Beim Frühstück gibt's 'ne halbe Schale Müsli und zwei Käsebrote das sollte wohl für 1 Stunde 39 Minuten und 59 Sekunden Fahrradfahren reichen...
Der Blick aus dem Fenster zeigt Erstaunliches. Der Himmel ist blau und die Sonne geht auf. Und das bei den Vorhersagen, die von Gewittersturm über Temperatursturz und dunkle dichte Regenwolken alles Mögliche vorhergesagt haben. Aber zum Glocknerkönig ist halt das Wetter traditionell schön, und diese Bauern- äh Radlerregel ist mindestens so verlässlich wie die über komplexe Modelle mit 12 Fantastilliarden GigaMops Rechenleistung ermittelten „Vorhersagen“.
Trotzdem packe ich warme Klamotten in den Kleidersack und nutze diesmal den Transportservice, denn oben ist es natürlich richtig kalt und das Wetter kann dort eh jederzeit umschlagen. Das passt auch gut zu meinem Plan dieses mal trotz Startblock2-Startnummer nicht so spät zum Start zu gehen wie letztes Jahr. Da hat mir die Einstimmung auf das Rennen gefehlt.
So fahre ich mich noch knapp zehn Minuten warm und jage die Wattanzeige auch ein paar mal kurz gut in die 500 Watt damit die Beine wach werden. Dabei mache ich mir nochmal meine angestrebte Zeit bewusst 1:39:59 h. Allerdings ist mir auch klar, dass das, vorsichtig ausgedrückt, ein optimistisch gesetztes Ziel ist.
Dadurch, dass ich schon kurz nach halb in der Startaufstellung stehe, stehe ich immerhin im zweiten Drittel meines Startblocks. Die Stimmung ist ähnlich verhalten wie letztes Jahr. Im dritten Startblock ist es schon etwas lustiger, vielleicht weil die Ambitionen meist geringer sind. Allerdings fühle ich mich sehr locker, der Puls liegt um 80, also so wie vor zwei Jahren, als ich mit dem Ziel unter die besten tausend zu kommen recht locker am Start stand.
Die Musik ist ok, ein eher rockiger Mix und immer wieder versuche ich mich etwas zu pushen, etwas Spannung aufzubauen. Nachdem in den letzten beiden Jahren eher ich nach den anderen Rädern geschaut habe, ziehen diesmal doch die Lightweights den einen oder anderen interessierten Blick auf mein Rad. Ich bin nicht der einzige der solch einen technischen Overkill betreibt, aber man hat schon das Gefühl jetzt auch liefern zu müssen, will heißen mit den Laufrädern 'ne 1:50 zu fahren wäre peinlich. Naja, ob die wirklich so viel bringen am Berg, vor allem gegenüber den ja auch schon guten R-SYS SL oder Citec 3000S, bezweifle ich momentan noch.
Ein vierer Team hinter mir flachst etwas über meine Mountainbikekassette mit dem 32er Ritzel, ich habe jetzt aber keine Lust über Leistung an der Schwelle, optimale Trittfrequenz und den ganzen Käse zu diskutieren, deshalb ignoriere ich das einfach, die Antwort gibt’s am Berg!
Dann noch drei Minuten. Der Glocknerkönig leistet sich dieses Jahr auch einen Hubschrauber, ich warte nur auf „die Glocken von Bruck“ sprich Hells Bells von AC/DC. Aber irgendwie klappts nicht, erst wird kurz Highway to Hell angespielt, dann hört man dahinter die Glockenschläge von Hells Bells, aber als der Startschuss fällt spielen die Race von Yellow. Mist was soll das denn? Völlig unpassender Song (abgesehen vom Titel), außerdem weckt das in mir keinerlei Emotionen.
Aber als der Pulk anfängt sich zu bewegen ist das vergessen, jetzt geht es nur drum von Anfang an Druck zu machen. Um mein Ziel zu erreichen brauche ich ca. eine Zwischenzeit von 32 Minuten an der Mautstelle Ferleiten. Am Start dürften so ca. 450 Fahrer vor mir gewesen sein (Bei 2800 Teilnehmern sind also abzüglich der „light Fahrer“ wohl über 2000 hinter mir).
Nach der Unterführung versuche ich immer schnelle Hinterräder zu finden und das Fahren im Wind möglichst zu vermeiden. Das klappt auch erstaunlich gut. Allerdings steht die Wattanzeige fast konstant über 400 Watt oder zumindest hoch im dreihunderter Bereich. Ich habe etwas Sorge mich jetzt schon platt zu machen, aber ich kann sogar das Führungsfahrzeug der Rennleitung manchmal vorne noch sehen, das motiviert ungemein.
An dem flachen Stück in Richtung Fusch zieht sich das Feld auseinander und wir fahren wie an einer kilometerlangen Perlenschnur aufgereiht hintereinander. Das sieht ziemlich geil aus. Ich weiß nicht ob ich jetzt mehr Routine mit dem Fahren im Pulk habe und ich die Situation anders einschätze, aber es scheinen mir einige Fahrer dabei zu sein, die doch recht gefährlich in der Gruppe fahren. Einen guten Kompromiss aus Sicherheit und Windschatten gibt es aber nicht. Also bleibe ich immer schön an den Hinterrädern und hoffe das vor mir (und hinter mir natürlich auch) kein Sturz passiert.
Irgendwie habe ich mich doch schon ein gutes Stück nach vorne gebeamt, als in Fusch plötzlich die Hände hoch gehen. Wir bleiben fast stehen. Mein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen, denn es hat gekracht. Drei vier Radler klicken gerade fluchend wieder ein und quälen sich aufs Rad, einer bleibt aber mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen.
Zwei Gedanken schießen mir durch den Kopf: „verdammt die arme Sau, hoffentlich hat er sich nicht ernsthaft weh getan“ und „puh, das war knapp, Glück gehabt, dass ich nicht involviert war und alle rechtzeitig bremsen konnten“. In welcher Reihenfolge weiß ich aber ehrlicherweise nicht.
Trotz dieses Unfalls, schließt der Pulk zur Spitzengruppe auf. Hinter dem Bärenwerk sind also die ersten ca. 300 bis 330 Fahrer noch zusammen. Auch wenn ich am Ende dieses Pulks bin ist das doch ziemlich geil. Zwar habe ich mich ja schon letztes Jahr beim Alpenbrevet auf den ersten Kilometern abgeschossen, aber hier noch das Führungsfahrzeug im Blick zu haben heißt, dass ich bei einer konstanten Leistung von 350 bis 380 Watt noch Siegchancen hätte. Herrliche Theorie. Die andere Interpretation ist natürlich, dass die starken Fahrer vorne im Verhältnis zu ihrem Leistungsvermögen deutlich langsamer gefahren sind als ich und wahrscheinlich die meisten meiner Mitstreiter, so dass ich mich möglicherweise überfordert habe bevor es überhaupt berghoch geht.
Für letzteres spricht die Tatsache, dass jetzt im Anstieg die Fahrer der Reihe nach wegplatzen. Allerdings fühle ich mich noch gut und die Trittfrequenz ist sehr hoch. Die Wattanzeige ist oft bei ca. 380 Watt bei einer Trittfrequenz von ca. 95. Dabei bewege ich mich im Pulk eindeutig nach vorne. Ich ignoriere weiterhin die Möglichkeit zu überziehen, ich will definitiv nicht so ekelhaft entspannt im Ziel stehen wie letztes Jahr, lieber sterbe ich schon im ersten Steilstück hinter der Mautstation.
Der Blick auf das Wattmeter erstaunt mich immer wieder, schon lange habe ich die zwei vorn nicht mehr gesehen, ich weiß gar nicht warum ich innerhalb von anderthalb Wochen soviel stärker fahre. Es fühlt sich aber auch richtig, richtig anstrengend an. Auf dem letzten steileren Abschnitt vor der Mautstation muss ich schon ordentlich kämpfen. Aber zum Glück kommen ja ein paar hundert flache Meter.
Ich nutze die Gelegenheit um mir ein Gel reinzuquetschen und etwas zu verschnaufen. Die Zwischenzeit passt. Muss knapp unter 32 Minuten sein. Jetzt wird es ernst. Der härteste Teil der Strecke kommt ja noch. Vor allem der Teil gleich nach der Mautstation und der Abschnitt ab dem Schild unteres Nassfeld machen mir etwas Angst.
Das Schöne ist, dass ich jetzt nicht mehr denken muss, sondern es gilt nur durchzuhalten, im kleinsten Gang mit der größtmöglichen Trittfrequenz. Das klappt in diesem ersten schwierigen Teil sehr gut.
Dabei wird mein etwas plakativ formulierter Wunsch von gestern, dass ich mich so verausgaben will, dass ich im Ziel kotzen muss möglicherweise schneller erfüllt als mir lieb ist. Denn immer noch trete ich rein was geht, und mir ist schon regelrecht übel vor Anstrengung. Aber es geht auch wieder weg.
Ich habe zwar nicht das Gefühl wie beim ersten mal, als die Kilometer nur so dahin geflogen sind, aber die Rennsituation lässt keinerlei „ich bin ja erst hier“ und „oje wie weit noch bis nach oben“ Gedanken zu.
Trotzdem sehne ich natürlich die erste Kehre herbei. Kurz davor spricht mich noch ein Fahrer auf meine Mountainbike Kassette an. Wir fahren beide schon nahe am Limit und unterhalten uns über Übersetzungen, dabei überholen wir eine größere Gruppe, das wirkt schon ziemlich lässig...
Lässig ist allerdings gar nix. Nach der ersten Kehre, die ja ein paar Meter mit geringer Steigung bedeutet schalte ich brav hoch und gehe in den Wiegetritt, aber es ist wirklicher Kampf. Ich könnte schon wieder kotzen. Natürlich mache ich das nicht, es ist ja einfach nur dieses Gefühl der Anstrengung, das kennt sicher jeder Sportler aus der ein oder anderen Situation. Und seltsamerweise finde ich das sogar irgendwie gut, denn es ist ein Indikator dafür, dass ich nicht zu wenig gebe, wie es eben letztes Jahr passiert ist.
Was nicht so schön ist, ist die Tatsache, dass ich so um Kilometer 21 einen Anflug von Seitenstechen spüre. Hä? Das hatte ich ja noch nie. Es ist nur so ein latentes Gefühl, aber ich kann natürlich nicht durch Dosieren der Leistung irgendwie gegensteuern, denn mittlerweile liegt die Trittfrequenz eher unter 80 und die Leistungsanzeige zeigt um 300 Watt.
Bis hierher könnte es theoretisch tatsächlich sein, dass ich meine Zielzeit erreiche. Ich habe diese zwar nicht konstant vor Augen, aber wenn es richtig weh tut hilft mir das mich zu motivieren und nicht nachzugeben, sondern hochzuschalten und im Wiegetritt zu kämpfen. Doch dann wird der Traum von der 1:39:59 im wahrsten Sinne des Wortes weggweblasen.
Denn während die Bedingungen zunächst gegen alle Erwartung fast optimal sind, nämlich blauer Himmel bei niedrigen Temperaturen, setzt jetzt ein heftiger Wind ein. Das hat mir letztes Jahr möglicherweise schon die Quali für die erste Startgruppe verblasen, dieses Jahr ist der Wind aber noch heftiger. An manche Stellen ist es regelrecht stürmisch. Und vor allem kommt der Wind natürlich von vorne, die meiste Zeit jedenfalls.
Ich rede es mir schön damit, dass er dann an dem langen steilen Stück am unteren Nassfeld von hinten kommen muss. Außerdem versuche ich mich nicht so entmutigen zu lassen vom Wind wie letztes Jahr, weiß jetzt aber, dass die 1:39:59 passé ist. Ich setze mir aber keine neue Zielzeit sondern kämpfe einfach weiter.
Alle Fahrer versuchen sich möglichst nah an den Berg zu schmiegen um dem Wind soweit wie möglich zu entgehen. Außerdem fahren wir Windschatten wie bei einem flachen Radrennen. Das hat den Nachteil, dass man nicht immer seinen eigenen Rhythmus fahren kann. Auch wenn man schneller fahren könnte als der Vordermann müsste man den Windschatten aufgeben, was wieder zu viel Körner kostet.
Eine verzwickte Situation. Ich entscheide mich ein paar mal für den eigenen Rhythmus und versuche gegen den verdammten Wind anzukämpfen. Dabei muss ich mehrmals laut fluchen oder den Wind anschreien. Die anderen um mich herum sagen nix, aber ich weiß, dass die das gleiche denken...
Wieder kommt der latente Anflug von Seitenstechen, aber auch jetzt geht es wieder weg. Am Nassfeld haben wir dann tatsächlich Rückenwind. Ich versuche das auszunutzen und einen Gang höher zu schalten, aber es ist kein ganzer Gang, so versuche ich es über die Trittfrequenz, aber jetzt wieder in den hohen 80er oder gar 90er Bereich zu kommen verlangt mehr Willenskraft als noch übrig ist. So „schone“ ich mich einfach etwas für den nach der Kehre logischerweise kommenden Gegenwind.
Noch immer bin ich innerlich zufrieden, auch wenn die Zielzeit nicht mehr möglich ist, denn ich merke dass ich am Limit kämpfe, und ich tue einfach so als wäre die 1:39:59 h noch drin.
An der Edelweißwand haben wir kaum Gegenwind, dass hatte ich anders erwartet, das hilft psychologisch, außerdem hat mich schon ein paarmal ein Fahrer mit einem Scott Addict überholt, wir sind in diesem Abschnitt in etwa gleich schnell, so dass ich immer wieder an ihm vorbeigefahren bin. Und jetzt will ich natürlich auch dranbleiben.
In den folgenden Schlussserpentinen ist es wieder windiger. Es sind keine zwei Kilometer mehr, aber jetzt ist es elend hart. Ich bin aber völlig erstaunt, dass ich bis hierhin so durchgehalten habe, bei den Zahlen die da auf der Wattmeteranzeige standen. Zwar sind das ja immer nur Momentaufnahmen wenn man gerade mal auf die Anzeige schaut und die tatsächliche Durchschnittsleistung liegt natürlich viel niedriger, aber grob weiß ich ja was ich letztes Jahr getreten habe, und dieses mal muss es deutlich mehr sein.
Noch tausend Meter, jetzt gehen in der Beinmuskulatur so langsam die Lichter aus. Ich zwinge mich immer mal wieder hochzuschalten und im Wiegetritt zu kämpfen, aber viel geht nicht mehr. Vor der letzten Serpentine ist es nochmal etwas flacher, wenn ich hier angreifen könnte, nochmal Tempo aufnehme, könnte ich noch zwanzig Sekunden gut machen, aber ich versuche einfach nur durchzuhalten und gebe alles was ich habe im 12%-Stich zum Kilometer 27. Dabei mache ich Geräsuche wie ein sterbender Wal. Dann ist es nur noch die kleine Rampe zum Fuscher Tor. Aber ich hab nix mehr, sie erscheint mir unfassbar lang und steil. Ich glaube ich komme da nicht mehr hoch.
Foto firstfotofactory.com |
Die Zeit muss so knapp über 1:42 h sein. Ich bin nicht so unfassbar glücklich wie beim ersten mal, aber hochzufrieden. Zwar habe ich die 1:39:59 h verpasst, aber das hätte nur bei rundherum optimalen Bedingungen klappen können. Sonne und Temperatur haben mitgespielt, aber der Wind halt nicht. Dennoch habe ich die 1:45 h Qualizeit für die erste Startgruppe geschafft. Für mich ein Riesenerfolg.
Nachdem ich mir die warmen Klamotten aus dem Kleidersack angezogen habe, denn durch den Wind es ist schon empfindlich kalt hier oben, und zwei extrem süße Früchtetees getrunken habe mache ich mich auf zur Kaiserschmarrnausgabe.
Allerdings schaffe ich nur eine halbe Portion. Auch wenn ich mich prinzipiell sehr schnell wieder erholt habe, so habe ich doch durch die Anstrengung noch keinen rechten Hunger. Aber die Aussicht auf die Schlussserpentinen mit der endlosen Kette von sich den Berg hoch quälenden Radlern genieße ich noch einen Moment. Dann wird es mir aber doch zu kalt, außerdem ziehen Wolken auf, und wenn es doch noch anfängt zu regnen möchte ich auf keinen Fall die ungewisse Bremswirkung der Carbonflanken meiner Laufräder bei Nässe in einer Abfahrt vom Glockner erstmals kennenlernen...
So mache ich mich auf die Abfahrt. Bei trockenen Bedingungen ist das Bremsen mit den Lightweights auch auf dieser Steilen langen Abfahrt kein Problem. Da noch viele Radler bergauf unterwegs sind fahre ich recht langsam, genieße etwas das Alpenpanorama und schaue mir die Radfahrer an.
Auf halber Strecke zur Mautstation sehe ich einen recht schweren Radler, der sich offensichtlich weit über dem Limit die Strecke hochquält und dabei so langsam wird, dass er umfällt. Es passiert gerade als ich mit 50 km/h bergab an ihm vorbeirausche, so dass es keinen Sinn macht anzuhalten. Ich schaue mich kurz um, und es ist schon jemand bei ihm, so dass ich weiterfahre und nicht umkehre. Das habe ich ja auch noch nicht gesehen. Ich glaube er wollte gerade ausklicken und schieben und kam nicht aus den Pedalen raus. Bei großer Erschöpfung kann das passieren. Ich würde sagen der hat noch eine Rechnung mit dem Berg offen und wird nächstes Jahr wiederkommen...
Ich habe jetzt keine Rechnung mehr mit dem Glocknerkönig offen. Die Qualifikation für die erste Startgruppe ist geschafft. Ein bisschen stolz bin ich schon. Ca. fünf Minuten schneller als letztes Jahr, das macht Mut, dass die Möglichkeit mich zu verbessern gegenüber der nachlassenden Leistungsfähigkeit im Alter noch die Überhand hat.
Wow. Tolle Leistung!
AntwortenLöschenVielen Dank für die ausführliche Beschreibung, sehr inspirierend und lehrreich.
Kennst Du eigentlich http://theclimbingcyclist.com/? Der Beitrag hier wäre doch grandios als Gastbeitrag?
Danke für den Link, werde ich mir mal ausführlich anschauen.
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