde Pause fahre ich weiter. Der Norden hat sich erst mal von seiner garstigen Seite gezeigt, jetzt hoffe ich doch auf etwas mildere Bedingungen.
Da die Navigation nicht so einfach ist, fahre ich wieder ein Stück Autobahn, diesmal die TF-5. Die geschilderte Abfahrts- Auffahrtsproblematik nervt hier umso mehr, als der Verkehr recht lebhaft ist und alle 500 Meter eine Ab-/Auffahrt kommt.
Lange muss ich aber nicht auf der TF-5 fahren, die Freude über das Verlassen der Autobahn dauert aber nur eine Microsekunde, denn noch in der Abfahrt geht es erst mal 300 Meter mit 17% bergauf! Spätestens jetzt begrabe ich meine Trainingsplanungen für heute.
Mein Ziel ist El Rosario, so fahre ich über Santa Ursula, dann bis La Victoria. Dabei muss ich einige Male richtig steil berghoch fahren. Und mit steil meine ich nicht 12% glocknerstraßensteil, sondern richtig berghoch um 20%.
Weiter geht es nach Mantanza, jetzt wird es wirklich heftig. Hier haben wohl die Straßenbauer vom Monte Zoncolan einen Nebenjob gehabt. Mehrmals geht die Steigung über 20 % hinaus, und als ich aus dem Ort rausfahre kommt eine heftige 25% Steigung. Ich komme gerade so hoch, nix mit G1, G2 und auch EB reicht hier nicht, hier heißt es geben was die Beine haben um die ca. 97 kg Systemgewicht da hoch zu wuchten.
In Richtung Agua Garcia fahre ich nochmals auf so eine heftige Steigung zu. Krass. Wieder heißt es hochkämpfen, es geht gerade so.
Mittlerweile freue ich mich wenn Steigungen nur 15% steil sind, da kann ich mich dann etwas „erholen“. Von Agua Garcia bis La Esperanza lässt es sich dann eigentlich ganz gut fahren. Es geht steilberghoch, aber noch im normalen Bereich. Die Vegetation ist interessant, man merkt, dass hier ein recht feuchtes Klima herrscht. Ich fahre jetzt auch wieder in die Bewölkung rein.
Die Beine sind immer noch gut, trotz der maximalen Anstrengung an den heftigen 20+ Prozent Abschnitten. Und so erreiche ich dann auch bald El Rosario. Mittlerweile ist es wieder nur noch 10° kalt, so dass ich mir nochmal die Jacke anziehe. Ab jetzt geht es, bis ich auf die TF-28 treffe nur noch bergab, und zwar steil bis sehr steil bergab.
Im Süden scheint erwartungsgemäß wieder die Sonne. Eigentlich hätte ich Lust jetzt die TF-28 bis nach Hause zu fahren, aber mein Auto steht ja in Taco und das brauche ich morgen für den freien Tag. Vor Einbruch der Dunkelheit hätte ich es sowieso nicht bis ins Hotel geschafft.
In Taco angekommen stehen dann zwar fünfdreiviertel Stunden auf dem Radcomputer, aber die Trainingseinheit hatte letztlich nichts mit den geplanten fünf Stunden locker G1 rollen zu tun. Spaß gemacht hat’s trotzdem, auch wenn der Norden recht garstig zu mir war. Ich bin wirklich erstaunt, dass ich die brutalen Steigungen so gut weggesteckt habe, schließlich ist das eigentlich nicht wirklich mein Ding. (Gletscherstraße Sölden mit 13% ziemlich konstant reicht mir…) Und auch die Knie haben nicht gemuckt.
Morgen der Ruhetag kommt allerdings gerade recht. Da werde ich mal auf den Teide hinauffahren und ein bisschen Strecken erkunden.
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