Samstag 04.07.2009
Um kurz nach halb acht gibt’s Frühstück. Dann noch die Reifen aufgepumpt, die Kette nochmal geschmiert, denn ich hatte mein Rennrad doch etwas vernachlässigt, Kamera eingepackt und dann geht’s los. Strahlender Sonnenschein, angenehme Temperaturen, also optimale Bedingungen.
Nach anderthalb Kilometer merke ich, dass ich die Trinkflaschen vergessen habe. Also nochmal zurück, und dann geht es aber wirklich los.
Von Prad aus geht es zunächst einige Kilometer mit moderaten 4 bis 7 Prozent hoch Richtung eigentlichem Pass. Die Radfahrer scheinen aber immer ab Prad zu rechnen, denn dann stimmt die Angabe von 24,6 Kilometer ungefähr. Von meinem, übrigens sehr Radfahrer freundlichen Hotel sind es bis zum Schild auf der Passhöhe genau 25 Kilometer.
Nach einem Kilometer habe ich schon Rückenschmerzen. Ich habe lange nicht mehr auf dem Rennrad gesessen, und die Rennradhaltung ist halt ergonomisch auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Nach wenigen weiteren Kilometern muss ich feststellen, dass meine etwas naiv-spontane Herangehensweise, nach dem Motto „dreifach und gut in Form, das passt schon für die Berge“ ziemlich blöd war. Denn bevor ich den eigentlichen Pass überhaupt erreicht habe, fahre ich schon im kleinsten Gang, und mein Puls ist höher wie ich fahren will. So komme ich nie den Berg hoch. Letztlich fahre ich somit mit einem Eingangfahrrad, das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich überlege schon Plan B, wenn ich nicht hochkomme, dass ich mir dann ein Fahrrad mit kleinerer Übersetzung leihe und es Sonntag nochmal probiere. Anyway, ein Gutes hat es ja, ich brauche mich nicht ums Schalten zu kümmern...
Da ich gerne in einem bestimmten Frequenzbereich fahre, und auch berghoch ungern weniger wie 80 trete, muss ich schneller fahren wie ich eigentlich fahren will, und befürchte natürlich alle Körner schon am Anfang zu verschießen.
Ich überhole eine ganze Menge anderer Radfahrer und denke immer nur fast schon entschuldigend, „nee ich rase nicht am Anfang schon zu schnell, ich habe einfach keinen kleineren Gang...“. Wenigstens ein „Rettungsring“ für die Steilwand, ist aber leider nicht.
Nach einer Weile merke ich, dass ich doch in einen ganz guten Rhythmus komme, und zunächst geht es dann doch ganz gut.
Nach zehn Kilometern fängt der eigentliche Pass mit seinen 48 Kehren an. Die meisten sind beschildert, und von unten nach oben wird von 48 runtergezählt bis 1. Ich finde das ist psychologisch eine gute Unterstützung, so kann man sich Teilziele setzen, bzw. kriegt eine ordentlichen Motivationsschub, wenn dann 39, 29, usw. dort steht.
Kehre 1
Die Steigungen bleiben eigentlich immer im menschlichen Bereich, d.h. wenn man runterschalten könnte...
Ich versuche einfach erst mal bis zur Kehre 29 zu kommen, ab da soll es wohl steiler werden, und dann muss ich weitersehen.
Das Rennrad macht mir etwas Probleme durch den unergonomischen Sattel. Mir schläft alles mögliche ein, und das zieht sogar bis ins rechte Bein. Da es keine Verschnaufpausen in Form von flachen Abschnitten oder gar Abfahrten gibt, ist das nicht so richtig gut zu handhaben, aber letztlich finde ich auch da einen Weg, mit kurzem Aufstehen aus dem Sattel und einer bestimmten Beinhaltung.
Bis zur 29 läuft's ziemlich gut, allerdings geht es schon gut rein, und da ich kurz dahinter meine Sonnenbrille verliere, nutze ich den Stop für eine dreiminütige Pause. Die tut enorm gut, und danach läuft es erst mal gleich wieder besser, so dass ich trotz meines „zu hohen“ Tempos auch die jetzt teils etwas steileren Stücke bis ca. 15% gut schaffe.
Es sind sehr viele Radfahrer unterwegs, und jetzt sind auch langsam die Motorradfahrer aufgewacht, die hier teils ziemlich heftig hochgeißeln. Ab und zu trifft man auf einen Radfahrer, der ungefähr gleiches Tempo geht, was mich aber eher irritiert. Den besten Rhythmus finde ich, wenn ich mal einen Abschnitt ziemlich für mich fahren kann.
Das nächste Teilziel ist die Kehre 19, da glaube ich das erste mal , dass ich es schaffe, trotz der nicht optimalen Übersetzung. Beeindruckend ist der Blick auf die „Steilwand“. Aber nach meinen Englanderfahrungen bin ich regelrecht beruhigt, da man praktisch die ganzen noch zu fahrenden Serpentinen im Blick hat, und die sehen alle machbar aus.
Hinter Kehre 15 mache ich nochmal drei Minuten Pause. Die Fotos zwischendurch mache ich immer vom Fahrrad.
Dann nehme ich mir noch eine kleine Pause für Kehre 9 vor. Allerdings kommt nach der Pause an der 15 von hinten ein Radfahrer, der ungefähr die gleiche Geschwindigkeit fährt wie ich. Er hängt sich an mein Hinterrad, und so habe ich noch etwas extra Motivation. Und da es von der 9 zur 8 so gut läuft, verschiebe ich die geplante Pause auf 5, doch ab Kehre 5 werden die Strecken zwischen den Kehren deutlich kürzer, und ich merke, dass ich mit meiner Übersetzung ganz gut auch die restlichen Kehren noch schaffen kann, und so bin ich plötzlich bei Kehre eins, und bin völlig verwundert, und denke da kommt noch was.
Aber es sind nur noch ein paar hundert Meter, und dann ist es tatsächlich geschafft. Wahnsinn! Mein erster Alpenpass, das Stilfser Joch.
Natürlich gibt es ein Siegerfoto am Schild. Dann schaue ich mir das Halligalli mit den ganzen Motorradfahrern, Radfahrern und Souvenierläden an.
Und entgegen meiner ersten Vermutung weiß ich jetzt: Mit dem Reiserad und Gepäck durch Devon und Cornwall ist auf jeden Fall härter, als mit dem Rennrad einen ordentlichen Alpenpass hochzufahren. Und noch dazu bekommt man hier eine richtige Belohnung für die Mühe. Ein fantastisches Alpenpanorama, und einen symbolischen Zielpunkt, wo man ein Foto machen kann, und denken kann „geschafft“. Ein wunderbares Hochgefühl.
Nach gut einem Liter Apfelschorle und ein paar Nudeln, geht es wieder hinunter. Ich überlege erst ob ich die andere Seite herunter fahre und wieder hoch, schließlich ist es erst elf. Aber das wäre wohl doch etwas übermütig, vor allem scheint das Wetter schlechter zu werden, also genieße ich meinen Erfolg und fahre mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder hinunter nach Prad. (Nicht ohne vorher mein Fahrrad in Kehre 1 nochmal in den Schnee zu stecken...)
Das Tempo bergab ist relativ gering, da das hohe Verkehrsaufkommen, insbesondere die Motorradfahrer nicht viel mehr möglich machen. Einige fahren nicht nur grenzwertig, sondern noch darüberhinaus. So sehe ich zwei Beinaheunfälle, einmal mit einem Auto und ein anderes mal mit einem Radfahrer. Der ist ein extrem guter Abfahrer, sehr beeindruckend. Der Motorradfahrer, der von unten hoch geißelt hat offensichtlich seine Geschwindigkeit unterschätzt, und fährt frontal auf der falschen Spur auf den Abfahrer zu um einen anderen Motorradfahrer zu überholen. Es bleibt aber zum Glück beim beinahe.
Da man es nicht so richtig laufen lassen kann, und natürlich an den Kehren sehen muss, dass man auf seiner Spur bleibt, muss man ständig Bremsen, so dass die Felgen durch das Bremsen ordentlich heiß werden. Ich mache zwei kurze Abkühlpausen, und lasse ein bisschen Luft ab von den Schläuchen.
Die Abkühlpausen werden natürlich für ein paar schöne Fotos genutzt.
Auf dem Gipfel war es schon recht frisch, schätzungsweise um 15° C. So kann man, auch wenn sie stehen und Pause machen, die aufwärts fahrenden von den abwärts fahrenden unterscheiden, die Abfahrer tragen nämlich alle eine Jacke, während die berghoch fahrenden auch denletzten Reißverschluß vom Trikot noch öffnen Irgendwann am Ende der Abfahrt fährt man dann in die warme Luft des Tals. Denn hier sind mittlerweile deutlich über 20°.
So eine dreiviertel Stunde bergab, vor allem am Ende wo keine Serpentinen mehr sind, das macht schon Spaß, da könnte ich mich glatt ans Rennrad gewöhnen....
Um ca. 13:00 Uhr bin ich schon wieder auf meinem Zimmer. So einen Pass kann man sich also auch mit einer Übernachtung vorknöpfen, gut zu wissen.
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