Samstag, 7. Juli 2012

Peakbreak 2012 - 1. Etappe

Ich werde recht früh wach und bin lange vor dem Start fertig. So fahre ich mich noch etwas ein, lege mich nochmal an der Rezeption des CampRoyalX etwas hin, fahre mich nochmal ein und dann geht es endlich in die Startaufstellung.

Hier sind wirklich hauptsächlich Kletterer am Start. Lässig wirft man seine "1:42 h" vom Glocknerkönig hin um eine "1:30 h, bin dieses Jahr schlecht gefahren" zurückzukriegen. Auch vom Material her ist hier Klettermaterial angesagt. Selten habe ich soviele Lightweight Laufräder gesehen, und ich bin bei weitem nicht der einzige mit einem 32er Riesenritzel oder ähnlicher Konstruktion.

Auch sehen die meisten hier ziemlich leicht, um nicht zu sagen ausgezehrt aus, dabei natürlich mit sehnig muskulösen Beinen. Irgendwie hoffe ich gerade nur noch nicht letzter zu werden. Denn wer sich beim Peakbreak anmeldet weiß was er tut, außer mir eben... (ich weiß es eigentlich auch, kann aber gut verdrängen)

Dann endlich um 9 Uhr geht es los. Die ersten Kilometer sind neutralisiert, d.h. es wird hinter dem Auto der Rennleitung hergefahren und erst nach einigen Kilometern wird von diesem der Start freigegeben.

Das Fahren hinter dem Führungsfahrzeug erfordert schon hohe Konzentration. Ich will nicht zu weit hinten fahren, um nicht gleich den Anschluss zu verlieren wenn es losgeht, andererseits wird es vorne auch mal eng. Insgesamt ist das neutralisierte Starten aber super, da nicht gleich alle mit 500 Watt losschießen, sondern man erst mal einrollen kann.

Dann nach ca. 10 Kilometern wird der Start freigegeben. Sofort ziehen vorne die an, und das Racing geht los. Obwohl dies erst der Anfang einer Etappe ist, die nach drei Bergen auf dem Monte Zoncolan endet und das erst die erste von acht schweren Etappen ist, geht es gleich genauso los wie bei Rund um den Finanzplatz. Radrennen eben. Irgendwie geil.

Ich versuche einfach nur irgendwie vorne dranzubleiben, und offensichtlich ist das die Taktik von den meisten, denn an der Spitze bleibt eine sehr große Gruppe zusammen. Immer wieder ziehen die vorne mal an, so dass kleine Lücken entstehen die man wieder zufahren muss. So spart man einerseits viel Kraft im Windschatten der Gruppe, und muss andererseits immer wieder heftige Intervalle einstreuen um dranzubleiben.

Selbst bei Kilometer dreißig bin ich noch in dieser Gruppe dabei, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich bin schon etwas nervös, denn noch immer stecken mir die 720 Kilometer vom Schweizer Radmarathon letztes Wochenende in den Knochen. Ich will diese erste Etappe einfach nur überleben und nicht letzter werden.

Der Monte Zoncolan ist nicht gerade ein Berg den ich freiwillig fahren würde, denn Steigungen über 20% kann ich auch mit meinem 32er Ritzel nicht mehr wegschalten. Zum Vergleich: Alberto Contador ist letztes Jahr beim Giro den Zoncolan mit 32er Ritzel gefahren. und der tritt lässig die doppelte Leistung an der IAS wie ich.

Aber zunächst mal geht es darum dranzubleiben. An einer sanften Steigung habe ich echte Probleme, ich überlege schon abreißen zu lassen, sehe aber dass es danach wieder flacher wird, so kämpfe ich mich über den leichten Anstieg und wieder an die Gruppe dran.

Wir fliegen dahin, vorne die machen wirklich gute Arbeit, ich weiß zwar nicht warum, aber ich profitiere ja gerade davon, also danke! Bis jetzt bin ich kaum im Wind gefahren, höchstens mal um eine Lücke zuzufahren, dabei geht es aber heftig in den roten Bereich.

Das Tempo liegt auf der Geraden und selbst wenn es ganz leicht berghoch geht bei deutlich über vierzig, oft geht es ziemlich auf die fünfzig zu, es geht aber auch teils leicht bergab. Selbst bei Kilometer 50 bin ich noch ziemlich vorne, das Begleitfahrzeug der Spitzengruppe immer im Blick.

Vorne versucht mal einer wegzukommen, lässt es dann aber wieder, dann versuchen es zwei, kehren aber auch wieder in die, recht große, Gruppe zurück.

Dann geht es links ab in den ersten richtigen Anstieg des Tages. Obwohl die Beine bis jetzt gut gehen ist mein Kopf noch unsicher ob ich heute durchkomme.

Im Anstieg zum Gailbergsattel zieht es sich sofort auseinander, ganz vorne die fahren ein super Tempo, ich fürchte erst komplett wegzuplatzen, komme dann aber in einen ganz guten Rhythmus und werde nicht wie befürchtet nach hinten durchgereicht.

Um mich herum fahren so vier fünf andere Fahrer, wir sind ähnlich schnell, mal ist der eine etwas schneller, mal der andere, so überholen wir uns immer wieder gegenseitig. Eine gute Motivation andere Fahrer vor sich zu haben.

Der Verkehr ist recht stark, aber alles gut im grünen Bereich. Ich gewinne etwas Vertrauen in meine Beine, und trete meist so um die 280, 290 Watt. Vielleicht zuviel, aber schonen für den Zoncolan geht ja eh nicht, lieber im Rhythmus fahren.

Der Anstieg ist eigentlich nirgends böse, und letztlich auch relativ schnell überwunden. Oben habe ich nochmal etwas angezogen, bin auf einen anderen Fahrer aufgefahren und hänge an seinem Hinterrad, als die erste Labstation kommt. Es gibt Kuchen und Getränke, ich fahre aber vorbei, denn weder habe ich Hunger, noch brauche ich frische Flaschen.

So fahre ich erst mal alleine bergab, als von hinten ein weiterer Fahrer kommt, vorbeizieht, mich dann aber an sein Hinterrad winkt. So geißeln wir zusammen bergab bis wir von einem etwas nervigen Wohnwagen aufgehalten werden. Der Fahrer lässt uns nicht vorbei, aber in einer Serpentine bietet sich doch Gelegenheit zum Überholen.

Wir fahren noch eine ganze Weile zusammen, bis in den nächsten Anstieg zum Plöckenpass. Auch den kenne ich noch nicht. Zunächst steigt der eher moderat. Jedenfalls aus der Sicht eines Peakbreakers...

Der andere Fahrer ist etwas stärker und entschwindet Zentimeter um Zentimeter. Mein Kopf traut sich nicht so recht, irgendwie fühle ich mich schwach. Da beschließe ich, mich auf meine Beine zu verlassen. Die haben doch letztes Wochenende in der Schweiz so wunderbar funktioniert. Und siehe da, die Beine arbeiten auch diesmal ohne zu murren. So gewinne ich im Berg immer mehr an Selbstvertrauen und versuche tapfer durchzuziehen.

Recht schnell geht es dann auch wieder bergab, jedenfalls schneller als erwartet. War denn da eine Zwischenabfahrt? Ich weiß nicht mehr genau, habe aber auch keine Konzentration um ins Roadbook zu schauen. Nach meinem Navigationsdesaster beim Schweizer Radmarathon habe ich eine Roadbookallergie entwickelt. Da immer wieder mal ein Radfahrer zu sehen ist, brauche ich mir hier keine Gedanken um die Navigation zu machen.

Die Straße in der Abfahrt ist zunächst schlecht, aber die angekündigte gefährliche Abfahrt ist das nicht. Schnell weiß ich warum, der Pass ist noch längst nicht zu Ende, denn jetzt geht es wieder berghoch. Und zwar steil berghoch.

Wir fahren durch eine Galerie und dort ist die Steigung deutlich im zweistelligen Prozentbereich. Und selten habe ich das "steil berghoch" so offensichtlich, bildlich vor mir gehabt. In der Gallerie, nicht abgelenkt von der alpinen Landschaft, sondern nur mit grauem Beton als Hintergrund sieht die lange Steigung elend steil aus.

Ein Fahrer ist hinter mir und versucht näher zu kommen, ich bin also wohl seine "Motivationshilfe". Zwei sind vor mir, aber ähnlich schnell, die nehme ich mir vor. Es dauert aber ewig, erst in der letzten Gallerie, die nicht zu enden scheint und nach jeder leichten Biegung genauso steil weiter nach oben geht, überhole ich einen Faher und nachdem ich einfach darauf hoffe, dass es jetzt endlich vorbei ist kommt dann tatsächlich auch die angekündigte Tunnelumfahrung. Genau dort hole ich den anderen Fahrer. Wir kommen kurz ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass er mein Fahrrad erkannt hat, da ich beim diesjährigen Glocknerkönig am Start direkt vor ihm gestanden habe.

Jetzt geht es aber wirklich in die Abfahrt. Die ist nicht ganz so gefährlich wie dargestellt. Allerdings gibt es mehrmals Tunnel mit direkt anschließender Serpentine. Gut, dass das in der Fahrerbesprechung gestern erwähnt wurde, denn damit rechnet man erst mal nicht. Ansonsten ist die Abfahrt super, vor allem kann ich jetzt ab und zu mal die sehr schöne Landschaft genießen. Die Abfahrt läuft super, auch wenn zwei weitere Fahrer etwas näher rankommen. Zwei weitere sammeln wir (mittlerweile zu dritt) noch ein. So kommt es das eine Fünfergruppe entsteht, die auch richtig gut läuft.

Kein Vergleich mit dem Schweizer Radmarathon, als die Fünfergruppe vor Sargans einfach nicht laufen wollte, obwohl ich viel Körner eingesetzt habe. Hier merkt man gleich das etwas andere Publikum. Eben Rennfahrer, keine Randoneure (nix gegen Randoneure).

So geißeln wir mit hohem Tempo auch in den flacheren Teilen der Abfahrt. Ich beteilige mich voll an der Führungsarbeit, obwohl ich das eigentlich vermeiden wollte, aber irgendwie bin ich einfach kein Hinterradlutscher. In meinem Hinterkopf ist sehr wohl der Monte Zoncolan und mein nicht regenerierter Zustand, aber bis jetzt fühle ich mich wohl.

Wieder an der Führung merke ich aber, dass der Akku leer wird, ich fahre noch ein paar hundert Meter weiter im Wind, hier hätte ich auf jeden Fall früher abgeben müssen. Denn als ich wieder nach hinten gehen will muss ich abreißen lassen.

Aber da kommt auch schon der Abzweig zum Zoncolan. Diese Gruppe hat es echt gebracht, aber die letzte Führung wird mir jetzt weh tun im Anstieg, das ist klar. Die anderen sind so zwei, dreihundert Meter vor mir. Jetzt werden mir die Getränke knapp da ich ja die Labstation ausgelassen hatte.

Aber zu meiner Freude kündigt ein Schild die nächste Aidstation, wie die beim Peakbreak heißen, in 50 Metern an. Dort esse ich erst mal zwei Stück Melone und ein Stück Banane und nehme eine Flasche Iso. Die Hitze ist mittlerweile fast schon so groß wie letztes Wochenende in der Schweiz. Die Temperaturtafel am Fuße des Anstiegs zeigt 31° C, mein Radcomputer knapp 29° C, die Sonne knallt.

Ich versuche die anderen wieder zu erreichen, einige sind ja auch an der Labstation stehen geblieben, aber der Monte Zoncolan ist unten zwar ein "normaler" Pass, aber auch schon mit Steigungen im zweistelligen Prozentbereich, also eigenen Rhythmus fahren und gut ist.

Vor dem steilen, wohl vier Kilometer langen, Schlussstück habe ich allergrößten Respekt. Ich wünsche mir gerade Jürgens langes Mountainbike Schaltwerk und das 36er Ritzel. Aber vielleicht wird es ja auch gar nicht so schlimm.

Die Beine sind noch ok, aber ich merke das recht hohe Tempo bis hierher schon deutlich. Die Sonne brennt, Schatten gibt es kaum. Ich trinke sehr viel, das könnte sogar nochmal knapp werden mit der Flüssigkeitsversorgung. Durch die schnelle Gruppe hatte ich auch keine Zeit zum Essen in der Abfahrt vom Plöckenpass. So esse ich jetzt noch einen halben Riegel und nehme mir vor gleich noch ein Gel reinzuquetschen.

Das Ding zieht sich ohne Ende, mein Garmin Edge 800 zeigt 101 Kilometer, bei einer Etappenlänge von 109 heißt das noch 8 Kilometer. Ich versuche runterzuzählen, aber es passiert nichts auf der Anzeige. Ewig dauert es bis es 102 sind. Und noch eine Ewigkeit bis 103. Dort scheint das Ding zu verharren. Mittlerweile sind immer mal recht steile Passagen dazwischen. In den Serpentinen flacht es etwas ab, aber nicht so schön wie z.B. am Glockner.

So einen Pass zu fahren ist schon anstrengend genug, aber so ein Ding zu fahren mit 100 Kilometern im Renntempo und zwei Anstiegen in den Beinen, wobei der Plöckenpass schon ganz ordentlich steil ist oben, das ist nochmal was anderes.

Dann endlich die 104, noch fünftausend Meter. Jetzt müssten bald die richtig steilen Abschnitte kommen. Ich fahre schon lange auf dem 32er, zwischendurch geht es mal besser, dann mal weniger gut, d.h. 280 Watt oder eben nur 220.

Ich schließe sogar zu einem vor mir fahrenden auf und lasse einen oder zwei hinter mir zurück. Noch weiter vorne ist ein Fahrer in einem gelben Trikot, den versuche ich zu erreichen, er ist aber ganz schön weit weg. Bei 106 Kilometern überholt er einen anderen Fahrer, und ich versuche das gleiche, komme auch ganz langsam ran, aber eben nur ganz langsam. Ich fahre wirklich am Limit, noch immer knallt die Sonne.

Es dauert einen Kilometer, in dem es steil berghoch geht, aber dann bin ich dran. Und es scheint gerade eine Spur flacher zu werden. "Noch zwei Kilometer" sage ich zu ihm. Es scheint sich sogar schon die Passhöhe anzukündigen, aber von den super steilen Passagen auf den letzten vier Kilometern war bis jetzt noch nix zu sehen. Mir nur recht, ich bin auch mit den steilen Passagen bis hierher schon bedient.

Dann scheint sich die Passhöhe abzuzeichnen, es wird kurz flach, ein großer Parkplatz ist ausgeschildert. Und es kommt ein Pfeil nach links. Ich ahne böses. Noch einmal gibt es was zu trinken, kommt mir gerade recht. Aber was das Mädel an der Labstation sagt schockiert mich. "Noch 5 Kilometer".

Innerlich sacke ich zusammen, bitte bitte nicht. D.h. mein Garmin zeigt, vielleicht wegen den Gallerien ohne GPS Empfang etwas zu viel Strecke an. Aber was viel schlimmer ist, das fiese Schlussstück mit den extremen Steigungen kommt tatsächlich noch.

Ich will nicht! Ich teile es dem andern Fahrer, offensichtlich ein Holländer, mit, dass ich mich mit der Kilometerangabe vertan habe. Er fühlt genau das gleiche wie ich, das kann doch nicht wahr sein.

Es geht mittlerweile sehr steil bergauf. Selbst im Wiegetritt mit 34-32 muss ich alles geben. Kann man nicht beschreiben. Aber dann kommt das wirklich böse. Ja jetzt kann ich mich wieder an diese kranken Steigungen in Südengland und an den English Borders erinnern. An das „Loch“ in Lynmouth, das man nur über eine 25% Steigung verlassen kann.

Genauso ist es hier. Aber noch härter, die Steigungen auf den letzten Kilometern sind elend. Die Trittfrequenz, wenn man das Gedrücke so nennen mag liegt um 45! Bei einer Übersetzung von 34-32 und ich gebe alles was noch geht. Tritt man im Sitzen muss man aufpassen, dass das Vorderrad nicht hochgeht, fährt man im Wiegetritt dreht das Hinterrad durch.

Beschreiben kann man diese elende Steilheit nicht, die Zahl 26% sagt gar nix. Und ich bin auch nicht gerade frisch. Brutale Quälerei, anders kann ich das nicht beschreiben. Ich überhole einen S-Works Venge - Fahrer, der schiebt. Ich versuche das zu vermeiden, bin aber ganz kurz davor. Irgendwie drücke ich diesen Teil hoch, bis die Steigung etwas abflacht, ich versuche zu fluchen oder zu schreien bringe aber nur gurgelnde Laute heraus.

Und dann wird es in der nächsten Kurve genauso steil. Ich könnte kotzen. Ich gurke mit letzter Kraft vor mich hin. In einer Kurve stehen zwei und verschnaufen, die versuche ich noch zu erreichen, was mir auch gelingt, aber da geht es genauso steil weiter, ich muss stehen bleiben.

Ich steige kurz ab, lege meinen Kopf auf den Sattel und schnaufe durch, meine Beine geben wirklich alles, aber jetzt müssen sie kurz nachladen. Ich trinke, ein Mädel das dort steht betreut zwei andere Fahrer und fährt zum Spaß diesen Abschnitt des Zoncolan. Die ist ganz besorgt um mich und fragt ob ich noch Wasser habe. Sehr nett. Ich frage sie wie sie dass zum Spaß fahren kann...

Der Kameramann steht auch in der Kurve, kommt auf mich zu und interviewt mich kurz. Ich sehe bestimmt elend aus. Hoffentlich kommt nicht ausgerechnet das im ORF oder auf ServusTV. Ich klicke ein und fahre weiter.

Nun ja, fahren ist falsch gesagt. Ich gurke weiter. Ein Kilometer am Zoncolan oben ist mindestens so hart wie 100 Kilometer beim Schweizer Radmarathon, jedenfalls kommt es mir gerade so vor. Ich weiß nicht mal ob der Mistberg jetzt noch brutaler wird, oder einfach genauso brutal bleibt wie er seit zwei Kilometern schon ist. Elende Plackerei, hat mit Radfahren auch optisch nichts zu tun. Obwohl es so heiß ist und mich bis zur Grenze anstrenge friere ich, komisch.

Dann höre ich schon den Zielsprecher, es kann maximal noch ein Kilometer sein, aber wie lange kann ein Kilometer am Monte Zoncolan sein? Unfassbar lang! Ich muss nochmal pausieren. Der Typ mit dem Venge, der eben geschoben hat überholt mich jetzt wieder. Ich setze mich einen Moment hin, das Mädel ist immer noch besorgt und fragt ob es mir gut geht. Ich muss grinsen. Denn ja, es geht mir relativ gut, meine Beine geben nur einfach nicht mehr her.

Nochmal trinken, wieder rauf aufs Fahrrad, der Typ mit dem Venge schiebt wieder. Ich versuche ihn zu erreichen. Dieser Berg ist so unfassbar brutal, ich schreie einfach um meine Emotionen irgendwie rauszuhauen. Vor mir kreuzt das Mädel hin und her, dabei immer lächelnd, ich weiß nicht ob mich das motiviert oder nicht, ich glaube mir ist gerade alles egal. Ich bin nicht viel schneller als der Typ der schiebt, aber ein bisschen. Er geht ziemlich in der Mitte, und ich gurke an ihm vorbei mit allerletzter Kraf, und rufe weg da, da ich nicht in der Lage bin an ihm vorbeizusteuern, er geht ein Stück zur Seite und schiebt mich ein paar Meter an, und es fühlt sich an als würde ich losschießen wie eine Rakete - für zweimeterfünfzig...

Der Sprecher, den man schon über die Lautsprecher hört, erzählt was von "die Hälfte ist im Ziel" und versucht motivierendes zu sagen, es sind auch nur noch ein paar hundert Meter und ich weiß, dass ich heute nicht letzter werde, aber diese paar hundert Meter sind elend. Ich weiß nicht wie ich die noch schaffen soll, aber ich will nicht nochmal stehen bleiben. Der S-Works Venge Fahrer ist wieder aufgestiegen und fährt, wenn man das so nennen will an mir vorbei.

Ich versuche daraus nochmal Motivation zu ziehen, die letzten Meter noch hochzugurken. Gerade scheinen mich die Kräfte wieder zu verlassen, da kommt von oben einer runter und gibt mir ein paar aufmunternde Worte. Noch hundert Meter. An jedem anderen Berg fliegt man dann. Hier überlebt man gerade noch so. Aber das verdammte Ziel kommt näher. Da sitzt ein Fotograf, ich weiß, ich sehe scheiße aus, völlig kaputt, aber ich habe nicht die Kraft zu lächeln oder auch nur irgendwie willentlich einen Gesichtsmuskel zu bewegen, aber verdammt nochmal ich bin oben.

Oben, oben. Durch. Was für ein Drecksberg. Jetzt bloß nicht vom Fahrrad steigen. Ich fahre ein paar mal auf dem Parkplatz im Kreis, bis ich wieder vernünftig atmen kann, mein Puls wieder etwas runterkommt, das Laktat und die H+ Ionen in meinen Beinen wieder ein nichtletales Level erreicht haben.

Dann lasse ich mich tatsächlich an so einem Monte Zoncolan Denkmal fotografieren, ich kann nicht erkennen was es ist, weil ich überhaupt nichts erkennen kann. Ich mache es nur weil zwei andere das auch machen, und ich denke, gut ein Foto.

Dann schnappe ich mir eine Flasche Wasser und setze mich einen Moment hin. Dabei zucken die Waden wie ein Froschschenkel unter Strom. Hm, lieber aufs Fahrrad, ausfahren. Also fahre ich wieder hinunter und Richtung Arta Terme, unserem heutigen Übernachtungsort. Der Wind ist teils heftig, denn ja klar Gegenwind hatten wir an manchen dieser brutalen Stellen im Anstieg auch noch. Jetzt fahre ich aber aus, mit so 180 bis 200 Watt, und dann noch mal eine kleine Steigung zum Hotel. Und es ist geschafft.

Duschen und dann geht es ins Städtchen. Um 15 Uhr in Italien was zu essen zu bekommen könnte schwierig werden, aber ich entdecke eine herrliche kleine Pasticeria, mit einem Cafe Latte wie ihn nur Italiener hinkriegen. Das ist ein Klischee, aber es wird jedesmal wieder bestätigt.

Auch wenn ich dort ganz entspannt  sitze und schreibe, das war brutal. Der Monte Zoncolan ist ein brutales Monster. Dagegen ist die Glocknerstraße geradezu eine Ebene...

Ich bin erstaunt, das ich nicht weiter hinten gelandet bin, aber ob ich diese acht Etappen überstehe, ich glaube ehrlich gesagt nicht. Aber selbstverständlich werde ich kämpfen so lange es geht. Die Hände sollten es durchstehen. Heute ging es jedenfalls.

Abends gibt es noch eine Fahrerbesprechung für morgen und Pastaparty. Dort gibt es allerdings nur Nudeln. Das ist echt grenzwertig. Ich esse zwei Teller, aber eigentlich bräuchte ich jetzt auch ein Steak und Salat und Gemüse. So übersteht man keine acht Etappen. Morgen werde ich mir ein Restaurant suchen oder vorher einkaufen. Aber einen Tag kann man das machen. Hoffe ich.

Mit 4:41:55,7 bin ich ca. 50 Minuten nach dem Führenden ins Ziel gekommen. Im Klassement liege ich damit auf Platz 54. Also nur wenig schlechter als die Hälfte, das geht ja noch. Jedenfalls erst mal durchgekommen.

Freitag, 6. Juli 2012

Peakbreak 2012

Noch keine Woche ist seit dem Schweizer Radmarathon vergangen, und schon sitze ich wieder am Milstädter See, denn morgen geht es los, mein erstes Etappenrennen. Und gleich ein richtig heftiges.

Zwar war mir bei der Anmeldung klar, dass Bern-Bodensee-Bern, Peakbreak und Kehlheim sehr dicht beieinander liegen. Aber so richtig einschätzen was der Körper nach 720 Kilometer Radfahren für eine Regenerationzeit braucht konnte ich natürlich nicht. Und außerdem wollte ich dieses Jahr unbedingt eine echte Ultradistanz, ein schweres Etappenrennen und ein 24 Stunden Rennen fahren.

Zunächst habe ich sogar übelegt das Peakbreak abzusagen, aber schließlich habe ich mich entschlossen erst mal mitzufahren und dann zu schauen wie weit ich komme. Richtige Erholungsetappen gibt es beim Peakbreak nicht wirklich. Am ersten Tag gibt es schon den Monte Zoncolan zum einfahren, und dann sieben weitere Tage Berge, Berge, Berge.

Eigentlich genauso wie ich es liebe. Heute habe ich dann eine Installationsfahrt am Milstädter See gemacht. Die ganze Woche hatte ich nur eine Rekomfahrt von 75 Minuten. Sonst keine Radkilometer. Die spannende Frage ist erst mal, reagiert mein Puls wieder "normal"? Und siehe da, er steigt wie erwartet mit der Belastung an, und kommt in der Erholungsphase auch schnell wieder runter. Das ist schon mal gut.

Die Sitzfläche meldet keine Probleme, die Beine fühlen sich erst mal normal an. Bei den Händen ist das so eine Sache. Die fühlen sich auf dem Rad erst mal besser an als so, aber mir ist auch klar, das ich nicht weiter für längere Zeit die Nerven abdrücken darf, ich will mir schließlich keine bleibenden Taubheitsgefühle einfangen. So fahre ich mit ständig wechselnder Griffhaltung, teils auch sehr ungewöhnliche Haltungen, Hauptsache nicht immer in der gleichen Position, vor allem nicht die Standardpositionen.



Meist fahre ich auf dem Radweg. An einer kleinen Steigung überholen mich zwei Rennradler auf der Straße. Nachdem ich eine Horde Elektroradler überholt habe ziehe ich etwas an, was die zwei als Kampfansage missinterpretieren. Allerdings weckt deren Reaktion sofort meinen Wettkampftrieb.

So ziehe ich weiter an, und einer der beiden lässt sofort reißen, der andere und ich fahren parallel, Kopf an Kopf auf Straße und Radweg die Steigung hoch. Ich trete bis 480 Watt (Kurbel getauscht, so dass die Werte wieder stimmen sollten), halte das eine Weile und gebe dann nach, obwohl die Beine gerne noch was drauflegen würden. Ein schönes "Erinnerungsintervall" für die Beine, um sie auf die heftige Belastung morgen vorzubereiten. Vor allem ging das recht locker, ich sollte morgen also nicht gleich komplett eingehen.

Dann kehre ich um und gönne mir noch einen Milchcafe am See. Coole Locations „Monte Christo“ und „Kap 4613“ sonniges Wetter, der Milchcafe ist gut, und so ein bisschen Wettkampfgeilheit für morgen habe ich auch schon wieder...



Die Registrierung im Rennbüro klappt ganz gut, dass man die Verpflegung für die ganze Woche jetzt schon bekommt und deshalb in dem einen Gepäckstück, das einem zur Verfügung steht selbst transportieren muss ist etwas ungeschickt. Ich habe nur drei kurze Radhosen / Trikots / Unterhemden für acht Etappen dabei, plus die normalen Klamotten und den ganzen Kram drumherum schon war das Ding voll. Hoffentlich gibt es in einer der Unterkünfte mit zwei Übernachtungen einen Wäscheservice.

Die Wettervorhersage ist „schwül warm mit Gewitterschauern“. Klingt vertraut. Auch auf der Installationsfahrt waren es eben 28 schwüle Grad Celsius. Gerade gewittert es. Zumindest stimmt die Vorhersage...

Um 19:30 gibt es eine Fahrerbesprechung und Nudelparty. Die erste Etappe wird ausführlich besprochen. Ich weiß nicht, ob es an der Beschreibung der letzten vier Kilometer des Monte Zoncolan liegt, aber meine linke Hand fängt an zu schmerzen, ich hoffe das geht bis morgen früh wieder weg.

Man beachte das gelbe Steile ganz rechts, die Bergankunft auf dem Zoncolan
Jetzt geht es früh ins Bett, ob ich schlafen kann, schaun mer mal, denn der östereichische Beitrag zum Eurovision Song Contest gibt gerade ein Livekonzert im Garten des Hotels...

Fazit Schweizer Radmarathon 2012

Auf dem Rad war mir völlig klar, Ultracycling ist nichts für mich. So lange alleine zu fahren, selten sieht man andere Radfahrer, von schnellem Dahinfliegen in Gruppen kann keine Rede sein, keine abgesperrten Straßen, das Navigieren und letztlich auch die epische Länge der Strecke, das alles macht mir eigentlich nicht so viel Spaß wie z.B. beim Glocknerkönig am Berg andere Fahrer zu überholen, oder bei Rund um dem Finanzplatz drei Stunden um irgendwelche Hinterräder und Gruppen zu kämpfen, oder gar einsam einen schönen Pass zu erklimmen.

Trotzdem hat das Ganze auch seine Reize. Die erwartete Grenzerfahrung war es allerdings nicht. Das lag wohl daran, dass ich meine Grenze noch nicht erreicht habe. 800 Kilometer wären auf jeden Fall drin gewesen, mehr geht wahrscheinlich auch irgendwie. Aber nach diesen 720 Kilometern nach kurzem Schlaf nochmal aufs Rad und noch über 4100 Kilometer dranhängen? No way! Nachdem ich jetzt den Schweizer Radmarathon auf der RAAM Quali Strecke gefahren bin, ahne ich was ein RAAM Fahrer leisten muss. Mein Kopf würde das nicht zulassen.

Die Beine haben extrem gut funktioniert, mein Cardiopulmonares System, war definitv nicht am Limit. Die Sitzfläche hat es gut überstanden, hatte aber auch genug und war froh im Ziel zu sein. Aber die Hände waren ein echtes Problem. Nicht das ich zu irgendeinem Zeitpunkt befürchtet habe aufgeben zu müssen, aber ab 250, 280 Kilometern haben die beständig geschmerzt. Nicht wie Zahnweh oder irgendwas schlimmes, aber doch unangenehm latent.

Ab Kilometer 600 hat der Kopf diese Beschwerden manchmal ausgeblendet, auch hier konnte ich ahnen, wie RAAM Fahrer diese Tortur überstehen. Zumal die ja meist unter Schlafentzug fahren.

Schlafentzug war auf der 720er Strecke allerdings kein Thema. Schon bei Trondheim-Oslo habe ich nicht die geringste Müdigkeit verspürt. Auch wenn die Events nicht vergleichbar sind und ich beim Schweizer Radmarathon fast doppelt so lange gefahren bin, so hat sich das aber bestätigt, eine Nacht durchfahren ist überhaupt kein Problem. Zu keinem Zeitpunkt habe ich besondere Müdigkeit verspürt. Auch wenn die Aufmerksamkeit und Motivation durch das Alleinefahren deutlich mehr gefordert wird.

Körperliche Erschöpfung habe ich allerdings schon gespürt. Vor allem die Abfahrt von Jassbach war sehr anstrengend, da der Gegenwind die erwartete leichte Abfahrt in eine mentale Herausforderung verwandelt hat. Auch die letzte Etappe war sehr sehr anstrengend, hier hatte ich eigentlich nochmal einen Motivationsschub erwartet, so kurz vor dem Ziel, der blieb aber irgendwie aus.

Überhaupt fühlt sich vieles anders an, als z.B. beim Ötzi, denn da man alleine losfährt, alleine auf der Strecke radelt und alleine ankommt, fühlt sich das ganz anders an als bei einem Start mit 4000 Teilnehmern, vielen Radlern und Supportern auf der Strecke, und einem Zieleinlauf mit jubelndem Publikum.

Ultracycling ist einfach ein anderer Sport. Ohne Begleitteam macht das eigentlich auch keinen rechten Sinn, denn sonst wird es eher so eine Ranndoneur Geschichte. Auch das hat natürlich seinen Reiz, und an der hohen Teilnehmerzahl auf der 600er Strecke kann man sehen, dass es viele Freunde dieser Art von Radfahrevents gibt. Da würde ich dann aber eine Radreise mit Reiserad vorziehen.

Aber wenn ich tatsächlich nochmal so ein Rennen bestreite, dann als RAAM Qualifier mit Begleitfahrzeug und Aerolenker. Prinzipiell habe ich die Qualizeit sicher in den Beinen. Mehr allerdings auch nicht. Eine Zeit unter 24 Stunden wie es fünf Fahrer gefahren sind finde ich schlicht sensationell.

Mit meinen 32:25:04 bin ich hochzufrieden. Das ursprüngliche Ziel von unter 26 Stunden war völlig unrealistisch, weil ich es von Trondheim - Oslo hochgerechnet habe. Das ist aber ein völlig anderes Rennen. Kann man nicht vergleichen mit dem Einzelzeitfahren einer nicht abgesperrten 720 Kilometer Strecke.

Das realistischere Ziel unter 30 Stunden wäre körperlich schon drin gewesen mit etwas mehr Erfahrung und ohne Navigationsfehler. Die gehören zwar beim Ultracycling durchaus dazu, aber ab Sargans war es bei mir schon extrem. Wie gesagt es wurde sogar ein Running Gag mit den Leuten die mich dadurch immer wieder überholt haben.

Die RAAM Qualizeit ginge sicher nur mit Team und Begleitfahrzeug, die halte ich auch für erreichbar. Aber das ist schon eine echte Herausforderung.

720 Kilometer an sich sind schon eine echte Herausforderung. Nach dem Rennen war ich zwar froh, dass es vorbei war, aber es ist jetzt auch nicht so ein Glücksgefühl durch mich geströmt wie beim ersten Glocknerkönig. Ich  war halt schlicht platt.

Am nächsten Tag auf der Heimfahrt, als gerade ein Gewitter auf der Autobahn niederging und der MP3 Player Desert Song von Michael Schenker Group gespielt hat, hatte ich so einen kurzen Moment eines großartigen Hochgefühls, so einen Moment wie man ihn nur nach großer, erfolgreicher Anstrengung hat. Diesen kurzen Moment wenn die schwere Aufgabe geschafft ist und die nächste noch nicht bevorsteht, so eine Oase in der Zeit, ohne Verplichtungen, mit der Bestätigung für das Selbst durch das erreichte Ziel. Aber schon zu Hause war ich wieder voll im Alltag. Einzig die etwas schweren Beine und die schmerzenden Hände haben mich an die für mich sicher außergewöhnliche Leistung erinnert.

Meine nächste schwere Aufgabe ist allerdings schon viel zu Nahe. Am Sonntag war ich mir sicher, dass ich das Peakbreak absagen muss, da ich einfach zu erschöpft bin. Jetzt drei Tage später will ich zwar hinfahren, mir ist aber klar, dass ich kaum durchkommen werde. Diese zwei Höhepunkte habe ich mir einfach zu dicht gesetzt. Die drei Wochen bis Kehlheim hätten gepasst, aber schon am Samstag in ein schweres Etappenrennen starten, eine Woche lange nur heftigste Berge, das wird ganz eng.

Im Nachhinein war es richtig in Fell beim 20 Stunden Rennen nach sechzehneinhalb Stunden aufzuhören obwohl noch weitere Runden möglich gewesen wären. Jedenfalls habe ich mich körperlich wirklich super gefühlt, über die ganzen 32,5 Stunden, auch die Knie haben sensationell durchgehalten ohne zu murren. Aber die Regenerationszeit bis zum Start des Peakbreak ist sicher zu kurz.

Den Versuch am Sonntag ein bisschen auszufahren habe ich nach 7 Minuten abgebrochen, ich konnte nicht sitzen und war immer noch platt. Am Dienstag bin ich immerhin 75 Minuten Rekom gefahren, der Puls war allerdings sehr niedrig und ist nicht recht hochgegangen. Auch ein Zeichen der immer noch vorhandenen Ermüdung.

Die Organisation des Events lief gut ab. Gerade wo das Orgateam gewechselt hat und zum ersten mal hauptverantwortlich die Veranstaltung durchgezogen hat.

Auch wenn ich mich oft verfahren habe, so war die Beschilderung bis auf zwei Ausnahmen doch ok, meistens lags an mir selbst. In Sargans allerdings war der Pfeil wirklich versteckt. Einige sind daran vorbeigerauscht. Ich habe es den Leuten dort vor Ort sogar gesagt, aber sie haben nix geändert, als ich losfuhr kam schon wieder einer fluchend entgegen.
Und auch auf der Etappe nach Jassbach war weder das Roadbook eindeutig, noch gab es den gewohnten Pfeil an der Kreuzung oben, bevor es den Berg hinunter ging auf die Hauptstraße.

Allerdings mussten die Organisatioren auch ca. 1000 Kilometer ausschildern, dafür war es wirlich gut, genauso wie das Roadbook.

Die Verpflegung an den Kontrollstationen war auch gut. Nicht dass ich normalerweise ein Hotdog essen würde, oder belegte Hamburgerbrötchen, aber es gab an jedem Checkpoint leicht unterschiedliches und meist habe ich was gefunden was mir geschmeckt hat, und ab 300 Kilometern ist es sowieso egal, Hauptsache essen. Besonders gut war Affoltern, dass ich mein Leben lang mit "Joguhrt mit Cornflakes" in Verbindung bringen werde.

Die Leute an den Kontrollstationen waren alle super nett, sehr umsorgend und herzlich. Das war echte Werbung für die Schweiz und die Schweizer!

Mit meinem Material bin ich wirklich sehr zufrieden, das Rad läuft wie's Lottchen, die Schaltung gewohnt zuverlässig. Elektrisch schalten ist gerade wenn man schon recht platt ist das beste was es gibt. Selbst mit dem Riegel in der einen Hand, der Trinkflasche in der anderen und berghoch kann man noch irgendwie an den Taster kommen und runterschalten.
Die Laufräder habe ich wohl bis jetzt unterschätzt. Vielleicht sind die aber für das Gefühl immer Rückenwind zu haben verantwortlich, in der Ebene laufen die jedenfalls richtig, richtig gut. Berghoch sowieso. Bremsen ist auch ok, das hatte ich ja schon in Fell festgestellt bei den 20 Stunden. Etwas seitenwindanfällig wird das Rad dadurch, was aber bei so einem hohen Profil logisch ist.
Der Sattel ist wirklich super, wenn man auf dem Ding 32einhalb Stunden am Stück sitzen kann, gibt es keinen anderen logischen Schluss.

Das spricht natürlich auch für die Sitzcreme. Hier habe ich ja eigentlich eine Handcreme zweckentfremdet. Aber das Zeug ist einfach sensationell. Der Tipp kam von einem Hautarzt. Im Training benutze ich die Sixtus Gesäßcreme, aber für lange Strecken immer die Hans Karrer Handrepair microsilver.

Die Anmeldung für 2013 ist schon offen. 95 RAAM Qualifier werden zugelassen. Noch sind 92 Plätze frei...



Dienstag, 3. Juli 2012

Statistik Schweizer Radmarathon 2012

Kilometer: 749 km (720er Strecke mit offizell 715 km, die Differenz sind Navigationsfehler mit Zurückfahren)
Höhenmeter: 5230 (720er Strecke mit offizell 4985 HM, die Differenz sind Navigationsfehler mit Zurückfahren)
Zeit:  32:25:04 h
Reine Fahrzeit: 27:44 h

Durchschnittliche Temperatur: 25°C (maximal Temperatur auf dem Fahrrad 41°C)

Durchschnittliche Leistung an der Kurbel (SRM):  unbekannt, da SRM Powermeter defekt
Durchschnittliche Trittfrequenz: unbekannt, da SRM Powermeter defekt
Durchschnittliche Herzfrequenz: 125 bpm
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 23,08 km/h
Durchschnittliche Geschwindigkeit auf offizielle 720 km: 22,22 km/h
Durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit: 27,07 km/h
Durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit auf offizielle 720 km: 25,9 km/h


720er Strecke Marathon Reglement 14 Starter, 7 Finisher
Vorsprung auf den zweitschnellsten Marathonfahrer: 1:21:19
Rückstand auf die schnellste Marathonfahrerin: 03:22:18

720er RAAM Qualifikanten und Veteranen 75 Starter, 28 Finisher
Rückstand auf den schnellsten RAAM Qualifikanten: 09:17:52

Fahrrad:
Rahmen: Specialized S-Works Roubaix SL3 2011
Laufräder: Lightweight Standard III C
Schaltung: Shimano Dura Ace 7970 Di2 mit
SRM - Dura Ace 7900 Kompakt 34/50 vorne, SRAM (MTB) XX Kassette 11-32 hinten
Bremsen und Kette: Shimano Dura Ace 7900
Pedale: Shimano Dura Ace SPD-SL
Lenker: Syntace Racelite 2 CDR Carbon
Sattel: Selle SMP Avant auf Syntace P6 Hiflex
Radcomputer: SRM Powercontrol 7 und Garmin Edge 800
Beleuchtung vorne: Lupine Piko 6 mit 5,6 Ah Smartcore Akku
Beleuchtung hinten: BuM IXback senso

Gewicht Fahrrad: ca.10,9 kg inkl. Trinkflaschen und Radcomputer und Triatasche mit Riegeln, Beleuchtung
Systemgewicht inkl. Fahrer (79,1 kg + 2,65 kg Kleidung, 3. Flasche, mehr Riegel) ca. 94,45 kg

Kleidung:
Helm: Bell Volt
Brille: addidas Halfrim
Unterhemd: Odlo mit Windstopper
Trikot: Gore Ozon WS
Hose: Gore Oxygen (ab Sargans Löffler kurz)
Schuhe / Strümpfe: Sidi Scarpe Genius 5 / Gore Socken
Handschuhe: Roeckl kurz (ab Sargans Vaude)

Ernährung (teils geschätzt):
Riegel und Gel:
2 Sponser High Energy
1 Sponser Protein 34
1 Gel Sponser Liquid Energy
3 Gel Sponser Liquid Energy long
1 Sponser Carnitin Bar
2 grüne irgendwas Riegel, ähnlich wie Sponser Energx Plus
3 Packungen Ensure Plus
Getränke:
2 L Sponser Long Energy
6 Liter Wasser
8 L Sponser Competition
3 L Sponser Isotonic
1 L Isostar
2 Tassen Pfefferminztee
Feste Nahrung:
2 Tassen Bouillon
3 Bananen
2 Hot Dogs
3 St. Kuchen
1 Laugenbrezel
6 belegte Brötchen
3 Becher Joguhrt mit Cornflakes
2 Streifen Emmentaler mit Brot
2 trockene Brote
1 halbe Portion Spaghetti Bolognese

Sonstiges:
Sitzcreme: Hans Karrer Hand repair microsilber
Sonnencreme: Nivea SF50

Schweizer Radmarathon 720 km 2012, das Rennen

Nachdem ich am Donnerstag noch die Öffnungszeiten der Kontrollstationen (KS) studiert hatte, gehe ich freitagmorgen etwas später zum Start als ursprünglich geplant. Schließlich will ich nicht mit einer schnellen Gruppe dahinschießen und dann bis zur Öffnung der ersten KS warten müssen...

So gehe ich nach gemütlichem und sehr gutem Frühstück um kurz vor halb acht an den Start. Da ja innerhalb eines Zeitfensters jeder starten kann wann er will, hatte ich jetzt keinen großen Menschenauflauf erwartet, aber dass ich ganz alleine starte überrascht mich doch.

Na das wird schon. Startnummer angeben, und los geht's, die Zeit läuft. Daran, dass ich jetzt 720 Kilometer abolvieren soll denke ich in dem Moment nicht wirklich, ich freue mich über das gute Wetter und aufs Radfahren.


Hoffentlich klappt das mit der Navigation. Die Beschilderung soll ja eher schlicht sein, aber das erste habe ich schon mal gefunden und so biege ich korrekt links ab. Die Schilder sind doch groß genug und deutlich zu sehen.

Da ich alleine fahre fühlt es sich erst mal nicht wie ein Rennen an. An der ersten kleinen Steigung in Richtung Sand will ich die Leistung über das Wattmeter dosieren, als ich feststellen muss, dass ich gerade 869 Watt trete! Hä? Gefühlt sind es nur 200, was ist denn da gerade los?


Das (neue) SRM Powermeter hatte ja schon beim Glocknerkönig nicht ganz plausible Werte angezeigt. In Fell schien die Abweichung nicht sehr groß zu sein. Deshalb hatte ich einen Kalibrierungsfehler vermutet. Den kann man nach der Kalibrierung in den aufgezeichneten Dateien korrigieren, deshalb habe ich die Kurbel am Rad gelassen, denn die alte Kurbel hat eine andere Kurbellänge und das Schaltverhalten ist eine Spur schlechter. Aber das hier ist doch kein Kalibrierungsfehler?

Dann merke ich, dass die Trittfrequenz so um 245 liegt laut Powermeter. Also halte ich an um den Trittfrequenzmagneten zu überprüfen, aber der ist korrekt montiert, der Abstand wie vorgeschrieben, alles perfekt. Das heißt also nach vier Kilometern verabschiedet sich die Wattmessung. Ich werde von diesem Event, dass ich wohl nur einmal im Leben mache keinerlei Leistungsdaten haben. Danke SRM, nicht mal eine fabrikneue Kurbel funktioniert, und das Teil kostet 3213,- Euro! Ich würde am liebsten sofort nach Jülich fahren und denen das Ding auf den Tisch knallen.

Stocksauer fahre ich weiter, in Gedanken schreibe ich einen wütenden Brief an SRM und bestelle die Quark Leistungsmesskurbel von SRAM. Ich darf mich jetzt nicht runterziehen lassen, was solls, was interessieren mich die Fehler der anderen, fahre ich halt nach Puls. Auch wenn ich weiß, dass der auf solche Distanzen nicht wirklich als Orientierung hilft. Ich fahre also rein nach Gefühl, das ja gerade durch die Leistungsmessung gut geschult ist.

Die Strecke führt zunächst quasi parallel zur Autobahn in Richtung Basel. Der Verkehr geht noch, aber schon nach 14 Kilometern, am ersten Bahnübergang, stehe ich vor verschlossener Schranke. Oje, das fäng ja gut an. Und ich habe mir doch tatsächlich Sorgen gemacht zu früh an der ersten KS zu sein...





Der Verkehr nimmt jetzt teils etwas zu, und ich fahre immer noch alleine. Es fühlt sich eigentlich an wie bei einer Radreise. Neue unbekannte Landschaft mit dem Fahrrad erkunden, nur die Sitzposition, die auf dem Reiserad ja mehr Wahrnehmen der Landschaft erlaubt, erinnert mich daran, dass ich einen Radmarathon bestreite.

Es gibt ja einige flache Passagen und ein Aerolenker wäre jetzt schon gut. Manchmal lege ich einfach die Arme so auf den Lenker, aber das gibt auf den Straßen mit Verkehr nicht genügend Stabilität, vor allem wenn ein LKW vorbeirauscht und der Sog einen erst mal in Richtung Fahrbahnmitte zieht.

So beschließe ich das komplett zu lassen, und auf eine 720 Kilometer Solofahrt habe ich mich mittlerweile auch eingestellt. Das wird also ganz anders als Trondheim - Oslo.

Gefühlt hat es immer leichten Rückenwind, meist geht es eher bergab oder herrlich geradeaus, die Lightweights laufen wie Sau, die Stimmung ist so gut wie das Wetter und der meist sehr wunderbar gepflegte Straßenbelag.



Nach so ca. 40 Kilometern geht es dann bergauf. Die Landschaft wird etwas idyllischer, da jetzt auch ein paar Berge sich andeuten. Nach knapp 58 Kilometern ist die erste KS in Langenbruck erreicht. Ich zeige nur meine Startnummer und fahre gleich weiter, Getränke habe ich noch, zu essen brauche ich nichts.


Jetzt geht es erst mal ordentlich bergab, und als es etwas abflacht treffe ich sogar auf ein paar weitere Teilnehmer. Ich schließe auf die Gruppe auf und fahre vorbei, zwei hängen sich an mich dran, und so fahren wir zu dritt. Ein Schweizer fährt dann sogar nach vorne. Wo es möglich ist sollen wir laut Reglement den Fahrradweg benutzen. Das ist zwar nicht so schön, da der meistens schlechter ist als die Straße, aber es gibt auch tolle sehr breite Radwege parallel zur Straße. Vor allem aber gibt es oft Radstreifen, die einzig sinnvolle Art der Verkehrsführung meiner Meinung nach.


Jedenfalls vermeide ich Radwege, die eben nicht parallel zur Straße laufen, denn die können ja wer weiß wohin führen und vielleicht verpassen wir dann ein Abzweigungsschild. Aber genau auf so einen Radweg führt uns der Schweizer und prompt fahren wir sinnlos 50 Höhenmeter einen Berg hoch und verpassen einen Abzweig, so dass wir etwas zurückfahren müssen.

Ich beschließe alleine weiterzufahren und setze mich in der kommenden Steigung etwas von den anderen beiden ab, wobei wir zunächst immer wieder aufeinandertreffen. Die Navigation hat bis dahin eigentlich super funktioniert, es gibt zwar wenig Pfeile (immer nur wenn man wirklich von der aktuellen Straße abbiegen muss), aber bis jetzt habe ich alle getroffen, außerdem kann man immer noch einen Blick ins Roadbook werfen um sich zu vergewissern ob man richtig ist.


Mittlerweile ist es sehr warm geworden. Die Sonne scheint, es ist leicht schwülwarm, das Thermometer im Radcomputer erreicht erstmals die 30° C Marke. Ich mache mir etwas sorgen wegen meinem Kopf. Denn da es ja leider Helmpflicht gibt und man nicht selbst das Sturzrisiko gegen das Sonnenstichrisiko abwägen darf, konnte ich nicht mit Mütze fahren und die Sonne knallt mir auf den Kopf, wo die teils doch schon recht lichten Haare viel zu viel Sonnenstrahlen durchlassen. Aber ich habe mir ja gegen jegliches ästhetisches Empfinden auch den Kopf mit LSF50 eingecremt, wird schon gutgehen...

Bis zur KS Koblenz ist es doch ein ganzes Stück, aber meist eher flach, der Wind kommt gefühlt von hinten, das Rad läuft, alles super. An der Verpflegungsstation angekommen befreie ich mich erst mal vom Helm und trinke einen Liter Sponser Competition und einen Liter Wasser, außerdem einen Bouillon. Zum Glück haben die einen Sonnenschirm aufgestellt. Der Empfang ist sehr herzlich, auch wenn ich Schwierigkeiten habe das Schwizerdütsch zu verstehen. Das angebotene Hot Dog lehne ich dankend ab. Die erwarteten Sponser Riegel gibt es zwar nicht, sondern so grüne Dinger, aber ich habe ja noch meine eigenen, bis jetzt habe ich gerade mal einen oder zwei gegessen, außerdem nehme ich mir noch zwei Sponsergels (ohne Koffein!).


Zur Toilette muss man ein paar Meter laufen, und siehe da die Beine sind noch gut, bis jetzt alles noch im grünen Bereich. Nachdem die Flaschen mit dem Competition und Wasser aufgefüllt sind geht es weiter in Richtung Ewattingen. Die Navigation funktioniert super. Ich hatte einen Blick ins Roadbook geworfen, jetzt geht es also hauptsächlich bergauf.

Kurz nach dem KS Koblenz geht es über die Grenze nach Deutschland. Und es dauert nicht lange, da geht es auch schon ganz ordentlich bergauf. Interessante Gegend, hier war ich noch nie. Immer mehr fühlt sich das Ganze bis hierher an wie eine Radreise. Auch das ich alleine fahre habe ich mittlerweile als gegeben akzeptiert. Innerlich bin ich darauf eingestellt, die 720 Kilometer wie ein RAAM Qualifikant als Einzelzeitfahren zu fahren, nur eben ohne Followcar und Begleitcrew.



Nachdem zunächst einige nicht so lange, aber sehr steile Stücke sich mit gemäßigterer Steigung abwechseln, so dass ich mich schon Frage ob die hier den Straßenbau bei den Engländern gelernt haben, kommt ein sehr langes Stück, das ziemlich konstant um 2% ansteigt. Ich glaube so ca. 20 Kilometer. Eine fantastische Trainingsstrecke. Hier könnte man wirklich alles trainieren, von GA1 ohne Rollen bis simulierte Berge mit großen Gängen, perfekter Trainingsberg!


Bin aber gerade nicht im Training, so frage ich mich zwischendurch ob ich überhaupt in der erlaubten maximalen Zeit ankommen werde? Ich weiß aber nicht mal genau wie lange ich denn brauchen darf um zu finishen, ich glaube Samstag abend um 22 Uhr muss ich spätestens im Ziel sein.

Zum Glück führt die Strecke etwas durch den Wald, so dass man auch mal ein bisschen Schatten hat. Außerdem fließt die Wutach parallel zur Straße, was ein schönes idyllisches Bild ergibt.

Die Sonne knallt, der Fahrradcomputer zeigt 33° C, das Sponser Competition fließt durch die Kehle und kommt gar nicht im Magen an, sondern diffundiert direkt wieder durch die Haut als Schweiß.

Zwischendurch überhole ich den einen oder anderen Radler, aber nur selten gehört auch einer zum Rennen. Dann zieht die Steigung nochmal etwas an und schließlich ist Ewattingen erreicht. allerdings muss man zur Kontrollstation erst ein Stück bergab und dann nochmal mit heftiger Steigung bergauf fahren. Ein Teilnehmer schiebt sogar dort hoch.

Aber dann ist die KS erreicht. Ich zeige meine Startnummer zur Registrierung und genieße den Schatten. Leider haben die gar keine Sponser Sachen sondern Isostar, das eher wie Limo wirkt, und Corny Riegel, die ja aus gepresstem Abfall hergestellt werden, nee danke. So mache ich mich über die belegten Brötchen her. Spaghetti gibt es auch, aber die lasse ich lieber weg. Dafür trinke ich Wasser ohne Ende und fülle meine Flaschen, Riegel habe ich noch immer und in Koblenz hatte ich mir noch Gels mitgenommen, das reicht bis zur nächsten KS.

Bis jetzt sind es 185 Kilometer alles noch super, Beine, Knie und Kopf, alles funktioniert gut. Bis auf kleine Zwischenanstiege geht es bis zur nächsten KS ja auch hauptsächlich bergab in Richtung Bodensee.

Von wegen. Nach kurzer Abfahrt auf einer Umleitung über eine sehr holprige Strecke, wo ich meine Hände ganz schön spüre geht es in den Anstieg hinauf nach Blumberg. Und hier haben mit Sicherheit englische Straßenbaupraktikanten ihre Finger im Spiel. 19% zeigt der Radcomputer. In der glühend heißen Mittagshitze kämpfe ich mich den Berg nach oben, also das hier ist keinesfalls nur Flachlandgeradel, und ich bin froh über mein 32er Ritzel.


Dann aber entspannt sich das Ganze wieder und die Strecke wird wieder flacher und führt durch idyllische Landschaften bei wenig Verkehr. Es geht zurück in die Schweiz und meist gibt es schöne Radstreifen, kurzum perfekte Bedingungen zum Radfahren.




Die Hitze ist allerdings brutal. Immer wieder verfluche ich die Sicherheitsfanatiker, die uns die Helmpflicht eingebrockt haben. Wie gesagt, man muss doch die Risiken sinnvoll abwägen und Helm bedeutet für Leute wie mich akute Sonnenbrandgefahr oder wahlweise, mit Helmuntermütze, drohenden Hitzschlag. Man produziert nun mal bei einem Wirkungsgrad von maximal 25% sehr viel Wärme beim Radfahren und wenn man stundenlang bei glühender Hitze fährt ist das Sturzrisiko, und vor allem das Risiko nicht nur zu stürzen, sondern auch noch blöd auf den Kopf zu fallen um Größenordnungen niedriger als sich durch die Hitze oder Sonnenstrahlung außer Gefecht zu setzen.

Der Gedanke beschäftigt mich sehr und bietet gute Ablenkung. Noch immer arbeiten die Beine gut, ich wechsle immer wieder mal in den Wiegetritt um die Sitzfläche zu entlasten. Die Hände fühlen sich etwas taub und kribbelig an, aber ich kann wenig dagegen tun. Zwar wechsle ich immer mal wieder die Griffposition, aber echte Entlastung über einen Aerolenker habe ich ja nicht. Aber alles ist noch im grünen Bereich.

Zwar trifft man auf der Strecke ab und zu einen Fahrer, aber niemand mit dem man zusammen arbeiten könnte, so fahre ich die komplette Strecke bis jetzt alleine. Mittlerweile will ich sogar alleine fahren, dann sehe ich auch wie es um meine Leistung im Verhältnis zu den RAAM Qualifikanten steht.

Auch an der KS Ramsen gibt es Schatten. Das angebotene Hotdog lehne ich diesmal nicht ab, und von den leckeren Küchlein haue ich auch gleich zwei weg. Außerdem trinke ich wie eine Kuh, Sponser Isotonic und Wasser so zwei, drei Liter. Außerdem mache ich die Flasche voll, nutze die saubere Toilettenanlage und sitze einen Moment auf einer Bierbank im Schatten. Dabei erzählt man mir, das vorhin einer der Teilnehmer tatsächlich eine Flasche Bier abgerissen hat. Bei der Hitze, heftig! Die KS ist an einem Sportplatz mit Schwimmbad. Bei diesem Wetter ist Schwimmen vielleicht der bessere Sport? Egal, ich mache mich auf, weiter in Richtung Frasnacht.

Jetzt geht es recht flach am Bodensee entlang. Manchmal mit nervigen Radwegen, aber meist mit Radstreifen oder Straße. Der Verkehr ist sehr dicht, so dass man auch mal zum stehen kommt. Aber das bin ich ja mittlerweile von etlichen Bahnübergängen gewohnt, denn wie von Murphy's Gesetz vorhergesagt ist die Schranke dort meist zu.




Mittlerweile bin ich deutlich über 200 Kilometer gefahren und die Hände tun mir weh. Komisch mit dem gleichen Material hatte ich bei Trondheim -Oslo über 500 Kilometer nicht den Hauch von irgendwelchen Beschwerden. Vielleicht liegt es daran, dass man hier öfter mal bremsen muss.

Am Bodensee entlang ist die Strecke sehr schön, aber oft sehne ich mich danach in einem der Cafés zu sitzen und lässig einen Milchcafe zu trinken. Dabei habe ich nicht mal die Hälfte der Strecke gefahren. Es fühlt sich so an als hätten die anderen alle frei und ich wäre auf dem Weg zur Arbeit, einer schweren körperlichen Arbeit. Ich stelle mir, um den Gedanken zu vertreiben, vor wie ich von der Nachtschicht nach hause komme und weiß, dass ich jetzt gemütlich frühstücke und dann ins Bett gehe, während alle anderen Arbeiten müssen. Aber auch diese Gedanken werden immer wieder überlagert von den landschaftlichen Eindrücken, vom hohen Verkehrsaufkommen und von meinem Gedanken an die nächste KS Frasnacht.

Ich denke nur bis zur nächsten KS und hoffe, dass es endlich abend wird, die Sonne untergeht und die Hitze aufhört. Mittlerweile ist es 20 Uhr abends und noch immer zeigt der Radcomputer über 30° C. Hier am Bodensee hält sich die Wärme wohl besonders lang.

Besonders lang kommt mir auch das Ufer des Bodensees vor, aber dann ist doch die KS Frasnacht erreicht. Mittlerweile ist es Routine, Toilette, Flaschen auffüllen, trinken wie eine Kuh, essen was reingeht. Ein paar Riegel und ein Gel packe ich noch ein.

In Frasnacht treffe ich auch auf zwei Rennradler die ich 2010 beim Radsportcamp in Sölden kennengelernt hatte. Die fahren los als ich noch am Essen bin und wir machen Witze, dass ich sie eh wieder einholen werde, da ja mein Lightweights das schon für mich richten werden.

Bei jedem anderen Event wäre ich jetzt aufgesprungen und hätte mich drangehängt, aber hier das ist mittlerweile kein Rennen oder klassischer Marathon, sondern eine Fahrt allein und "ehrlich" gegen die Uhr und die Strecke, alles andere ist egal. Ich will finishen und habe nicht den geringsten Zweifel das zu tun, einzige Frage ist ob es in der erforderlichen Zeit klappt.

So mache ich mich auf die "Verfolgung" der beiden. Es geht noch länger am Bodensee entlang als ich gedacht hatte, und zu allem Überfluss geht mal wieder eine Schranke zu, genau in dem Moment als ich ranfahre. Ich überlege kurz trotz blinkenden Lichts noch rüberzufahren, aber mache es natürlich nicht. Aber laut fluchen muss ich schon mal, gerade lief es so schön und schon wird der Rhythmus wieder unterbrochen. Die Frau neben mir mit dem Cityrad schaut mich etwas misstrauisch an, zieht dann aber los, als die Schranke aufgeht, wie Ulle persönlich, so dass sie mir auf den ersten Metern drei Fahrradlängen abnimmt. Noch immer sind es, jetzt um kurz vor neun abends, über 28°C...



Dann geht es aber in Richtung Süden. Diese Etappe ist mit über 80 Kilometern recht lange. Das Ziel ist Sargans. Dort hat man die Hälfte geschafft, außerdem wartet die Tasche mit den frischen Klamotten, man kann duschen und wenn man will auch schlafen.

Schlafen will ich auf keinen Fall, vor allem kühlt es jetzt doch etwas ab und meine Beine funktionieren wie die Hölle. Auch die Navigation hat bis hierher gut funktioniert. Nach Wildnau aber komme ich plötzlich nach einem Bahnübergang auf eine Brücke und an einen Grenzübergang. Der steht aber nicht im Roadbook. Das kann also nicht sein. Ich fahre wieder zurück zum letzten Pfeil, der gar nicht weit zurvor gestanden hatte. Hm, der zeigt geradeaus. Ich fahre wieder in die Richtung, und obwohl ich aufmerksam schaue kein Pfeil und wieder lande ich auf der Brücke. Mittlerweile treffen ich noch einen Randonneur mit seinem schönen Patria Stahlrahmen. Der ist auch hier gelandet und unsicher wo es weiter geht. Ich fahre wieder zurück, er fährt in die andere Richtung, ein weiterer Fahrer fährt ihm hinterher.

Ich frage die Zöllner, denn ich bin mir sicher, dass das hier falsch ist. Der zeigt mir einen Feld- bzw. Radweg, der geradewegs nach Kriessern führen würde. Ich schaue ob dort ein Pfeil steht, sehe aber keinen, aber es ist der einzige sinnvolle Abzweig seit dem letzten Pfeil, also fahre ich da lang. Mittlerweile ist es recht dunkel. Das Rücklicht hatte ich schon angemacht, es hat sich aber immer wieder ausgeschaltet. Eine Fehlkonstruktion, die Batterien sitzen zu locker, so dass die manchmal den Kontakt verlieren. So bin ich ganz froh, dass die beiden anderen Radfahrer mittlerweile zu mir aufgeschlossen haben. Der Randonneur hat eine Top Lichtanlage mit SON Nabendynamo, er braucht sich also um Batterien keine Sorgen zu machen.

Meine erste Idee ist, eine Gruppe aufzumachen und zu dritt ordentlich loszuziehen, aber Mr. Patria fährt stattdessen neben mir her. Dann nimmt aber die 137 die Sache in die Hand und zieht gut los (den Namen kann ich in der Dämmerung so schlecht lesen). Ich hänge mich ans Hinterrad und irgendwann bleibt der Patria Fahrer zurück. Die 137 macht ordentlich Druck und wir wechseln uns gut ab.


Dann kommen wir an eine große Kreuzung aber ohne Pfleil. Mist! Aber laut Roadbook müssen wir nach Buchs, also biegen wir in diese Richtung ab. Der Patriafahrer ist mittlerweile weg. Die 137 scheint etwas stärker zu sein als ich, Leistung kann ich ja keine ablesen, aber er fährt im Wind meist ein, zwei km/h schneller als ich. An einer Steigung zieht er im großen Gang im Wiegetritt davon, ich halte erst mit, sehe dann aber ein, dass mir das zu schnell ist und fahre meinen eigenen Rhythmus. Die Steigung ist kürzer als gedacht, denn durch die uns jetzt umgebenden Berge hatte ich gedacht das wird eine lange alpine Steigung, und so fahren wir oben in gleichem Tempo aber mit 150 Meter Abstand hintereinander her. Wie sinnlos, wenn du schlau bist wartest du auf mich und wir können wieder zusammenarbeiten, macht er aber nicht.


Dann tauchen drei weitere Lichter im dunkeln vor uns auf, die 137 immer noch 100 Meter vor mir fährt an der Gruppe vorbei, ich schließe mich den drei erstmal an. Und siehe da, es ist Dieter und sein Kumpel, die zwei vom Radsportcamp. Ich mache meinen Spruch von wegen eingeholt und so, der guckt nur so komisch. Da erkenne ich, dass der dritte Fahrer der Ranndoneur ist, und ich frage ihn verwundert wieso er denn jetzt wieder vor mir fährt? Wie sich herausstellt haben die 137 und ich uns verfahren und sind einen kleinen Umweg gefahren. Die drei hatten uns noch zugerufen, aber wir waren schon  zu weit weg, sonst hätte ich die zwei vom Ötztaler Radsportcamp schon früher eingeholt.

Na egal, die Beine gehen gut, die 137 lässt sich offensichtlich wieder zu uns zurückfallen, und so könnten wir das erste mal für heute eine richtige Gruppe aufmachen und zum Halbzeitziel in Sargans blasen. Die Temperatur ist mittlerweile recht angenehm im niedrigen 20er Bereich, die Beine gehen wie eine Maschine...

Aber die Gruppe will nicht funktionieren, wenn ich vorne bin folgt mir niemand so richtig, obwohl ich rausnehme und warte, manchmal fährt der nächste dann zwei Fahrradlängen hinter mir, einzig die 137 macht erst noch mit, so dass nur wir zwei führen, dann macht der aber irgendwie schlapp, so führe ich die meiste Zeit, dann geht doch mal einer nach vorne, geht dann aber nicht aus dem Wind sondern wird immer langsamer, so dass ich wieder vorbei fahre und versuche Zug in das Ganze zu bringen, dann sticht einer wieder im Sprint nach vorne, so dass man nicht hinterherkommt, was soll das denn? Nur ein hektisches Gestocher. Ich bin leicht genervt.

Dann setzt ein heftiger starker sehr warmer Gegenwind ein. Nicht mal nachts wird man von der Hitze verschont. Ich fahre jetzt meist vorne, schaue mich immer wieder um und warte, fahre dann mit Paul ein Stück weg. So langsam müssten wir eigentlich in Sargans sein. Die Beine gehen gut, offensichtlich ist irgendwie gerade der Motor angesprungen.

Da die anderen aus der Gruppe ganz zurückbleiben zögert Paul, denn sein Kumpel fährt ja dort, so fahre ich alleine weiter. Die Beine funktionieren super, die Temperatur ist wieder angenehm, die Piko 6 leuchtet mir den Weg, ich würde am liebsten gar nicht anhalten in Sargans, dabei hatte ich mich zwischendurch sehr nach meinen frischen Klamotten gesehnt.

Nach einer gewissen Zeit werde ich allerdings misstrauisch, denn eigentlich hätte die KS Sargans längst kommen müssen. Bin ich vielleicht schon zu weit gefahren? Hier kommt jetzt allerdings gerade überhaupt kein Dorf mit Ortsschild, so dass ich das anhand des Roadbooks überprüfen könnte. So fahre ich mit voller Power weiter, was soll ich machen. Dann läuft parallel zur Straße die A3 und das beleuchtete Abfahrtsschild, dass ich dort sehe verursacht mir ein mulmiges Gefühl, ich bin bestimmt zu weit gefahren.

An einem Kreisel steht ein Pfeil, ich bin also auf der Strecke, aber da steht auch Walenstadt, und das ist zehn Kilometer hinter Sargans, ganz klar ich bin an der KS vorbeigeschossen. Scheiße! Ich versuche ein Auto anzuhalten um jemanden zu fragen, mitten in der Nacht fährt hier natürlich kaum jemand. Das dritte Auto hält an, und ja ich habe mich  verfahren, ich muss sieben Kilometer wieder zurückfahren...

Ok, also wieder zurück, die Beine sind immer noch gut, und während es eben noch leicht bergab ging, habe ich jetzt wohl Rückenwind, oder ich bin so wütend über diese sinnlosen Kilometer, dass die Beine sich den Rückenwind selbst machen.

Aber auch nachdem ich 7, 8 Kilometer zurückgefahren bin finde ich die KS nicht. Ich halte an, schaue im Roadbook, fahre hin und her, und dann endlich sehe ich den Pfeil, auf der linken Seite, im Busch auf einer Verkehrsinsel. Das kann doch niemand sehen!

Egal, da ist tatsächlich die KS. Ich zeige meine Startnummer und überlege ernsthaft gleich weiterzufahren, die Beine sind viel zu gut. Aber ich halte es dann doch für vernünftiger die frischen Klamotten anzuziehen. Also hole ich meine Tasche, gehe duschen, Creme mich erneut mit LSF50 ein und verbrauche dabei die komplette Tube, denn wenn es Samstag genauso heiß wird und die Sonne knallt hole ich mir sonst einen heftigen Sonnenbrand. Auch die Sitzfläche wird ordentlich eingecremt.

Die frischen Klamotten tun wirklich gut, allerdings ist das Sitzpolster der Löffler Radhose schon ziemlich abgenutzt, ich wäre gerne mit dem Xeon Polster der Gore Hose weitergefahren. Die Sitzfläche ist noch erstaunlich gut in Schuss. Die Hände tun mir weh und sind taub, was das Duschen etwas umständlich macht, aber sonst geht es mir ausgesprochen gut.

In der Tasche hatte ich noch vier Ensure Plus gefunden. Drei davon haue ich noch vorm Duschen weg. Danach versuche noch eine Portion Spaghetti zu essen, schaffe aber nur den halben Teller. Einer dieser leckeren runden Kuchen und eine Banane gehen aber rein.

Dann mache ich mich auf die nächste Etappe mit Ziel Pfäffikon. Hier gilt es mit dem Kerenzerberg einen ordentlichen Anstieg zu meistern. Die Beine sind immer noch super, ich fahre alleine durch die Nacht ringsherum Berge, in der Ferne Wetterleuchten. Hoffentlich fahre ich nicht in ein Gewitter hinein. Ich hatte nämlich auf Knielinge und die richtige Regenjacke verzichtet und nur die ganz leichte Windjacke für Notfälle dabei.

Dann kommt der angekündigte Anstieg. Es geht ordentlich berghoch, aber es gibt keine bösen oder giftigen Steigungen. Im dunkeln berghoch zu fahren ist eine interessante Erfahrung. Die Piko 6 Lampe hat drei Stufen, eine die gerade so zum gucken reicht, durch die man aber gut gesehen wird, und die ich in den Dörfern und bei Straßenbeleuchtung benutze. Die zweite Stufe benutze ich bei völlig fehlender Beleuchtung, also auch hier am Anstieg und die dritte Stufe ist sehr, sehr hell, die nutze ich nur auf der Abfahrt.

Im Anstieg noch überholt mich ein RAAM Quali Fahrer. Der erste, den ich bewusst wahrnehme. Sein Begleitfahrzeug versorgt ihn kurz vor der Passhöhe und fährt anschließend hinter ihm her, so habe in der Abfahrt zunächst noch etwas Orientierung. Allerdings, auch als er nicht mehr zu sehen ist reicht meine Piko 6 locker um auch die schnelle Abfahrt auszuleuchten.

Die ganze restliche Strecke nach Pfäffikon läuft gut, die Beine sind super, die Hände tun weh, der Kopf ist gut, ab und zu mal ein Blick ins Roadbook, die Pfeile sehe ich zum Glück alle, aber die Strecke ist auch recht offensichtlich, nämlich immer auf der 3 entlang.

In Pfäffikon treffe ich wieder auf die zwei Jungs vom Radsportcamp und ihre Frauen, die das Begleitfahrzeug fahren. Die flachsen etwas, weil sie wieder vor mir an der KS sind, aber ich bin ja auch deutlich später in Sargans losgefahren, da ich über eine halbe Stunde durch mein Verfahren verloren habe.

Die erzählen mir auch, das die ganze Gruppe an der KS vorbeigefahren ist, die haben es nur früher gemerkt. Ich führe meine übliche KS Routine durch, und es gibt sogar Tee. Herrlich, so gönne ich mir einen Pfefferminztee. Dann mache ich mich, noch vor den beiden, auf die Königsetappe mit heftiger Steigung nach Schindeleggi. Die beginnt schon nach ca. fünf Kilometern. Ziemlich zu Anfang steht ein blinkendes Schild, dass die Geschwindigkeit anzeigt. 11 km/h, es geht ja gerade steil berghoch, das Schild blinkt mir ein Bravo! entgegen. Ich muss grinsen, ich weiß ja wie es gemeint ist, aber in meiner Situation liest sich das doch etwas sarkastisch...

Noch immer ist es dunkel, die Beine sind ok, auch nach fast vierhundert Kilometern geht so eine Steigung noch, ich bin ganz zufrieden. Mittlerweile hat sich der Garmin Edge 800 längst verabschiedet, denn der Akku hält ja nur 15 Stunden, so habe ich nur noch Puls, Geschwindigkeit und gefahrene Kilometer der aktuellen Etappe im Blick auf dem SRM PC7.
Oben hätte ich fast wieder einen Pfeil verpasst, der kaum zu sehen ist, aber ein Begleitfahrzeug eines anderen Fahrers hat sich da hingestellt, und die rufen mir laut nach, so dass ich gerade noch umkehren kann und richtig abbiege. Herzlichen Dank, das wären immens viele zusätzliche Höhenmeter geworden, wenn ich mich da verfahren hätte.

Nach einem weiteren nicht ganz so langen Anstieg geht es erstmal ordentlich bergab. Mittlerweile ist es langsam hell geworden und in der Morgendämmerung fahre ich um den Zuger See. Sehr schön. Recht wenig Pfeile, so halte ich nochmal an, um das Roadbook zu studieren, dann ist es aber bis Risch ganz klar.


Die Beine sind ok, auch die Knie haben nichts zu meckern. Ein RAAM Qualifikant zieht an mir vorbei, ist aber gar nicht so viel schneller, so fahre ich bis Risch ein paar hundert Meter hinter ihm her, wobei sich der Abstand immer weiter vergrößert, bis er nicht mehr zu sehen ist. Leider muss ich mich dann selbst wieder um die Navigation kümmern, und prompt verpasse ich einen Abzweig. Mist. Ich merke es zwar sehr bald, irre aber eine ganze Weile umher bis ich wieder auf die 4 nach Rotkreuz finde. Das kostet viel Zeit und einige zusätzliche Kilometer, das gibt's doch nicht, schon zum zweiten Mal richtig verfahren.

Auch kurz vor der KS Emmenbrücke verfahre ich mich nochmal und muss noch ein paar, zum Glück flache, Kilometer drauflegen. Finde dann aber nach etwas fragen wieder auf die Strecke und treffe die beiden vom Radsportcamp wieder an der Kontrollstation. Mittlerweile ist es ein running gag mit meiner miesen Navigation und die beiden, ihre Frauen und ich machen uns darüber lustig. Wieso ich mich selbst darüber lustig mache weiß ich nicht, aber was soll ich mich aufregen ist halt passiert. Außerdem habe ich das Gefühl, das ich heute auch 800 Kilometer fahren kann wenn es sein muss.

In Emmenbrücke esse ich noch ein Hotdog und trinke halt viel, wie immer an den Checkpoints seit Koblenz. Jetzt kommt noch eine 50 Kilometer Etappe und die nächsten sind dann nur noch im hohen 30er Bereich. Das ist irgendwie sehr motivierend. Außerdem ist das die letzte Etappe auf der großen Runde, dann geht es schon das erste mal wieder nach Ittigen.

Ich fahre vor den beiden los. Diesmal will ich mich auf jeden Fall nicht verfahren. Es geht nach einigen Abzweigen recht ordentlich berghoch aus dem Ort hinaus. Die Pfeile sind eindeutig, aber ich checke nochmal gegen mit dem Roadbook, und das Schild am Ortsausgang verweist auf den nächsten Ort, nur steht der nicht im Roadbook. Verdammt habe ich schon wieder eine Abzweig verpasst, den nach Huttwil? Ich fahre wieder zurück, den ganzen Berg wieder zurück, aber da steht kein Schild. Ich bin echt frustriert. Da kommen die beiden wieder und fahren so wie ich eben auch gefahren bin. Ich fahre hinterher und hole sie wieder ein. Ich melde meine Zweifel an, aber da deren Frauen ja vorfahren und die wohl auch der Meinung sind, dass das richtig ist fahre ich mit den beiden zum zweiten mal den Berg hoch, und siehe da kurz nach dem Ortsschild, aber eben vor dem nächsten Ort kommt der Abzweig. Ich hätte einfach nur weiterfahren müssen, aber mittlerweile bin  ich, was die Navigation betrifft echt verunsichert.

Ich ziehe wieder los und fahre meinen eigenen Rhythmus. Es geht zwischendurch ordentlich berghoch, die Strecke ist gut, aber es ist schon wieder sehr warm. Das Wetter wird also wie gestern tagsüber. Mal sehen wie sich das auswirkt. Eigentlich könnte ich jetzt im Hellen wieder Bilder machen, aber aus irgendeinem Grund lasse ich das.

Die Hände tun weh, trotzdem gehe ich immer wieder in den Wiegetritt um die Sitzfläche zu entlasten. Die ist noch ok, fühlt sich aber schon so an wie nach einer 200 Kilometer Trainingsfahrt. D.h. die Wiegetrittphasen brauche ich schon. Es heißt also Hände gegen Sitzfläche. Der Rest fühlt sich wohl, alles bestens.

Der Anstieg nach Affoltern steigt wirklich ordentlich, vor allem ist er recht lange. Immer wieder überholt man mal jemand, aber vor allem finden sich jetzt viele andere Wochenendrennradler auf der Straße. Ich fahre alleine meinen Stiefel runter.

Bei den Ergometereinheiten zu Hause teile ich mir z.B. drei Stunden auf in 18 Zehnminutenabschnitte und zähle 1 von 18, 2 von 18, usw. dabei habe ich mir oft vorgestellt, wie ich hier beim Schweizer Radmarathon 50 Kilometerabschnitte zähle 1 von 14, 2 von 14 usw. Bei den ersten zwei habe ich das auch gemacht, aber dann hatte ich das völlig vergessen. Jetzt in Affoltern hätte ich dann auf jeden Fall 11 von 14, und das klingt schon ziemlich gut. So bin ich auch in diesem Anstieg voller Motivation und gespannt auf die Schaukäserei.

Mittlerweile knallt die Sonne wieder und mein Körper glüht, am Schluss ist es noch recht steil, aber schließlich ist auch die KS Affoltern zum ersten mal erreicht. Zu meiner Freude gibt es dort auch Joguhrt und Cornflakes, die ich wirklich sehr genieße. Außerdem trinke ich mittlerweile wie zwei Kühe. Sponsor Isotonic Zitrus literweise, plus literweise Wasser. Von dem angebotenen Emmentaler nehme ich mir auch zwei Stückchen und vor allem gibt es endlich mal Brot, super.

Die zwei vom Radsportcamp mit ihren Frauen treffen auch hier ein, und ich freue mich mittlerweile immer sehr die zu sehen, sowas wie ein Fixpunkt auf dieser teils doch auch recht einsamen, langen Fahrt. Auch die Kontrollstationen sind natürlich Fixpunkte, vor allem da man immer sehr, sehr herzlich empfangen wird und sich die Leute dort wirklich viel Mühe geben.

Da die zwei Radsportcamper auf ihre letzte Etappe gehen, die fahren nämlich die 600er Strecke fahren sie noch vor mir wieder los. Wir wünschen uns viel Glück für den Rest der Strecke und weg sind sie. Ich gönne mir noch einen zweiten Becher Joguhrt mit Cornflakes und fahre dann auch los.

Streng nach Roadbook biege ich links ab, bis mich jemand zurückruft, erst auf die Hauptstraße, dann links ab. Oje, geht das schon wieder los.

Jetzt geht es aber erst mal bergab und man kann ganz gut Tempo aufnehmen, zu navigieren gibt es eigentlich nicht viel, aber immer wieder schaue ich ins Roadbook ich möchte mich einfach nicht mehr verfahren! Insgesamt läuft es immer noch gut, die Hände nerven etwas, Sitzfläche ist ok, alles andere super. Dann geht es links ab, und man fährt durch einen schönen idyllischen Teil am Wald entlang. Leider gibt es trotzdem kaum Schatten.


Da diese Etappe deckungsgleich mit der Schlussetappe für uns 720er ist, stelle ich mir vor wie ich hier meine letzten Kilometer zurücklege. Mir geht es eigentlich noch erstaunlich gut. Da die nächste KS am Hotel und Start ist, könnte ich dort schnell auf mein Zimmer flitzen, mich nochmal frisch machen und frische Klamotten anziehen. Hm, mal schauen.

Dann geht es in Boll rechts nach Bern, logisch, Ittigen liegt ja direkt bei Bern. Kurz darauf kommt ein Kreisel, hier würde ich gefühlsmäßig wieder nach Bern abbiegen, aber es steht kein Schild, so fahre ich weiter in den Kreisel, und da steht ein Pfeil. Naja, wenn es da steht. Es geht erst ein Stück berghoch, dann kommt eine schöne kleine Abfahrt. Aber irgendwie stimmt der nächste Ortsname nicht. Es gab keine Abzweigung und der Pfeil war eindeutig, aber Stettlen kommt hier nicht, hier geht es nach Worb. Hä? Habe ich mich denn schon wieder verfahren? Ich bleibe stehen, studiere das Roadbook, das kann nicht stimmen. Ich fahre wieder zurück in die Abfahrt, die jetzt eine Steigung ist, da kommt mir ein RAAM Qualifikant entgegengeschossen, hm, ist das doch richtig? Ich kehre wieder um, fahre in den nächsten Anstieg, werde aber wieder unsicher und frage ein paar Leute, die an der Straße stehen. Stettlen? Völlig falsch, da müssen Sie wieder zurück nach Boll...!

Verdammter Mist das gibt's doch nicht. Ich verstehe nicht wieso dann der Pfeil in die Richtung zeigt. Also fahre ich die ganz Strecke wieder zurück bis zu besagtem Kreisel, ignoriere den Pfeil und fahre in Richtung Bern. Und da kommt dann auch Stettlen und Deisswil und sogar wieder Pfeile.

Ein RAAM Qualifikant mit Follow Car überholt mich, ist aber eigentlich gar nicht schneller, es war gerade viel Verkehr. An der nächsten Steigung fährt der total langsam, bergrunter auch. So fahre ich an der folgenden Steigung wieder vorbei. Ich fahre eine Weile vor ihm her. Wir müssen ja immer Abstand voneinander halten, weil Windschattenfahren verboten ist für und mit RAAM Qualifikanten. So kurz vor Bern/Ittigen überholt er mich wieder in der Ebene, fährt im Kreisel aber geradeaus, ich biege falsch ab nach Ittigen. Merke es zwar, verirre mich aber total. Extrem frustriert frage ich mich durch und finde dank eines netten Schweitzers wieder auf die Strecke zurück. Allerdings hat das nochmal Zeit gekostet, und laut schreien musste ich auch mal.

Egal jetzt, nochmal geht es bergauf, dann links abbiegen über die Autobahnbrücke (ganz kurz sehr steil), und ich bin im Start/Ziel Gelände am Hotel. Kurz zeige ich meine Nummer, Getränke habe ich noch, dann gleich weiter auf die nächste Etappe.

Die 600er sind jetzt durch, ich hatte vorher befürchtet, dass ich vielleicht an diesem Punkt platt bin und aufgebe und dann DNF 600 in der Ergebnisliste steht, das hätte ich richtig scheiße gefunden. Aber nichts dergleichen, wahrscheinlich versuche ich unbewusst die durch Navigationsfehler vertrödelte Zeit wenigstens etwas wieder gutzumachen, sicher ein aussichtsloses Unterfangen.

Allerdings fühle ich mich noch außerordentlich gut, 12 von 14 sage ich mir, und die Strecke die ich fahren muss kenne ich ja schon, denn jetzt wird mir klar wieso der Pfeil vorhin mich so in die Irre geführt hat, denn jetzt muss ich ja tatsächlich nach Worb. Auf der Etappe nach Jassbach muss man von Ittigen aus ein Stück "zurück" fahren.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass die letzte 120 Kilometer Schleife für die 720er eine lockere Auslaufrunde wird. Aber weit gefehlt. Die Etappe wird richtig anspruchsvoll. Den ersten Teil kenne ich ja schon, dann geht es in einen eher nach Feldweg aussehenden Weg. Einen weiteren Fahrer sehe ich auf der Strecke, der fährt mir aber eine Spur zu schnell, so verliere ich ihn aus den Augen. Nach einer Weile ohne Pfeil werde ich wieder unsicher. Ich halte an studiere das Roadbook, fahre weiter, halte an, fahre weiter, es kommt eine Abzweigung ohne Schild! Da es ja auch berghoch geht spüre ich schon etwas Frust in mir aufsteigen. Ich fahre nach Gefühl und frage in einem kleinen Kaufmannsladen nach dem Weg. Zu meiner Überraschung bin ich aber richtig. Das lag aber jetzt nicht an mir, hier ist Roadbook und Beschilderung doch etwas spärlich.


Auch das stecke ich weg, wieder auf der richtigen Strecke geht es jetzt in einen heftigen langen Anstieg. Ich überhole einen Radfahrer und zwei weitere RAAM Qualifikanten. Die Hitze ist fast unerträglich, die anderen bleiben zurück, da hilft auch die Anfeuerung unf Musik aus dem Follow Car nichts. Mein Beine funktionieren noch besser als bisher. Wie eine Maschine kann ich den Berg hochfahren. Wenn ich letzter werde, dann liegt es bestimmt nicht an den Beinen, die sind sensationell. Ich habe keine Ahnung wieviel Uhr es ist, und keine Ahnung wieviele Stunden ich schon unterwegs bin. Ich sehe  nur die Kilometer der aktuellen Runde, also Etappe, die Geschwindigkeit und den Puls. Der ist mittlerweile ultradistanztypisch relativ niedrig, trotz Hitze und Kampf berghoch.

Der Berg will nicht aufhören, die Sonne knallt, es gibt keinen Schatten, nicht einen Hauch, aber noch diese Etappe, dann kommt eine etwas leichtere und dann gibt es Joguhrt mit Cornflakes in Affoltern. Die Beine gehen so gut, trotz der immensen Hitze, das ich während der Fahrt denke, dass ich stolz bin auf meine Beine. Seltsame Gedanken gehen einem da durch den Kopf. Anyway, nach scheinbar endlosem Anstieg flacht es dann tatsächlich ab, und schließlich erscheint in Jassbach das Checkpoint Schild, dass zur KS zeigt.

Auch hier ein umsorgender Empfang, an einem Radgeschäft werden den erschöpften Kletterern die Räder abgenommen und die Flaschen befüllt. Ich esse noch eine Banane, trinke gefühlt hundert Liter und mache mich weiter. Ich will nach Affoltern, Joguhrt mit Cornflakes!

Angeblich geht es lange bergab. Stimmt auch, aber nur leicht und es gibt ordentlich Gegenwind, so dass mir diese Fahrt fast härter vorkommt als die Bergetappe gerade eben. Ich sehe einen weiteren Radfahrer, der offensichtlich zum Radmarathon gehört, aber keine Startnummer trägt. Er biegt aber auch an den Pfeilen ab. Wir überholen uns mehrmals gegenseitig, fahren auch mal ein paar Meter im Windschatten, arbeiten aber nicht zusammen. Will ich auch gar nicht, das Ding fahre ich jetzt auch bis zum Schluss alleine.

Diese Etappe zieht sich, immer wieder entscheide ich mich zugunsten der Sitzfläche gegen die Hände und fahre ein Stück im Wiegetritt. Zwischendurch dachte ich die Hände tun gar nicht mehr weh, bis ich merke, dass mein Gehirn das nur ausgeblendet hat. In dem Moment wo ich dran denke, kommt der Schmerz zurück...

Ab hier ist es echtes Ultracycling. Bis an die 600 Kilometer war es ok, jetzt muss ich kämpfen. Nicht die Beine, ich habe auch 800 Kilometer drin, auf jeden Fall. Auch zweifle ich nicht daran die 720 zu Ende zu fahren. Aber es ist mental anstrengend. Sehr anstrengend.

Ich bin fast froh als es wieder bergauf geht, die Abfahrt war elend. Das Ziel Joguhrt mit Cornflakes ist jetzt sehr nah. Auf meine Beine kann ich mich verlassen, berghoch läuft, die brutale Hitze kann mich mal, einmal bin ich noch unsicher beim Linksabbiegen in den Schlussantieg nach Affoltern hinein, aber zum Glück steht gerade das Auto der Rennleitung dort und winkt mich in die richtige Richtung.

Dann endlich das zweite mal in Affoltern. Noch eine (mir schon bekannte) Etappe und es ist geschafft. Ich genieße den Joguhrt mir Cornflakes, nehme noch einen Becher und esse noch ein Brot, dann geht es in die Abfahrt.

Die Hände kribbeln, sind taub, schmerzen, aber der erste Teil der Schlussetappe geht noch. An der Stelle wo ich mir vorhin ausgemalt wie es wohl auf dieser letzten Etappe seine würde, ist es dann ganz anders. 14 von 14, noch 20 Kilometer, aber kein enthusiastisches Hochgefühl, ich muss kämpfen es fühlt sich recht anstrengend an.

Dann endlich Boll, dort wo ich vorhin falsch abgebogen bin. Diesmal sehe ich das Schild im Kreisel in Richtung Bern. Offensichtlich hatte mein Gehirn das ausgeblendet, wie man manchmal den Autoschlüssel sucht, der auf dem Tisch vor einem liegt.

Auch nach Ittigen biege ich diesmal richtig ab. Es geht bergab, über die letzte Bahnschranke und prompt schließt sich das Ding in dem Moment wo ich heranfahre. Ich fluche laut.


So stehe ich nochmal vor der geschlossenen Schranke, einen Kilometer vor dem Ziel. Dann aber geht es weiter, nochmal ein bisschen berghoch, dann links abbiegen zur Raststätte, die kurze heftige Steigung über die Autobahnbrücke, links, ins Ziel, Nummer gemeldet, vorbei!

Ich habe keine Ahnung wie lange es gedauert hat, deshalb frage ich nach ob ich gefinished habe. Die Jungs verstehen meine Frage nicht. 32:25:04 h ist die Zeit. Zur Belohnung gibt es drei große Stücke abgepackten Emmentaler, das ist doch mal ein nützliches Finishergeschenk!

Ich stehe noch einen Moment im Zielbereich herum, aber so einsam wie man startet kommt man auch ins Ziel. So gehe ich aufs Zimmer, stelle mein Rad ab, dusche, hole mir einen Kamillentee und laufe zurück in den Startbereich. Das ich gerade 720 Kilometer in über 32 Stunden gefahren bin realisiere ich gar nicht so recht. Ich rede irgendwas mit den Leuten die dort sitzen, meine Stimme hört sich an als wäre ich erkältet. Ich sitze aber nur kurz, ich muss gehen, meine Beine bewegen. Ich gehe aber nur sehr langsam, ich bin leer und erschöpft.

Der Ranndoneur mit dem Patria kommt ins Ziel. Er ist die 600 Kilometer gefahren. Er hat in Sargans quasi übernachtet und ist erst um 6 Uhr morgens weitergefahren. Ich freue mich ihn zu sehen, schließlich war einer der wenigen die ich auf der Strecke mehrmals bzw. länger gesehen habe.

Dann beschließe ich aber ins Restaurant zu gehen und was zu essen. Ich bin froh, dass es bis dorthin ein paar Meter zu laufen sind, wenn ich auch nur sehr, sehr langsam dorthin schleiche. Ich bin komplett platt. Die Hände sind Taub, sonst ist alle bestens.

Das Essen ist sehr anstrengend, ich zwinge mich aber Salat, Kalbsschnitzel und Rösti aufzuessen, nach dem ganzen Zeug unterwegs braucht mein Körper doch was "richtiges".

Danach schleppe ich mich wieder ins Hotel zurück, kaufe mir vorher aber noch eine Tafel Schokolade, die ich aber dann doch nicht esse. Dann habe ich genug Cooldown gehabt, ich muss in Bett. So müde und erschöpft war ich bis jetzt nur selten in meinem Leben.