Die heutige Etappe ist definitiv nicht
wie die anderen. Für mich hat sie eine ganz besondere Bedeutung, da
ich letztes Jahr genau auf der 6. Etappe kurz vor dem Kitzbüheler
Horn heftig gestürzt bin.
Auch wenn ich es mir zunächst nicht
eingestehen will, so ist mir doch etwas mulmig, und ich hoffe heil am
Horn anzukommen. Als dann der erste Blick aus dem Fenster eine
regennasse Straße zeigt wird das Gefühl nicht wirklich besser.
Ich verzichte trotzdem auf die
Regenjacke, denn es regnet momentan nicht und an den elend steilen
Anstiegen des Kitzbüheler Horns zählt jedes Gramm. Deshalb nehme
ich diesmal auch die Kamera nicht mit.
Als wir dann in der Startaufstellung
stehen fängt es wieder an zu regnen. Abfahrten im Regen sind
nicht so dass worauf ich wirklich stehe, aber Radsport findet nun mal
draußen statt. Zur Begeisterung des gesamten Feldes kommt aber genau
in dem Moment als Tom das Startauto anwirft die Sonne raus, und es
gibt ordentlich Beifall.
Schon die ersten zweihundert Meter sind
etwas heikel, da wir über einen kleinen aber steilen Hügel bei regennasser Fahrbahn drüber müssen, aber auf dieser Miniabfahrt
hinter dem Führungsfahrzeug fahren alle ganz diszipliniert.
Schon recht direkt nachdem wir aus
Bischofshofen rausfahren wird der Start freigegeben. Der Schlachtplan
für heute lautet, an der Spitzengruppe dranbleiben bis möglichst
zum Filzensattel, in der Abfahrt dort nicht zuviel verlieren und dann
eine Gruppe finden in der ich bis ans Horn komme.
Den versuche ich auch umzusetzen, d.h.
in dem anfangs ja recht moderaten Anstieg schon ordentlich reinhauen,
damit ich dranbleiben kann. Das klappt auch recht lange ganz gut,
aber als es etwas steiler wird zieht sich das Ganze doch etwas
auseinander.
Ich bewege mich mit den üblichen
Verdächtigen in einem größeren Feld, wie groß die Gruppe ist,
weiß ich aber nicht, da ich überhaupt nicht nach hinten schaue. Ein
bisschen Sorge mache ich mir schon, dass ich vielleicht zu viel
Körner investiere und nachher am Kitzbüheler Horn leiden werde,
aber der Plan steht und ich versuche ihn irgendwie umzusetzen.
Vorne hat sich nun schon eine kleine
Gruppe abgesetzt, aber die Jungs haben Pech. Denn an der Baustelle wo
ich gestern bergab halten musste, stehen die an der roten Ampel als
wir ankommen. Wir sind noch nicht ganz dran, als die Ampel umspringt
auf Grün. Jetzt heißt es powern, damit wir auch noch bei grün
durchkommen, noch 15 Meter, ich haue rein was geht, die anderen wohl
auch, noch weniger als 10 Meter, die Ampel fängt an zu blinken, ich
feuere uns an, „ die schaffen wir noch“ und gebe wirklich hundert
Prozent, so dass es weh tut, und genau in dem Moment als die Ampel
umspringt, haben wir sie passiert, man das war knapp.
Es kommen allerdings noch einige
weitere drüber, offensichtlich mag keiner die Gruppe verlieren...
Das hat ganz schön in die Beine
gehauen, jetzt erst mal wieder etwas runterfahren, aber geht dann
irgendwie auch nicht, denn die Spitzengruppe ist nicht weit vor uns,
und natürlich versuchen wir ranzufahren. Eigentlich klettern die
momentan nicht schneller.
So bleiben die Abstände relativ
konstant. Bei uns fällt immer mal einer aus der losen Gruppe raus,
und vorne scheinen auch zwei Fahrer etwas den Anschluss zu verlieren.
Auf die schließen wir mit vier, fünf Leuten auf.
Auch in der Zwischenabfahrt vom Dienter
Sattel verliere ich nicht viel, die ist recht gut zu fahren,
allerdings ist die Straße an vielen Stellen nass, ich fahre da recht
vorsichtig, aber kein Problem, der Anstieg zum Filzensattel ist
nicht weit und dort bin ich schnell wieder in der kleinen Gruppe
drin.
Auch der Abstand nach vorne ist nicht
so riesig, aber einholen können wir die nicht mehr. Der Anstieg ist
dann nicht mehr so lange, das Wattmeter zeigt beim Klettern schon
meist 300+ Watt, ich hoffe, dass kann ich über die Etappe halten.
Die Abfahrt ist zunächst gut zu
fahren, und dann haben wir wieder Glück, oder vielmehr die
Spitzengruppe Pech, denn die stehen doch tatsächlich an der zweiten
Baustelle schon wieder bei Rot an der Ampel. So schließen einige
Fahrer auf, und wir sind dann eine Gruppe von gut zwanzig Leuten.
Als es weitergeht verliere ich in der
Abfahrt ein bisschen den Anschluss, es ist teils ziemlich nass, ich
riskiere gar nichts, so dass unten ein Großteil der Gruppe bestimmt
500 Meter weg ist. Allerdings müssten hinter mir auch noch welche
sein.
Zunächst sehe ich aber niemand und
fahre so mit 260 bis 280 Watt, jetzt leicht bergab. Dann kommt aber
Torsten von hinten und wir fahren zu zweit, immerhin.
Noch bevor ich aber überhaupt in den
Genuss von Führungsarbeit komme sehen wir überraschenderweise die
Spitzengruppe vor uns. Irgendwie bummeln die, oder taktieren, oder
was auch immer. Da uns freundliche Autofahrer auch noch etwas Platz
machen, können wir aufschließen und in die Gruppe reinfahren. Man
wie geil, jetzt heißt es bis zum Kitzbüheler Horn dranbleiben und
dann schauen was noch an Körnern übrig ist.
In der Abfahrt hatte ich eine Flasche
verloren, was mich etwas ärgert, aber das Wetter ist heute recht
wechselhaft. Zwischendurch schien mal die Sonne, dann regnet es ein
bisschen, momentan ist es trocken, aber saukalt. Ich friere etwas.
Die Gruppe fährt manchmal recht
langsam, dann geht es wieder ab, da ich ziemlich hinten fahre
schwankt der Einsatz von voller Power um dranzubleiben bis locker die
Beine hängen lassen und rollen. Ich weiß, dass ich damit ziemlich
gut umgehen kann, aber die intensiven Phasen nerven trotzdem etwas.
Dann scheint sich aber eine Gruppe von
wohl vier Leuten vorne abzusetzen. Dadurch hört das Taktieren auf
und die Gruppe läuft gleichmäßiger. Ich kann sogar mit Torsten
etwas plaudern.
Dunkle Wolken hängen vor uns am Berg,
und ich glaube es war keine gute Entscheidung auf die
Wechselklamotten für's Kitzbüheler Horn zu verzichten. Ich hatte
auf Sonne zum Mittag hin gesetzt, jetzt sieht es nach allem anderen
aus.
Die Strecke ist super zu fahren, der
zweite Anstieg des Tages ist sanft, so dass wir ordentliches Tempo in
der Gruppe haben. Ich fahre auch mal nach vorne, aber meist bin ich
eher hinten, die Führungsarbeit machen andere.
Auch die Abfahrt hinunter bis St.
Johann i. T. ist, bis auf ein kurzes 9% Stück, eher moderat. Es
läuft also bis jetzt wirklich super. Nur das Damoklesschwert
Kitzbüheler Horn schwebt natürlich über uns.
Dann plötzlich nicht weit vor mir ein
Sturz, ein Fahrer kommt irgendwie zu Fall und geht über den Lenker,
ein anderer fährt drauf und stürzt auch, gerade können wir noch
ausweichen, sehr knapp. Im Augenwinkel sieht es so aus, als ob beide
aufstehen und weiterfahren können, aber die Gruppe ist für die
natürlich futsch (später erfahre ich, dass einer der beiden auf die
Schulter gestürzt ist und zur Untersuchung ins Krankenhaus musste)
Ein kurzer Schreckmoment, der deutlich
macht, dass ich das Kitzbüheler Horn noch lange nicht erreicht habe.
Es arbeitet in mir, aber schnell kann ich mich wieder auf die Hatz
zum Horn konzentrieren.
An der Verpflegungsstation muss es
schnell gehen, so dass ich nur eine Flasche aufnehmen kann
(natürlich das etwas eklig schmeckende Apfelsaft/Salz Gemisch). Da
ich ja schon eine Flasche verloren hatte, wird das wohl am Horn
nachher eng werden, aber ändern kann ich erst mal nichts.
Dann haben wir St. Johann erreicht, es
ist also nicht mehr allzuweit, da verliert einer nach einem Kreisel
eine Trinkflasche und die rollt mir direkt vors Rad, zum Ausweichen
oder Springen zu spät, ich fahre mit dem Vorderrad drauf, aber zum
Glück ist die Flasche nicht ganz voll, so dass sie sich
zusammenquetscht, mir zwar etwas das Vorderrad verreißt, aber dann
wegspringt, ich kann das Rad gerade noch halten. Man war das knapp.
Dieses verdammte Kitzbüheler Horn will mich offensichtlich nicht
haben. Ich bin gar nicht so sehr erschrocken, als vielmehr wütend.
So einfach lasse ich mich nicht mehr abschütteln, dem Mistberg werde
ich es schon noch geben.
Das ist natürlich leicht gedacht, wenn
man noch schön im Flachen mit der Gruppe rollt. Aber das hört jetzt
bald auf, denn über kleinere Wege fahren wir jetzt etwas verwinkelt
durch Wiesen zum Fuß des Anstiegs. Schon hier zieht es sich etwas
auseinander, was aber kein Problem ist, denn gleich wird es böse
steil und jeder wird zusehen wie er da hoch kommt.
In einer letzten kleinen Abfahrt
hinunter zur eigentlichen Straße hinauf auf's Horn verschätze ich
mich nochmal und muss in einer Kurve geradeaus fahren, aber dann ist
der erste Kampf gewonnen, ich bin am Fuße der Steigung, passiere das
7 Kilometer Schild und den Stoppautomaten.
Ein Ticket ziehe ich natürlich nicht,
aber auf dem Radcomputer drücke ich eine Runde ab, meine Zeit möchte
ja schon gerne wissen...
Der Weg hierher war holprig, und ein
Jahr musste ich jetzt warten um mich hier quälen zu dürfen, aber
jetzt scheint die Sonne und ich stelle den Motor auf gut 300 Watt,
meist etwas mehr. Vor den steilen Stücken habe ich einen enormen
Respekt und hoffe, dass es nicht so brutal wird wie am Monte
Zoncolan. Auch die Konstanz der Steigung hat mich beim Studium des
Höhenprofils beeindruckt. Jetzt heißt es durchhalten.
Die Sonne, über die ich mich eben noch
gefreut habe, geht mir schon nach drei Kehren auf den Keks, denn es
ist zu warm, und ich habe nur noch einen kleinen Rest in meiner
Trinkflasche. Das reicht niemals. Bei der Steigung kann das mit den 7
Kilometern auch durchaus eine Stunde dauern. Egal, kurbeln und
hoffen, muss ich halt schneller fahren, und bevor ich durstig werde
oben sein.
Zunächst geht es wirklich erstaunlich
gut. Die Steigung ist beeindruckend, aber noch nicht brutal. Auch
nicht ganz so konstant wie erwartet. Die Gletscherstraße in Soelden,
hinauf zum Rettenbachferner scheint mir da heftiger zu sein.
Allerdings wird es immer wieder sehr
steil, deutlich steiler als 13%. Aber irgendwie kriege ich es ganz
gut hin. Das 6 Kilometer Schild kommt noch recht schnell, das 5
Kilometer Schild lässt auf sich warten, aber geht noch. Die Sonne
knallt jetzt doch etwas, dann gibt es aber eine etwas kühlere
Passage durch den Wald.
Ich weiß nicht ob es an der Uhrzeit
liegt, aber es ist kaum Verkehr. Sehr gut. An der Mautstation war für
uns die Schranke natürlich sowieso offen.
Es kommen tatsächlich auch mal
Abschnitte die etwas flacher sind, aber nicht wirklich lange, aber
hochschalten tue ich trotzdem. Wenn ich im Steilen fahre trete ich so
300 bis 320 Watt, die Trittfrequenz sinkt aber öfter deutlich unter
70. In den sausteilen Abschnitten schaffe ich es nicht auf den
Radcomputer zu schauen.
Die 4 Kilometer Marke ist passiert, und
ich habe noch genau einen halben Schluck Wasser. Und ich habe Durst.
Weiterkurbeln!
Ein Fahrer der unten so 50 Meter hinter
mir war hat mich eingeholt, ich habe zwei oder drei überholen
können, und ein paar Fahrer kann ich vor mir sehen. Allerdings nehme
ich die nicht als Ziel, es ist mehr so, das jeder einfach kämpft so
gut er kann um überhaupt ordentlich hochzukommen.
Als ich aber Joerns weiß blaues
Pasculli ein zwei Kehren über mir leuchten sehe, spornt mich das
doch nochmal etwas an. Aber ich fürchte mich auch vor den noch
steileren Stücken, die ja ziemlich oben erst kommen.
Noch weniger als 3 Kilometer, ich sauge
an der leeren Flasche um noch einen Hauch Feuchtigkeit rauszuziehen.
Mehr ein psychologischer Effekt als tatsächlich Aufnahme von
Flüssigkeit. Aber die Beine bringen noch ihre Leistung. Die paar
hundert Meter werde ich wohl auch ohne Wasser schaffen. Bilder von
frisch geschnittenen Melonen und Orangen stehen vor meinem geistigen
Auge.
Jetzt wird es richtig hart, ein Schild
erzählt was von 17,9% Steigung, ich will's gar nicht wissen. Joern
habe ich eingeholt, den Fahrer der mich überholt habe ich auch
wieder, so langsam glaube ich, dass ich das Ding gut schaffen kann.
Noch gut 1 Kilometer, ein paar
Fußgänger feuern an, tut gut, irgendwas bös steiles ist da noch,
Wiegetritt, irgendwie hochgestampft, nur noch wenige Serpentinen, ich
kann die führende Frau sehen, einmal möchte ich die doch schlagen,
auch wenn die wirklich saustark fährt. Ich komme sogar etwas näher,
aber nur noch zwei Serpentinen, gleich ist es tatsächlich geschafft,
ich kann den Zielbogen sehen, in der letzten Kehre steht ein
Rennradfahrer und feuert an „noch 300 Meter“, die Beine gehen
immer noch, vom Ziel gibt es Anfeuerung, ich haue nochmal richtig
rein, die Caroline kriege ich nicht mehr, aber ich bin im Ziel, was für ein saugutes
Gefühl, nach dem Desaster letztes Jahr so gut hier hochgekommen zu
sein.
Im Ziel klatscht mich Tom ab, „die
Rechnung beglichen“, und er hat sowas von Recht, auch wenn ich
während des Anstiegs nicht daran gedacht habe. Dem verdammten
Kitzbüheler Horn habe ich es gegeben.
Nach ein paar Minuten, und frischen
Melonen und Orangen komme ich wieder etwas runter. Total zufrieden
genieße ich die Stimmung im Zielbereich, jeder Ankömmling wird mit
Beifall empfangen. Man tauscht sich aus über den Verlauf der Etappe
und freut sich zusammen, dass man das Kitzbüheler Horn bezwungen
hat. Geil.
Ich gönne mir im Alpenhaus erst mal
eine Knödelsuppe und später auch noch einen Germknödel. Es dauert
etwas bis die Klamotten wieder trocken sind, aber nachdem es kurz
nach Zieleinfahrt etwas kühl wurde scheint auch immer wieder die
Sonne, so dass ich zur Abfahrt zum Shuttlebus wieder trocken bin. Und einen Moment genieße ich natürlich auch die schöne Aussicht.
Bei der Abfahrt verbrauche ich gefühlt
einen Satz Bremsbeläge, aber das ist mir jetzt auch wurscht. Der Tag
war einfach super. Die für mich sehr gute Etappenplatzierung hing
natürlich mit den Ampelschaltungen zusammen, sonst hätte ich
niemals die Spitzengruppe gehalten. Aber am Kitzbüheler Horn lief es
auch richtig gut und noch fühlen sich die Beine super an.
Allerdings kann ich mir vorstellen,
dass sich das morgen bei der sehr langen Etappe mit drei Anstiegen,
zwei davon recht ordentlich, ändern könnte...
Hi Guido,
AntwortenLöschenes ist kaum fassbar, je länger die Qual, desto tougher der Guido! Heute noch mal 2 Plätze gut gemacht und über eine Stunde Vorsprung auf Platz 25.
Toi toi toi für die Königsetappe morgen!
LG Belle und Jörg
Danke für eure Unterstützung, morgen wird sicher ein harter Tag, ich werde versuchen es trotzdem zu genießen...
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